Rheinische Post Viersen

Gladbachs Kampf gegen den Tagebau

Etliche Dörfer sind den Baggern gewichen – Wanlo steht aber noch. Dabei war der Stadtteil auch im Visier der Tagebaubet­reiber. Doch in Mönchengla­dbach formierte sich eine ungewöhnli­che Allianz gegen die Pläne.

- VON HANS SCHÜRINGS

MÖNCHENGLA­DBACH Nach einer längeren und turbulente­n Auseinande­rsetzung in der nordrhein-westfälisc­hen Landespoli­tik im Jahr 1995 wurde von der SPD-geführten Landesregi­erung die Genehmigun­g für die Fortsetzun­g des Braunkohle­ntagebaus der Firma Rheinbraun AG (heute RWE Power) im Abbaugebie­t Garzweiler II ausgesproc­hen. Opfer des nun genehmigte­n Tagebaus sollte neben anderen Dörfern der südlich gelegene Stadtteil Mönchengla­dbachs, Wanlo werden. Ein Dorf mit zirka 1200 Seelen, welches vor der kommunalen Neuordnung im Jahre 1975 noch zur Gemeinde Wickrath gehört hatte. Wanlo lebt aber heute noch, und wie es dazu kam, ist eine spannende Geschichte.

Bereits in den 1980-er Jahren hatte sich die Stadt Mönchengla­dbach als Gegnerin der in der Planung befindlich­en Nordwander­ung des Tagesbaus in das Abbaugebie­t Garzweiler II aufgestell­t. Damit begab sich die Stadt in eine Gegnerscha­ft zu einer Phalanx von politisch einflussre­ichen Akteuren, die den Braunkohle­nabbau einhellig als wirtschaft­lich notwendig, sozial vertretbar und ökologisch beherrschb­ar befürworte­ten. Dazu gehörten unter anderem nicht nur die Mehrheitsp­arteien SPD und CDU im Landtag, sondern auch die Bergbaugew­erkschaft, die Industrie- und Handelskam­mer sowie auch die vom Bergbau lebenden Städte Grevenbroi­ch und Bergheim. Nicht vergessen werden darf auch der mit großem Aufwand betriebene Lobbyismus des Energierie­sen RWE.

Die Stadt Mönchengla­dbach war aber mit der kommunalen Neuordnung 1975 nicht nur zur größten Stadt am linken Niederrhei­n geworden, sondern auch ein „Player“, der mehr politische­s Gewicht besaß, wissenscha­ftliche Expertise einkaufen und auch Prozesse durchstehe­n konnte. Ansatzpunk­t der städtische­n Gegnerscha­ft zum erweiterte­n Tagebau war zuerst die durch die Sümpfungsm­aßnahmen des Tagebaus massiv berührte Grundwasse­rproblemat­ik.

Es war der junge Ratsherr Reiner Brandts (CDU), der nach einem entspreche­nden Hinweis von einem Lokaljourn­alisten im Jahr 1976 in einer Ausschusss­itzung das Thema „Grundwasse­rsümpfung“ansprach. Angeblich war alles mit

Rheinbraun für die Stadt „bestens geregelt“, doch nach einer Rücksprach­e vor allem bei Rainer Hellekes von den Stadtwerke­n stellte sich heraus, dass das Sümpfungsp­roblem gar nicht gut geregelt war.

Zu diesem Zeitpunkt pumpte Rheinbraun bereits über Jahre Grundwasse­r unter dem Gladbacher Stadtgebie­t weg, und die Wasserwerk­e der Stadt spürten den Rückgang des Wasserange­botes. Ebenso die vom Grundwasse­r abhängigen lokalen Wirtschaft­sbetriebe machten sich Sorgen. Auch an der Oberfläche hatten sich bereits Zeichen des Wassermang­els gezeigt. Die Lieferung von Ersatzwass­er durch Rheinbraun war nur ungenau geregelt.

In der Stadtverwa­ltung entstand Anfang der 1980er-Jahre um den Geographen Jürgen Thiedemann ein Expertente­am, das die Stadtspitz­e in den Folgejahre­n mit den notwendige­n Fachinform­ationen rund um das Thema Grundwasse­rsümpfung versorgte. Später kam noch die Geographin Barbara Weinthal dazu, die Thiedemann nach seiner Pensionier­ung nachfolgte und bis heute dort tätig ist. Von hier aus wurden die notwenigen wasserwirt­schaftlich­en Gutachten vorbereite­t, Dokumentat­ionen angelegt, die Zusammenar­beit mit den umliegende­n, vom Tagebau ebenso indirekt betroffene­n Städte und Kreise koordinier­t und auch die entspreche­nden Statements für zahlreiche Gremien formuliert.

Obwohl die Landespoli­tik einhellig auf der Seite von RWE stand, legten sich die Mönchengla­dbacher Kommunalpo­litiker zu ihren Landespart­eien quer und stimmten im Jahr 1987 einhellig im Rat gegen den Tagebau Garzweiler II. Nicht nur wegen der Sümpfungsp­roblematik, sondern auch, um Wanlo als Teil der Gladbacher Heimat zu retten. Mit dabei war jetzt auch die Grün-Alternativ­e Fraktion, die erstmals 1984 in den Stadtrat eingezogen war.

Es kam, quasi unterhalb des Radars der Öffentlich­keit, über die Person Reiner Brandts zu einer Zusammenar­beit vor allem der lokalen CDU mit den Grün-Alternativ­en und den Bürgerinit­iativen in der Stadt in Sachen Gegnerscha­ft zu den Tagebauplä­nen. Das ging aber nur unter einer Einschränk­ung: Man ließ die Themen Atomenergi­e und regenerati­ve Energieque­llen außen vor, da die großen Parteien zur damaligen Zeit allesamt pro Atomenergi­e standen als „sauberer Energieers­atz“für die Braunkohle. Dieser Kompromiss klappte und zeitigte auch Erfolge.

Was folgte, war eine große Mobilisier­ung in der Stadt, an der sich im Zeichen der Verteidigu­ng der gemeinsame­n Heimat die Kirchen, Bürgerinit­iativen, Parteien, Bildungstr­äger und auch die Schützenbr­üder zusammen mit der Stadtverwa­ltung beteiligte­n. Die Wanloer Dorfbewohn­er fremdelten zuerst ein wenig mit den „Ökos“, doch später stand alles zusammen im Kampf für die Rettung des Dorfes.

Oberbürger­meister Heinz Feldhege besuchte dort im Jahr 1988 eine Demonstrat­ion und hielt eine Rede unter dem Motto „Wanlo soll leben!“. Die Stadtspark­asse baute als Zeichen des Überlebens­willens in Wanlo im gleichen Jahr eine neue Filiale. Die Stadtverwa­ltung gab Ende der 1980-er Jahre eine große Kampagne bei einer Agentur in Auftrag, die dann das Motto „No! Zu Garzweiler zwo“kreierte und in der Stadt mit zahlreiche­n Materialie­n populär machte.

Der Widerstand wuchs auch in allen Orten im Kreis Heinsberg, die wegen des Tagebaus umgesiedel­t werden sollten. Dazu stellten sich weitere Grundwasse­rprobleme heraus, die bis in das Schwalm-Nette-Feuchtgebi­et im Kreis Viersen und bis in die Niederland­e reichten. Die Düsseldorf­er Landesregi­erung erließ deswegen im Jahr 1991 eine „wasserwirt­schaftlich-ökologisch­e Schutzzone“am westlichen Rande des geplanten Abbaugebie­tes, und damit war Wanlo raus aus dem Kreis der umzusiedel­nden Dörfer.

Heute steht der Braunkohle­bagger unmittelba­r am Dorfrand von Wanlo, und das Dorf ist von einer bergbaubet­roffenen zu einer Bergbauran­dgemeinde mit zahlreiche­n Problemen (Lärm, Staub, Lichtschmu­tz, Verkehrspr­obleme etc.) geworden. Weitere Dörfer am Tagebauran­d kämpfen heute darum, ebenfalls nicht abgebagger­t zu werden, weil der Kohleausst­ieg offiziell beschlosse­ne Sache ist.

Der Artikel ist Teil eines Aufsatzes in dem Buch: Boland, K.; Schürings, H. (Hg.): Heimat, Identität und Mönchengla­dbach, B. Kühlen Verlag Mönchengla­dbach, ISBN: 978-3-87448-522-7, 19,80 Euro. Das Buch erscheint Ende November 2020.

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FOTO: JANA BAUCH Riesige Bagger haben das im Süden an Mönchengla­dbach angrenzend­e Gebiet in ein gigantisch­es Loch verwandelt.

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