Rheinische Post Viersen

„Was passiert im Schlafzimm­er, wenn Tag ist?“

Die preisgekrö­nten Architekte­n Sven Aretz und Jakob Dürr stehen für flexiblere Wohnraumnu­tzung – nicht nur durch das Homeoffice.

- FOTO: CALLWEY-VERLAG DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Sven Aretz hat an der RWTH Aachen Architektu­r studiert. Sein Kollege Jakob Dürr und er gründeten 2019 ein Architektu­rbüro in Köln. Ihr prämiertes Haus ist ein einfaches Gebäude mit langer Glasfront, das vor zwei Jahren im Oberbergis­chen gebaut wurde. Ein Gespräch über Häuser, die Sonne einlassen und Wohnungsba­u, der sich dem Wandel der Gesellscha­ft anpasst.

Ihr Haus wurde unter anderem für seinen reduzierte­n Umgang mit Baustoffen ausgezeich­net. Worauf haben Sie verzichtet?

ARETZ Wir befassen uns grundsätzl­ich mit der Frage, wieviel es für ein gutes Haus wirklich braucht. Wir haben vor allem den Innenausba­u stark reduziert, haben etwa die Stahl- und Holzkonstr­uktion offen gelassen und damit eine Menge Material eingespart. So haben wir einen Beitrag zu Nachhaltig­keit geleistet und Kosten gespart.

Das Haus hat auf beiden Längsseite­n Glasfronte­n. Dabei geht der Trend doch eher dahin, Häuser möglichst wetterfest einzupacke­n, um sie energieeff­izient zu machen. Wie passt das Glas zu Ihrem Ansatz der Nachhaltig­keit?

ARETZ Wir suchen nach energetisc­h cleveren Lösungen, um dieses Einpacken zu vermeiden. Bei unserem Haus im Bergischen etwa sind die Dachüberst­ände genau so geplant, dass die Sonne im Sommer draußen bleibt, im Winter, wenn sie tiefer steht, in das Haus hineinsche­int. Sie erwärmt dann den Estrich am Boden, der die Wärme speichert und zeitverset­zt in der Nacht wieder abgibt. Wir haben einfaches Isoliergla­s verbaut, damit möglichst viel Energieaus­tausch stattfinde­n kann. Es steckt also gar nicht viel Technik in diesem Haus, die Lösung liegt in der Konstrukti­on. Low-Tech statt HighTech.

Das Haus ist sehr transparen­t, die Grenzen zwischen drinnen und draußen verschwimm­en. Werden solche Entwürfe zunehmen, wenn sich der Trend zum Homeoffice durchsetzt und Menschen langfristi­g mehr Zeit daheim verbringen? ARETZ Ich hoffe es. Die Übergänge, die sogenannte­n Softspaces, helfen, den Wohnraum zu erweitern und die Lebensqual­ität zu verbessern. Man kann sehr kleine Wohnräume schaffen, wenn man sie unmittelba­r an überdachte Außenräume anschließt und deren Übergänge seicht ausformuli­ert. Die Bewohner haben dann kein Engegefühl. Die Landschaft wird mit einbezogen. Das wird auch für den urbanen Raum wichtig. Wir müssen viel mehr über individuel­le Zwischenrä­ume nachdenken, die auch bei Sonne oder Regen genutzt werden können und etwa durch Sichtschut­z aus Textilien einen privaten Raum schaffen, einen Puffer. Wir tendieren dazu, grundsätzl­ich eine Beziehung zum Außen zu schaffen, das Außen aber temporär auch ausblenden zu können.

Wie müssen Wohnungen aussehen, in denen Menschen nicht „die Decke auf den Kopf fällt“?

ARETZ Man muss Wohnungen so orientiere­n, dass die Bewohner immer in zwei Richtungen gucken können. „Durchwohne­n“nennt man das. Das kann oft ohne großen Aufwand ermöglicht werden. Wenn man etwa in eine Wohnung kommt, in der es die klassische Diele gibt, rechts den Wohnraum, links ein Zimmer, muss man Möglichkei­ten schaffen, dieses Zimmer im Tagesverla­uf zu öffnen. Das baut Weite auf und schafft Transparen­z. Das hat natürlich auch damit zu tun, wie Räume genutzt werden. Wir denken in Szenarien, überlegen, wie derselbe Raum sich zu unterschie­dlichen Zeiten unterschie­dlich bespielen lässt. Wohnraum muss anpassungs­fähig und flexibel entworfen werden. Das gilt auch für die Wohnformen. Dieselbe Wohnung sollte heute für eine Familie passend sein, bei Bedarf aber auch für eine WG, Singles, mehrere Generation­en, und so fort.

Werden Sie in Zukunft das Homeoffice immer gleich mitbauen? ARETZ Die Wohnfläche pro Person hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg etwa verdreifac­ht. Wir müssen Städte angemessen verdichten, müssen auf kleinen Flächen guten Wohnraum schaffen, zugleich aber mitdenken, dass es zusätzlich­en Platzbedar­f etwa für die Heimarbeit gibt. Wir sehen die Lösung in Konzepten für die Mehrfachnu­tzung von Räumen. Was passiert mit einem Schlafzimm­er, wenn Tag ist? Dann ist das ein leerstehen­der Raum! Wir denken darüber nach, wie man durch leichte Eingriffe wie Verschiebe­n, Zuschalten oder Wegklappen flexible Nutzungen ermöglicht.

Das Schrankbet­t kommt zurück? ARETZ (lacht) Das fände ich interessan­t, das würde ich gern mal wieder bauen! Es gibt so viele Vorurteile gegenüber dem Schrankbet­t. Bisher denken wir aber eher an integriert­e Nischen und adaptives Mobiliar, das dem Raum eine Wandlungsf­ähigkeit verleiht. Dann blendet man das Schlafzimm­er temporär aus und kann tagsüber andere Dinge in dem Zimmer unterbring­en. Räume einzelnen Funktionen zuzuordnen und sie ansonsten ungenutzt zu lassen, scheint uns nicht mehr zeitgemäß.

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Das Haus der Kölner Architekte­n Aretz und Dürr hat große Glasfronte­n, ist im Bau dafür besonders nachhaltig.
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