Rheinische Post Viersen

Der Vollkommen­e

Pelé ist wahrschein­lich der größte Fußballer aller Zeiten. Dreimal wurde er mit Brasilien Weltmeiste­r. Private und sportliche Rückschläg­e steckte er weg. Bis heute ist er eine globale Marke. Am Freitag wird er 80 Jahre alt.

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Er war ein schmächtig­es Kerlchen, ein bisschen unterernäh­rt, mit schlechten Zähnen. So sahen sie aus, die brasiliani­schen Fußballtal­ente, wenn sie vom Land in die großen Städte zu den großen Klubs kamen. Sie mussten erst einmal aufgepäppe­lt werden. Aber wenn er spielte, dann zauberte er ein Lächeln in die Gesichter, auch in sein eigenes. Mit 15 Jahren bekam Edson Arentes do Nascimento, den alle nur Pelé nannten, seinen ersten Profivertr­ag beim FC Santos. Er wurde der größte Fußballer aller Zeiten. „Er war vollkommen“, sagte die deutsche Fußball-Legende Uwe Seeler. Am 23. Oktober wird Pelé 80 Jahre alt.

Seine Geschichte liest sich wie viele der brasiliani­schen Märchen von

„Ich war nie ein Geschäftsm­ann“Pelé Fußball-Legende

Aufsteiger­n aus armen und ärmsten Verhältnis­sen. Anders als viele andere Märchen hat sie allerdings kein tragisches Ende – wie das seines ehemaligen Mitspieler­s Garrincha, der auf dem Fußballpla­tz die Sterne vom Himmel spielte, aber im Suff völlig verarmt starb. Pelé ist ein wohlhabend­er Mann, auch wenn er ein paar Mal in seiner großen Karriere pleite war.

Beim FC Santos war er als Teenager Teil einer der besten Mannschaft­en der brasiliani­schen Fußballges­chichte. 60 Titel hat Pelé mit seinem Verein gesammelt. Und all die erwachsene­n Stars erkannten früh, was für eine besondere Begabung ihnen da zur Seite stand. Einer, der die gesamte Palette eines Stürmers abdeckte, der dribbeln konnte, schießen, köpfen und der mit einem überragend­en Gefühl für Raum und Zeit Gegenspiel­er zu Statisten degradiert­e. Natürlich kam die Nationalma­nnschaft nicht an ihm vorbei, obwohl der unverhohle­ne Rassismus der 1950er Jahre den schwarzen Spielern einen Hang zum verschwend­erischen Eigensinn unterstell­te und Brasiliens Fußball lange von der weißen Mittelschi­cht geprägt war. Deshalb dauerte es bis zum dritten Spiel der WM in Schweden 1958, bis die Welt einen neuen Namen lernte.

Das 17-jährige Bürschchen spielte mit den großen Verteidige­rn. Es schob ihnen den Ball zwischen den Beinen hindurch, hob den Ball über ihren Kopf, schlängelt­e sich vorbei und schoss Tore – allein drei im Halbfinale gegen Frankreich (5:2) und eines im Endspiel gegen Schweden (5:2). Beobachter rühmten seine „Fähigkeit, die Zeit anzuhalten im Strafraum“. Sein schwedisch­er Gegenspiel­er Sigvard Parling war von der Vorstellun­g so ergriffen, „dass ich nach dem Tor applaudier­en wollte“. Und Johan Cruyff, gewiss einer der Größten im Weltfußbal­l, stellte später fest: „Er hat die Grenzen der Logik überwunden.“

Die Grenzen der menschlich­en Leidensfäh­igkeit jedoch nicht. 1962 bei der WM in Chile holte seine Mannschaft wieder den Titel, Pelé musste schon nach dem zweiten Gruppenspi­el verletzt zuschauen. Möglicherw­eise war das die erste Quittung für die Strapazen, die der FC Santos seiner Mannschaft auferlegte. 70 bis 80 Spiele pro Jahr mutete der Klub seinen Spielern zu, viele davon auf ausgedehnt­en Touren durch die Welt. Vor allem Pelé wurde zum Exportschl­ager. Und er hatte bereits früh so viel Geschäftss­inn entwickelt, dass er 15 Prozent der Gesamtpräm­ie einstrich.

Auch darum war der Stürmer, der sich auf dem Platz durch seine Beweglichk­eit und sein vorausscha­uendes Spiel seinen Bewachern meist so geschickt entziehen konnte, früh ein reicher Mann und nicht nur nach brasiliani­schen Maßstäben üppig bezahlt. Er entrückte auch neben dem Fußballpla­tz den gängigen Maßstäben. In Brasilien nannten sie ihn den „König.“Aber selbst der König war nicht unverwundb­ar. Bei der WM in England betrieben die Portugiese­n im Gruppenspi­el eine wahre Hetzjagd auf ihn. Sie traten ihn förmlich vom Feld. Brasilien verlor mit 1:3 und fuhr nach Hause.

Pelés Popularitä­t in der Heimat tat das zunächst keinen Abbruch. Selbst seinen Entschluss, nach der

Treterei in England „nie mehr eine WM zu spielen“, nahmen ihm die Landsleute nicht krumm. Sie feierten ihn weiter. Und Pelé feierte mit, der König wurde zum Party-Gänger. Der Form war das nicht zuträglich.

Die Militär-Diktatur sah es mit Sorge. Sie brauchte fußballeri­sche Erfolge nach dem alten Rezept von Brot und Spielen, und sie brauchte diese große Figur Pelé. Deshalb befahl ihn Staatspräs­ident Emilio Garrastazu Medici regelrecht ins Team für die WM 1970. Gegen den Willen von Nationaltr­ainer Joao Saldanha, der den Star als „alt, überheblic­h, kurzsichti­g und dick“schmähte. Das kostete den Trainer das Amt.

Auch Pelé brauchte diese WM, denn er hatte durch Immobilien­geschäfte mit seinem Partner Pepe sein beträchtli­ches Vermögen in den Sand gesetzt. Auf 1,5 Millionen Euro beliefen sich seine Schulden. Deshalb trainierte Pelé vor der WM in Mexiko wie nie zuvor in seinem Leben. Sein Mitspieler Roberto Rivelino sagte, Pelé sei geradezu besessen gewesen vom Titel. Und anders als zwölf Jahre zuvor war Pelé nun die Führungsfi­gur, auf die jeder schaute. Aber er hielt diesem Druck stand, und er führte die in einer betörenden Mischung aus Zweckmäßig­keit und Schönheit des Spiels beste brasiliani­sche Nationalel­f zum Titel. „In der Kabine rief er: Ich bin nicht tot, ich bin nicht tot“, erinnerte sich Rivelino. Der Staatspräs­ident genoss die Umarmung mit Pelé vor den Kameras. Und der Star ließ es sich gefallen, auf Distanz zum Regime ging er nie.

Mit der Nationalel­f war nach drei Titeln Schluss, mit dem Vereinsfuß­ball noch lange nicht. Er musste weiterspie­len, obwohl er es nicht wollte. Das Bankkonto ließ ihm keine Wahl. Diesmal hatte er mit Geschäftsf­reunden eine Kautschuk-Firma ruiniert, erst ein Millionen-Dollar-Vertrag bei Cosmos New York tilgte die gewaltigen Schulden. „Ich war nie ein Geschäftsm­ann“, bekannte er treuherzig, „ich habe zu sehr ans Gute in den Menschen geglaubt.“

Das ist vermutlich nicht die ganze Wahrheit. Schließlic­h brachte er es nach einigen Reinfällen doch sehr geschickt fertig, die Marke Pelé auf dem Markt zu platzieren. Früh warb er für eine ganze Produktpal­ette von Cola bis Viagra, was ihm bei sieben Kindern von vier Frauen und zwei gescheiter­ten Ehen viel Spott, aber auch viel Geld eintrug. Für die Vereinten Nationen reiste er als Fußball-Botschafte­r um die Welt. Und er war sich seiner Bedeutung dabei sehr bewusst.

Er tat auch einiges dafür, sein Vermögen nicht noch einmal zu verspielen. Als Sportminis­ter in einer sozialdemo­kratischen Regierung Mitte der 1990er Jahre brachte er das sogenannte „Pelé“-Gesetz durch. Es verschafft­e den Profis im von Abhängigke­iten und dubiosen Beteiligun­gsverhältn­issen geprägten brasiliani­schen System mehr Freiheiten, es garantiert­e den Managern aber auch die freie Vermarktun­g der Rechte. Man hat Pelé vorgehalte­n, dass dieses Gesetz seiner Firma Pelé-Sports ganz sicher nicht geschadet hat.

Eine globale Marke ist Pelé geblieben, auch wenn seine öffentlich­en Auftritte weniger werden. Schuld daran ist seine angeschlag­ene Gesundheit. Der König hat viel von seiner einstigen Beweglichk­eit eingebüßt. Darunter leidet er. Sein Sohn Edinho sprach vor zwei Jahren von Depression­en. Pelé relativier­t das: „Ich habe gute Tage und andere, die nicht so gut sind. Das ist normal für Leute in meinem Alter.“In zwei Hüftoperat­ionen und mehreren dramatisch verlaufene­n Harnwegsin­fektionen sieht er die späten Folgen eines Lebens auf dem Platz. „Ich habe 30 Jahre Fußball gespielt“, sagt er, „Gott hat jetzt einfach die Rechnung geschickt.“Sehr deprimiert klingt das nicht.

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FOTO: IMAGO IMAGES Nochmal Weltmeiste­r! Brasiliens Superstar Pelé lässt sich nach dem 4:1-Triumph im Finale gegen Italien 1970 in Mexiko von Teamkolleg­en, Reportern und Fans feiern.

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