Der Vollkommene
Pelé ist wahrscheinlich der größte Fußballer aller Zeiten. Dreimal wurde er mit Brasilien Weltmeister. Private und sportliche Rückschläge steckte er weg. Bis heute ist er eine globale Marke. Am Freitag wird er 80 Jahre alt.
DÜSSELDORF Er war ein schmächtiges Kerlchen, ein bisschen unterernährt, mit schlechten Zähnen. So sahen sie aus, die brasilianischen Fußballtalente, wenn sie vom Land in die großen Städte zu den großen Klubs kamen. Sie mussten erst einmal aufgepäppelt werden. Aber wenn er spielte, dann zauberte er ein Lächeln in die Gesichter, auch in sein eigenes. Mit 15 Jahren bekam Edson Arentes do Nascimento, den alle nur Pelé nannten, seinen ersten Profivertrag beim FC Santos. Er wurde der größte Fußballer aller Zeiten. „Er war vollkommen“, sagte die deutsche Fußball-Legende Uwe Seeler. Am 23. Oktober wird Pelé 80 Jahre alt.
Seine Geschichte liest sich wie viele der brasilianischen Märchen von
„Ich war nie ein Geschäftsmann“Pelé Fußball-Legende
Aufsteigern aus armen und ärmsten Verhältnissen. Anders als viele andere Märchen hat sie allerdings kein tragisches Ende – wie das seines ehemaligen Mitspielers Garrincha, der auf dem Fußballplatz die Sterne vom Himmel spielte, aber im Suff völlig verarmt starb. Pelé ist ein wohlhabender Mann, auch wenn er ein paar Mal in seiner großen Karriere pleite war.
Beim FC Santos war er als Teenager Teil einer der besten Mannschaften der brasilianischen Fußballgeschichte. 60 Titel hat Pelé mit seinem Verein gesammelt. Und all die erwachsenen Stars erkannten früh, was für eine besondere Begabung ihnen da zur Seite stand. Einer, der die gesamte Palette eines Stürmers abdeckte, der dribbeln konnte, schießen, köpfen und der mit einem überragenden Gefühl für Raum und Zeit Gegenspieler zu Statisten degradierte. Natürlich kam die Nationalmannschaft nicht an ihm vorbei, obwohl der unverhohlene Rassismus der 1950er Jahre den schwarzen Spielern einen Hang zum verschwenderischen Eigensinn unterstellte und Brasiliens Fußball lange von der weißen Mittelschicht geprägt war. Deshalb dauerte es bis zum dritten Spiel der WM in Schweden 1958, bis die Welt einen neuen Namen lernte.
Das 17-jährige Bürschchen spielte mit den großen Verteidigern. Es schob ihnen den Ball zwischen den Beinen hindurch, hob den Ball über ihren Kopf, schlängelte sich vorbei und schoss Tore – allein drei im Halbfinale gegen Frankreich (5:2) und eines im Endspiel gegen Schweden (5:2). Beobachter rühmten seine „Fähigkeit, die Zeit anzuhalten im Strafraum“. Sein schwedischer Gegenspieler Sigvard Parling war von der Vorstellung so ergriffen, „dass ich nach dem Tor applaudieren wollte“. Und Johan Cruyff, gewiss einer der Größten im Weltfußball, stellte später fest: „Er hat die Grenzen der Logik überwunden.“
Die Grenzen der menschlichen Leidensfähigkeit jedoch nicht. 1962 bei der WM in Chile holte seine Mannschaft wieder den Titel, Pelé musste schon nach dem zweiten Gruppenspiel verletzt zuschauen. Möglicherweise war das die erste Quittung für die Strapazen, die der FC Santos seiner Mannschaft auferlegte. 70 bis 80 Spiele pro Jahr mutete der Klub seinen Spielern zu, viele davon auf ausgedehnten Touren durch die Welt. Vor allem Pelé wurde zum Exportschlager. Und er hatte bereits früh so viel Geschäftssinn entwickelt, dass er 15 Prozent der Gesamtprämie einstrich.
Auch darum war der Stürmer, der sich auf dem Platz durch seine Beweglichkeit und sein vorausschauendes Spiel seinen Bewachern meist so geschickt entziehen konnte, früh ein reicher Mann und nicht nur nach brasilianischen Maßstäben üppig bezahlt. Er entrückte auch neben dem Fußballplatz den gängigen Maßstäben. In Brasilien nannten sie ihn den „König.“Aber selbst der König war nicht unverwundbar. Bei der WM in England betrieben die Portugiesen im Gruppenspiel eine wahre Hetzjagd auf ihn. Sie traten ihn förmlich vom Feld. Brasilien verlor mit 1:3 und fuhr nach Hause.
Pelés Popularität in der Heimat tat das zunächst keinen Abbruch. Selbst seinen Entschluss, nach der
Treterei in England „nie mehr eine WM zu spielen“, nahmen ihm die Landsleute nicht krumm. Sie feierten ihn weiter. Und Pelé feierte mit, der König wurde zum Party-Gänger. Der Form war das nicht zuträglich.
Die Militär-Diktatur sah es mit Sorge. Sie brauchte fußballerische Erfolge nach dem alten Rezept von Brot und Spielen, und sie brauchte diese große Figur Pelé. Deshalb befahl ihn Staatspräsident Emilio Garrastazu Medici regelrecht ins Team für die WM 1970. Gegen den Willen von Nationaltrainer Joao Saldanha, der den Star als „alt, überheblich, kurzsichtig und dick“schmähte. Das kostete den Trainer das Amt.
Auch Pelé brauchte diese WM, denn er hatte durch Immobiliengeschäfte mit seinem Partner Pepe sein beträchtliches Vermögen in den Sand gesetzt. Auf 1,5 Millionen Euro beliefen sich seine Schulden. Deshalb trainierte Pelé vor der WM in Mexiko wie nie zuvor in seinem Leben. Sein Mitspieler Roberto Rivelino sagte, Pelé sei geradezu besessen gewesen vom Titel. Und anders als zwölf Jahre zuvor war Pelé nun die Führungsfigur, auf die jeder schaute. Aber er hielt diesem Druck stand, und er führte die in einer betörenden Mischung aus Zweckmäßigkeit und Schönheit des Spiels beste brasilianische Nationalelf zum Titel. „In der Kabine rief er: Ich bin nicht tot, ich bin nicht tot“, erinnerte sich Rivelino. Der Staatspräsident genoss die Umarmung mit Pelé vor den Kameras. Und der Star ließ es sich gefallen, auf Distanz zum Regime ging er nie.
Mit der Nationalelf war nach drei Titeln Schluss, mit dem Vereinsfußball noch lange nicht. Er musste weiterspielen, obwohl er es nicht wollte. Das Bankkonto ließ ihm keine Wahl. Diesmal hatte er mit Geschäftsfreunden eine Kautschuk-Firma ruiniert, erst ein Millionen-Dollar-Vertrag bei Cosmos New York tilgte die gewaltigen Schulden. „Ich war nie ein Geschäftsmann“, bekannte er treuherzig, „ich habe zu sehr ans Gute in den Menschen geglaubt.“
Das ist vermutlich nicht die ganze Wahrheit. Schließlich brachte er es nach einigen Reinfällen doch sehr geschickt fertig, die Marke Pelé auf dem Markt zu platzieren. Früh warb er für eine ganze Produktpalette von Cola bis Viagra, was ihm bei sieben Kindern von vier Frauen und zwei gescheiterten Ehen viel Spott, aber auch viel Geld eintrug. Für die Vereinten Nationen reiste er als Fußball-Botschafter um die Welt. Und er war sich seiner Bedeutung dabei sehr bewusst.
Er tat auch einiges dafür, sein Vermögen nicht noch einmal zu verspielen. Als Sportminister in einer sozialdemokratischen Regierung Mitte der 1990er Jahre brachte er das sogenannte „Pelé“-Gesetz durch. Es verschaffte den Profis im von Abhängigkeiten und dubiosen Beteiligungsverhältnissen geprägten brasilianischen System mehr Freiheiten, es garantierte den Managern aber auch die freie Vermarktung der Rechte. Man hat Pelé vorgehalten, dass dieses Gesetz seiner Firma Pelé-Sports ganz sicher nicht geschadet hat.
Eine globale Marke ist Pelé geblieben, auch wenn seine öffentlichen Auftritte weniger werden. Schuld daran ist seine angeschlagene Gesundheit. Der König hat viel von seiner einstigen Beweglichkeit eingebüßt. Darunter leidet er. Sein Sohn Edinho sprach vor zwei Jahren von Depressionen. Pelé relativiert das: „Ich habe gute Tage und andere, die nicht so gut sind. Das ist normal für Leute in meinem Alter.“In zwei Hüftoperationen und mehreren dramatisch verlaufenen Harnwegsinfektionen sieht er die späten Folgen eines Lebens auf dem Platz. „Ich habe 30 Jahre Fußball gespielt“, sagt er, „Gott hat jetzt einfach die Rechnung geschickt.“Sehr deprimiert klingt das nicht.