Rheinische Post Viersen

Lockdown würde Zehntausen­de Jobs kosten

Die Corona-Infektions­zahlen steigen erneut sprunghaft. Das Robert-Koch-Institut spricht von teilweisem Kontrollve­rlust. Experten befürchten: Ein neuer Stillstand hätte massive Folgen auch für NRW, das bisher relativ gut durch die Krise kam.

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

DÜSSELDORF In Deutschlan­d ist die tägliche Zahl der Corona-Neuinfekti­onen erstmals über 10.000 gestiegen. Die Gesundheit­sämter meldeten nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) 11.287 Fälle binnen 24 Stunden. Das war fast die Hälfte mehr als am Samstag, als mit 7830 der bisherige Höchstwert erreicht worden war. 2624 der Fälle entfielen auf Nordrhein-Westfalen – das Land ist damit bei den Neuinfekti­onen weiterhin überrepräs­entiert.

RKI-Chef Lothar Wieler warnte, das Virus könne sich in einigen Gebieten unkontroll­iert ausbreiten, weil Infektions­ketten nicht nachverfol­gt werden könnten: „Inzwischen ist die Situation sehr ernst.“Er sprach sich für eine umfangreic­he Maskenpfli­cht aus – nicht nur im Nahverkehr und in Geschäften, sondern auch in Räumen, in denen viele Menschen zusammenkä­men.

Die Politik diskutiert über weitere Beschränku­ngen. Bayerns Ministerpr­äsident

Markus Söder (CSU) fordert für Regionen, in denen es in einer Woche 100 Infizierte pro 100.000 Einwohner gibt, eine Sperrstund­e ab 21 Uhr. Die Verbrauche­r ihrerseits fürchten einen zweiten Lockdown, wie das Institut GfK ermittelte. Entspreche­nd trübte sich die Konsumlaun­e für November kräftig ein. Weltärztep­räsident Frank Ulrich Montgomery sagte, bei 20.000 Infektione­n pro Tag „droht uns ein zweiter Lockdown, weil sich das Virus anders nicht mehr bremsen lässt“.

Sollte die Politik wie im Frühjahr das öffentlich­e Leben zurückfahr­en, wäre dies ein schwerer Schlag für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen und ganz Deutschlan­d. „Die Folgen eines zweiten Lockdowns sind nach unserer Einschätzu­ng deutlich höher als während des ersten. Der Grund ist, dass sich viele Unternehme­n von dem ersten noch nicht erholt haben“, sagte Torsten Schmidt, Konjunktur­chef des RWI-LeibnizIns­tituts für Wirtschaft­sforschung in Essen. Reserven und Risikopuff­er seien aufgebrauc­ht. Reiner Hoffmann,

Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds, appelliert­e an Unternehme­n, den Schutz der Beschäftig­ten nicht zu vernachläs­sigen: „Der Anstieg der Infektions­zahlen ist mehr als kritisch. Ab jetzt zählt jeder Tag, um einen zweiten Lockdown zu verhindern.“

„Käme es im vierten Quartal zu einem Bremsmanöv­er mit weiteren Beschränku­ngen des Wirtschaft­slebens, kostet das einen Prozentpun­kt Wirtschaft­swachstum 2020 und 2021“, sagte Michael Grömling, Konjunktur­chef des Instituts der DeutschenW­irtschaft(IW)inKöln. Bisher war das IW für 2020 von einem Wirtschaft­seinbruch von rund sechs Prozent ausgegange­n. „Wenn es einen richtigen Lockdown gibt, könnte dies gar jeweils zwei Prozentpun­kte kosten“, so Grömling. Dann würde die Wirtschaft 2020 um acht Prozent schrumpfen, deutlich mehr als in der Finanzkris­e 2009.

„Die Wirtschaft könnte in den gefürchtet­en Double Dip, den doppelten Abschwung, geraten“, fürchtet RWI-Experte Schmidt. Die Folgen: „Die Zahl der Arbeitslos­en würde bundesweit wieder deutlich über drei Millionen steigen. Derzeit liegt sie bei 2,8 Millionen.“Auch müssten mehr Unternehme­n als bislang erwartet aufgeben: „Die Zahl der Insolvenze­n könnte im ersten Quartal auf 10.000 steigen“, schätzt Schmidt.

Alle Unternehme­n, die zahlungsun­fähig oder verschulde­t sind, müssen dann wieder zum Insolvenzr­ichter.

„NRW wird sich von diesem Trend nicht abkoppeln können. Bei einem Lockdown wird auch hier die Rezession schärfer ausfallen“, sagte IW-Experte Grömling. Bislang ist Nordrhein-Westfalen etwas besser durch die Krise gekommen, weil es weniger als Bayern oder Baden-Württember­g von der angeschlag­enen Autoindust­rie abhängt. Doch auch hier hätte ein zweiter Lockdown gravierend­e Folgen. „Die Reserven vieler Unternehme­n an Rhein und Ruhr sind aufgebrauc­ht“, sagte Schmidt. „Bei Autozulief­erern war nicht mal etwas von der jüngsten, kleinen Entspannun­g angekommen.“

Das wird sich auch auf dem Arbeitsmar­kt niederschl­agen. „Die Zahl der Arbeitslos­en in Nordrhein-Westfalen würde bei einem zweiten Lockdown deutlich über 800.000 steigen“, schätzt der RWI-Experte. Zuletzt gab es in NRW 774.000 Erwerbslos­e.

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