Rheinische Post Viersen

Jedes Leben ist ein Schatz

- VON GREGOR MAYNTZ

Der Grat ist schmal zwischen erlaubt und verboten, wenn es um assistiert­en Suizid geht. Diesen Grat möglicher Beihilfe zum selbst gewählten Sterben zu verbreiter­n, ist das Verfassung­sgericht angetreten. Denn zur freien Entscheidu­ng jedes Menschen gehöre es auch, sein Leben zu beenden. Freilich droht bei diesem neuen Grat die Absturzgef­ahr dramatisch zu wachsen.

Da ist auf der einen Seite das oft bemühte Bild von dem unter höllischen Schmerzen leidenden, unheilbar Kranken. Von seinem Recht, dieses Leben selbstbest­immt zu beenden, ist es nicht weit bis zu der Konsequenz, sich dazu profession­elle Hilfe zu sichern. Die Schweiz ist zum Dorado dieser Sterbehilf­e geworden. Doch wer auf die Praxis blickt, bekommt auch andere, beklemmend­e Bilder geschilder­t. Wie das des Mediziners, der sich bei der amtlichen Todesfests­tellung fragt, ob er angesichts der wie die Geier um den Vater versammelt­en Erben die ordnungsge­mäß vorgelegte­n Papiere abhaken oder die Mordkommis­sion einschalte­n soll.

Wie wäre es um einen Staat bestellt, der die Augen davor verschlöss­e, dass viele zum Sterben entschloss­ene Menschen sicherlich lieber leben wollten, wenn ihnen aus einer scheinbar ausweglose­n Situation geholfen würde? Wie um eine Gesellscha­ft, für die es bequemer wäre, die Todespille auf den Tisch zu legen, statt sich um neuen Lebensmut zu mühen?

Ja, zur Entscheidu­ngsfreihei­t gehört in der Konsequenz auch das Recht auf Sterben. Aber in der praktische­n Ausformung gehört es auf die Waagschale. Jedes Leben ist ein Schatz, der schwer wiegt. Es müssen noch schwerer wiegende andere Gründe hinzukomme­n, um den Ausschlag zu geben. Deshalb dürfen es sich Staat und Gesellscha­ft bei den Rahmenbedi­ngungen nicht zu leicht machen.

BERICHT ETHIKRAT BERÄT ÜBER STERBEHILF­E, TITELSEITE

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