Durchhalten – das RKI appelliert an die Gesundheitsämter
Infektionen entstehen derzeit vor allem bei Treffen mit Freunden und in der Familie. Die Lage spitzt sich zu – Wirtschaft und Gewerkschaften fordern Hilfe.
BERLIN (kes/mar/may-/mün) Corona hat Deutschland voll im Griff, die Zahl der nachgewiesenen Corona-Neuinfektionen in Deutschland überschritt am Donnerstag binnen eines Tages erstmals den Wert von 10.000. Was geschieht nun? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen:
Wie sind die vielen Neuinfektionen zu erklären?
Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), sagt, die dramatisch steigenden Zahlen hingen vorwiegend mit Ansteckungen im privaten Bereich zusammen. Es gehe vorwiegend um Feiern mit körperlicher Nähe, Treffen mit Freunden oder der Familie. Im Moment seien eher jüngere Menschen von Infektionen betroffen. Deshalb gebe es zur Zeit mehr leichtere Erkrankungen als im Frühjahr. Doch er warnte: Auch der Anteil der älteren Infizierten steige wieder.
Schaffen die Gesundheitsämter die Nachverfolgung noch?
Für das Bundeskanzleramt und das RKI hat die Kontakt-Nachverfolgung nach wie vor höchste Priorität. Wieler appellierte an die Gesundheitsämter, trotz Überlastung durchzuhalten. Die Lage in einigen Gesundheitsämtern sei „ernst und besorgniserregend“, sagte er. Doch man müsse jede Anstrengung auch unter diesen Umständen aufrechterhalten. Von den Landkreisen gab es am Donnerstag verhalten positive Signale.„Es gibt inzwischen nicht nur in Großstädten, sondern auch in vielen Landkreisen Hotspots. Gleichwohl können wir insgesamt sagen, dass wir vielfach sehr angespannt sind, aber die Situation aktuell im Griff haben“, sagte der Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager, unserer Redaktion. Neben Neueinstellungen griffen die Landkreise auf zusätzliches Personal innerhalb der eigenen Verwaltung, auf Studenten oder Landesbedienstete zurück. „Wenn dies nicht reicht, besteht die Möglichkeit, die Unterstützungsangebote der Bundeswehr und des RKI in Anspruch zu nehmen.“Das Kanzleramt erneuerte das Angebot des
Bundes an die Landkreise, Unterstützung zu leisten. Nach Recherchen unserer Redaktion liegen derzeit 1141 Unterstützungsanfragen aus allen Bundesländern sowie Bundesministerien bei der Bundeswehr vor. Rund 1950 Angehörige aus allen Bereichen der Bundeswehr sind derzeit im Einsatz. 1561 Soldaten helfen in 137 Gesundheitsämtern.
Wieviele Menschen sind gestorben? Die Zahl der Covid-Toten in Deutschland liegt derzeit bei knapp über 9900. Bislang ist dank der im März ergriffenen Maßnahmen kaum eine Übersterblichkeit festzustellen. Die Todeszahlen in Deutschland bewegen sich – anders als in den meisten Nachbarländern – im üblichen Rahmen. Allerdings sterben seit Anfang Oktober in Deutschland mehr Menschen als im Schnitt der letzten fünf Jahre.
Was sagen die Gewerkschaften? Der Chef des Deutschen Gewerkschafts-Bundes (DGB), Reiner Hoffmann, sagte unserer Redaktion, die Kosten der Krise müssten gerecht verteilt werden. „Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen müssen entlastet werden. In guten Zeiten solidarisch sein kann jeder, machen aber längst nicht alle. Jetzt, wo die Krise vom Sprint zum Marathon wird, kommt es erst recht darauf an, Verantwortung zu zeigen und Solidarität zu praktizieren.“Als Angriff auf Arbeitsschutz und Arbeitnehmerrechte wertete Hoffmann eine Bundesratsinitiative der unionsgeführten NRW-Landesregierung.
Darin hatte das Land wegen der Belastungen der Unternehmen in der Corona-Krise gefordert, die Minijobgrenze anzuheben, sachgrundlose Befristungen zu verlängern und die Arbeitsstättenverordnung zu entschlacken. „Es ist inakzeptabel, dass wir Menschen abverlangen, ihr Privatleben erheblich einzuschränken, wenn dann der Infektionsschutz am Arbeitsplatz vernachlässigt wird“, sagte Hoffmann.
Wie reagieren Wirtschaftsvertreter ? Vertreter der besonders von der Corona-Krise betroffenen Branchen konferierten am Donnerstag mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Andreas Lutz, Chef des Verbands der Gründer und Selbstständigen, sagte, viele Solo-Selbstständige arbeiteten von zu Hause. Ihnen nütze die bisher in den Überbrückungshilfen vorgesehene Erstattung fixer Betriebskosten nicht viel. Die eigentlichen Kosten seien Lebenshaltungskosten oder die Miete der Wohnung. Die Grundsicherung sei keine Lösung. Lutz forderte stattdessen einen staatlichen Unternehmerlohn. Dies verlangte auch der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, Guido Zöllick. Ohne weitere staatliche Unterstützung würden es viele Betriebe nicht durch die Krise schaffen. Altmaier machte Freiberuflern und Selbstständigen Hoffnung auf einen Unternehmerlohn. Dazu müsse in der Koalition aber noch eine Einigung gefunden werden, sagte Altmaier. Er sagte auch bessere Hilfen für Solo-Selbstständige zu.