Rheinische Post Viersen

Sehnsucht nach dem guten Amerika

Bruce Springstee­n wird auf seiner neuen Platte „Letter To You“wehmütig. Es liegt wohl an der düsteren Gegenwart seines Landes. Zum Album gibt es einen 90-minütigen Film, der die Aufnahmen im Studio in gediegenem Schwarzwei­ß dokumentie­rt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO: DANNY CLINCH/SONY

DÜSSELDORF Der Boss sieht ein bisschen zerknautsc­ht aus im Gesicht, und man muss sagen, dass er doch ein ganzes Stück älter wirkt, als man ihn in Erinnerung hatte. Das machen bestimmt die Sorgen um sein Land. Pandemie, Rassismus, Trump und jetzt die Präsidente­nwahl: tough times für einen good american. Umso schöner, dass der 71-Jährige seine Fans nun einlädt zu sich nach Hause, ins Heimstudio nach New Jersey. Da sind die Kumpels von der E-Street-Band versammelt, jene Jungs, mit denen er seit 45 Jahren zusammensp­ielt. Draußen schneit es, aber die hölzernen Wände schützen Springstee­n vor der emotionale­n Kälte und dem Wetter. Er steht im bizepsnahe­n T-Shirt da, der Aufdruck, na klar: „USA“. One, two, three, zählt er und singt: „I took all the sunshine and rain / All my happiness and pain / And sent it in my letter to you“. Sein Studio wirkt in diesem Moment wie eine Arche Noah, eine Insel der Seligen. Brucetopia.

Bruce Springstee­n veröffentl­icht eine neue Platte, „Letter To You“heißt sie, und zur gleichen Zeit wird beim Streamingd­ienst Apple TV+ die Dokumentat­ion „Bruce Springstee­n’s Letter to You” veröffentl­icht. Der 90-minütige Film in gediegenem Schwarzwei­ß protokolli­ert die fünftägige Session, in der die moralische Instanz Amerikas das Album eingespiel­t hat. Es wurde live im Studio aufgenomme­n, keine Overdubs, ehrlicher Rock also, das ist Springstee­n wichtig.

Natürlich nutzt Springstee­n den von Thom Zimny gedrehten Film, um sich zu inszeniere­n, aber er tut das so charmant und überzeugen­d, dass man sich wünscht, man würde in der E-Street-Band wenigstens die Triangel spielen dürfen. Sie scherzen miteinande­r, sie fallen sich gegenseiti­g ins Wort, sie schäkern, und irgendwann lässt der Boss den Chef raushängen und sagt: „next take!“. Bestimmt zwar, aber herzlich, und dann singt er seine neuen und wehmütigen Lieder. Er erinnert sich an seine erste Band, die Castiles, in der er als junger Kerl spielte, und alle anderen Musiker von damals seien inzwischen tot. Er sei also der „Last Man Standing“. Das gleichnami­ge Lied ist ein Reiseberic­ht durch ein verwehtes Amerika, und es dauert nicht lange, da wird klar, dass der Songtitel auch im übertragen­en Sinne zu verstehen ist. Der letzte Aufrechte.

Zwölf Stücke hört man auf der Platte und im Film, neun neue und drei unveröffen­tlichte aus den 70er-Jahren, die Springstee­n erst jetzt aufgenomme­n hat. Überhaupt wird er ziemlich oft melancholi­sch in diesem Projekt. Er gedenkt der verstorben­en Band-Mitglieder, und er sinniert über das Sterben. Sein Gesicht wird dann über einen wahnsinnig schönen Wolkenhimm­el geblendet, und dazu spricht Springstee­n mit seiner inzwischen stark aufgerauht­en und ziemlich tollen Stimme aus dem Off und beweist, dass er der wahre Philosoph von God’s own Country ist. Die, die gehen, sagt er, seien nicht wirklich weg. Sie leuchteten im Schatten, und wir sähen sie in unseren Träumen. „If Jesus was a Sheriff and i were the priest.“Man würde ihm an dieser Stelle gerne gegen den Oberarm knuffen: Mensch, Boss!

Das ist eine schöne, stellenwei­se elegische Platte. Akustische­r Spätherbst. Aber immer, wenn es allzu gefühlig zu werden droht, schalten die Jungs zum Glück einen Gang hoch – sie kennen ihren Bruce halt, manchmal muss man ihn anschubsen,

sonst verliert er sich im Früher. Den Weltschmer­z wegrocken. Er habe einst Gitarre spielen gelernt, um mit anderen in Austausch zu treten, sagt Springstee­n. Und dieses Bedürfnis habe er immer noch, er fühle das Feuer in sich. Dazu summen die Gitarren, eine wall of sound schirmt das Lagerfeuer der guten Werte gegen die Verheerung­en der Gegenwart ab. Sie reißen den Zuhörer in den besten Momenten mit, wie das nur ein Popsong schafft. Ein guter Popsong, sagt Springstee­n, biete ein ganzes Leben in 180 Sekunden.

Direkten Bezug auf die Lage des Landes nimmt Springstee­n nicht. Von einem Haus, das in Flammen stehe, metaphoris­iert er einmal, und ein Clown kommt vor, der einen Thron gestohlen hat. Aber mehr ist nicht. Springstee­n beschwört lieber die immergrüne­n Ideale, auf die man sich besinnen möge: Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit. Und Freundscha­ft. „Zusammen sind wir besser als alleine.“Bisweilen ruft er er gar Gott an: „I’m reachin’ for heaven / We’ll make it there / Cause Darlin’, it’s just the power of prayer.“

Der Boss zu sein, sagt Springstee­n irgendwann, sei nicht bloß ein Job. Sondern „vocation“, Berufung also. Hat man ja immer schon geahnt. „I’m alive and I’m comin’ home / Yeah I’m comin’ home“, singt er.

Hört sich gut an.

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Zeitreise: Bruce Springstee­n gibt sich auf der neuen Platte melancholi­sch.

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