Zukunftsvisionen anlässlich der Neugliederung
1970 forderte Oberkreisdirektor Müller eine vorausschauende Kommunalpolitik. Seine Überlegungen waren für die nächsten Jahrzehnte grundlegend.
KREIS VIERSEN (plp) Allseits wurde die kommunale Neugliederung als die große Chance gesehen, das Leistungsvermögen der Städte und Gemeinden zu steigern, den Nachholbedarf gegenüber den benachbarten Großstädten abzubauen. Der innovativ denkende und zugleich durchsetzungsstarke Oberkreisdirektor Rudolf H. Müller entwickelte im selben Heimatbuch des Kreises, in dem Hinner sein opulentes Zahlenwerk vorlegte, seine Zukunftsvisionen. Was Müller im Herbst 1970 formulierte, mag sich sehr trocken lesen, enthielt aber grundlegende Überlegungen für die nächsten Jahrzehnte:
„Die kommunale Neugliederung hatte zum Ziel, die Leistungsfähigkeit der kommunalen Körperschaften zu steigern. Das Gesetz brachte dazu nur die Voraussetzung. Die Verwirklichung liegt bei den kommunalen Parlamenten und den Verwaltungen, die selbstverständlich der Unterstützung des Staates bedürfen. Die Fülle der vor uns liegenden Aufgaben ist sehr groß. Es besteht die Gefahr, dass wegen der
Vielzahl nicht alle wichtigen Aufgaben erkannt werden. Ferner besteht die Gefahr, dass die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel für zwar wünschenswerte, aber weniger dringliche Vorhaben verwendet werden und daher für äußerst wichtige Maßnahmen fehlen. Schließlich kann die bestmögliche kommunale Versorgung aller Bürger nur erreicht werden, wenn die Maßnahmen der benachbarten Städte und Gemeinden untereinander und mit dem Kreis abgestimmt sind.“
Damit sprach Müller zwischen den Zeilen die Verführbarkeit der Kommunalpolitiker an, populären Maßnahmen den Vorrang vor notwendigen zu geben, und er warb für die interkommunale Zusammenarbeit. Mit der Forderung nach einer vorausschauenden Kommunalpolitik legte er dem Kreistag 1970 den Entwurf eines Kreisentwicklungsprogramms vor. Gleichzeitig begrüßte er den für den Zeitraum von 1970 bis 1975 erarbeiteten Handlungsplan der Landesregierung, in dem er seine Vorstellungen weitgehend wieder fand: „den Wunsch, immer breiteren Schichten bessere Bildungschancen zu sichern, die wirtschaftliche Struktur des Landes rechtzeitig den sich verändernden Bedingungen anzupassen und die Wirtschaftskraft des Landes zu mehren, die Entstehung immer größerer Stadtlandschaften sinnvoll zu lenken, die Bevölkerung vor den Schäden unserer Zivilisation, der Verpestung und Vergiftung der Umwelt zu schützen und ihr den Raum zu schaffen, den sie in ihrer Freizeit für die Erholung und ihr kulturelles Engagement braucht.“– Forderungen,
die wir heute mehr oder weniger für selbstverständlich halten, die aber 1970 als durchaus fortschrittlich galten.
Eine Bewältigung der anstehenden Aufgaben in einer durchdachten Rangfolge wollte der Verwaltungschef des Kreises auch mit Hilfe einer „mittelfristigen Finanzplanung“angehen, die er schon im Oktober 1969 in Angriff genommen hatte. Das alles mag heute nicht eben aufregend wirken, für die Zeit der kommunalen Neugliederung war es signifikant und notwendig zugleich.