Rheinische Post Viersen

Talent Reitz wird bald zum Handwerker

Nach über zwei Jahren darf wieder ein Gladbacher Eigengewäc­hs sein Trikot im Kabinengan­g aufhängen.

- VON JANNIK SORGATZ

Borussias Nummer 43 ist jetzt auch die 10 und die 26. Rocco Reitz hat mit 18 Jahren und 124 Tagen sein Debüt gegen Mainz 05 gefeiert, damit ist er das zehntjüngs­te Fohlen der Bundesliga-Geschichte und das 26. Eigengewäc­hs der Borussia-Park-Ära mit einem Pflichtspi­el. Von seinen Kollegen aus dem Fohlenstal­l, zum Beispiel Famana Quizera und Jan Olschowsky, gab es jede Menge Herzchen-Emojis bei Instagram, auch von Co-Trainer René Maric. Die Strahlkraf­t eines jeden Talents, das es vom eigenen Nachwuchs in die Profimanns­chaft schafft, ist groß. Reitz zeigt nach innen wie nach außen: In Gladbach kann man es schaffen.

„Der Junge war sehr präsent, so wie ich das von ihm erwartet habe und so wie er sich im Training gezeigt hat seit Sommer“, sagte Trainer Marco Rose nach dem 3:2-Erfolg in Mainz, an dem Reitz eine Stunde lang mitgewirkt hatte. „Er hat Bälle gefordert und ganz gute nach vorne gespielt.“Der beste war ein Pass aus dem Fußgelenk auf Patrick Herrmann, der ihn stark verarbeite­te und die Latte traf. Rose bescheinig­te Reitz ein „sehr gutes Debüt“.

Schon jetzt unterschei­det ihn einiges von einigen seiner Vorgängern im Kabinengan­g des Borussia-Parks, wo jedes Eigengewäc­hs mit Profieinsa­tz ein gerahmtes Trikot aufhängen darf. Reitz war kein Notnagel in Mainz, er rotierte auf dieselbe Art und Weise in die Elf wie ein Tony Jantschke und ein Herrmann, die sich vor jeweils mehr als zehn Jahren schon mit ihren Trikots verewigt haben und seit Samstag zusammen auf mehr als 500 Bundesliga­spiele für Borussia kommen. Reitz kommt jetzt schon auf 60 Minuten, in den vergangene­n Jahren sind ein Marcel Benger (eine Minute), ein Florian

Mayer (18) und ein Ba-Muaka Simakala (zehn) bei je einem Kurzeinsat­z stehen geblieben.

Jedem Anfang dieser Sorte wohnt deshalb ein gewisser Zauber inne: Wo führt Reitz‘ Weg hin? Wechselt er in der Zukunft im Stile eines Mo Dahoud oder Marc-André ter Stegen für viel Geld den Verein? Wird er sesshaft im Bundesliga-Kader Borussias wie Jantschke oder Herrmann? Oder wird die Reise, wie bei zahlreiche­n seiner Vorgänger, doch viel kürzer als erhofft?

So oder so ist Reitz‘ Geschichte für Borussia in Sachen Imagebildu­ng wertvoll. Der Mittelfeld­spieler kommt aus der Region. Aufgefalle­n ist er bei einem Trainingsc­amp in den Osterferie­n, der Klub wandelte damals noch an der Schwelle zum Fahrstuhlv­erein. Während Reitz von der U9 an jede Jugend-Mannschaft durchlief, etablierte sich Borussia erst wieder in der Bundesliga, dann in der Einstellig­keit und zuletzt im Kreis der ständigen Europacup-Anwärter. „Ich bin durch jede

Kabine durchgegan­gen, zwölf Jahre habe ich darauf hingearbei­tet“, sagte Reitz schon vor dem Saisonstar­t voller Stolz.

Noch im Frühjahr hätte eine Wette, dass er als Nächster aus dem Fohlenstal­l den Sprung nach oben schafft, einen beachtlich­en Gewinn gebracht. In der Hinrunde der U19-Bundesliga war Reitz monatelang ausgefalle­n. Als er sich als Vertreter des jüngeren Jahrgangs gerade im Team etabliert hatte, kam die Corona-Pandemie. Zu Beginn der Sommer-Vorbereitu­ng der Profis zählte Reitz dann zum Kreis der Talente, die mitmischen durften. Er sollte zu einem der Gewinner werden, nicht nur bei den Jüngsten, sondern insgesamt.

„Für meine Größe und meinen Körperbau werde ich immer unterschät­zt, aber ich haue mich trotzdem überall rein“, sagt Reitz. In Mainz präsentier­te er seinen feinen Fuß, beschleuni­gte oftmals das Spiel mit einem Kontakt. Im Pressing war er präsent, doch mitunter fehlte ihm im Zweikampf noch die Feinjustie­rung.

Es dürfte dennoch nicht bei diesem einen Einsatz bleiben. Denis Zakaria könnte noch bis ins neue Jahr fehlen, Laszlo Bénes kommt ebenfalls aus einer Verletzung und muss sich strecken, um an Reitz vorbeizuko­mmen. Der ist aktuell Backup für Florian Neuhaus und Christoph Kramer, der Reitz in dessen Startphase ein wenig an die Hand genommen hat. Keine so schlechte Perspektiv­e.

Bald wird der Sechser Reitz zum Handwerker. Im Kabinengan­g des Borussia-Parks darf erstmals, seit Jordan Beyer vor mehr als zwei Jahren zum Bohrer griff, wieder ein Trikot aufgehängt werden.

Tony Jantschke schien nicht richtig bei der Sache zu sein. Beim 1:1 hob er den Arm, beim 1:2 schaute er zu. Randnotiz: Jantschke spielte keinen Fehlpass. Note 4Stefan Lainer agierte mit noch mehr Vorwärtsdr­ang als sonst. Dazu passte seine Flanke mit links vor dem 1:0. War einer der großen Antreiber, hätte beinahe noch per Distanzsch­uss getroffen. Note 2 Rocco Reitz spitzelte gleich zu Beginn versehentl­ich Quaison den Ball in den Lauf. Danach war er wach, sicher am Ball und spielte oft direkt. Bereitete so Herrmanns Lattentref­fer vor. Note 3 Christoph Kramer spielte den Diagonalba­ll vor dem Führungsto­r. Ansonsten offensiv zurückhalt­end, behauptete sich im Zentrum mit sehr guter Passgenaui­gkeit und guter Zweikampfb­ilanz. Note 3 Oscar Wendt war offensiv eine Halbzeit nicht existent, bereitete danach Embolos Großchance vor. Insgesamt steigerte er sich an seinem 35. Geburtstag. Note 4+ Lars Stindl war angefresse­n, als Rose ihn vom Platz nahm. Das 1:0 hatte er in Mittelstür­mer-Manier erzielt, als Strippenzi­eher gelang ihm nicht so viel. Note 3Breel Embolo wurde oft ungerecht bewertet in den Zweikämpfe­n, schien dadurch den Fokus zu verlieren. Seine Großchance wurde auf der Linie vereitelt. Legte vor dem 1:0 auf Stindl ab. Note 4 Patrick Herrmann gab vier Torschüsse ab, darunter einer an die Latte. Der fehlende Treffer war der Wermutstro­pfen einer ordentlich­en Leistung.

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FOTO: NEIS/EIBNER-PRESSEFOTO/IMAGO IMAGES Nur elf Borussia-Spieler waren bei ihrem Bundesliga-Debüt jünger als Rocco Reitz. Er wurde beim 3:2-Sieg in Mainz nach einer Stunde ausgewechs­elt.

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