Immer wieder Frankreich
Das Land ist in den vergangenen Jahren häufig zum Ziel terroristischer Anschläge geworden. Eine zentrale Rolle spielt dabei das nicht geklärte Verhältnis zwischen dem Islam und der säkularen Gesellschaft.
Frankreich wird zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage von einer brutalen Bluttat erschüttert. In Lyon wurde ein orthodoxer Priester vor seiner Kirche mit einer Schrotflinte angeschossen. Mit großer Sorge stellen sich viele Franzosen die Frage, ob es sich wieder um einen Terrorakt handeln könnte, doch das ist derzeit noch unklar.
Der Angriff auf den Priester trifft das Land in einer Phase, in der wieder einmal über die Rolle des Islam, Radikalisierung und Zuwanderung gestritten wird. Der Schock über den Angriff eines islamistischen Attentäters in der Basilika Notre-Dame in Nizza sitzt den Franzosen noch in den Knochen. Drei Menschen wurden dabei bestialisch getötet und sechs weitere verletzt. Der Angreifer, ein junger Migrant aus Tunesien, wurde von Polizisten angeschossen und liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Erst vor zwei Wochen war der Lehrer Samuel Paty in Paris von einem Attentäter enthauptet worden, nachdem er im Unterricht Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte.
Die Politik reagierte, wie sie immer nach solchen Anschlägen reagiert: Premierminister Jean Castex hat die höchste Terrorwarnstufe für das Land ausgerufen. Präsident Emmanuel Macron kündigte an, die Zahl der Soldaten zu erhöhen, die Gotteshäuser und Schulen schützen sollen. Natürlich begrüßen die allermeisten Bürger diese Demonstration der Stärke, doch gerade die Angriffe der vergangenen Tage durch radikalisierte Einzeltäter zeigen, dass diese Sicherheit eine trügerische ist. Immer mehr Franzosen stellen sich die Frage, weshalb ausgerechnet ihr Land immer wieder Ziel von solchen Terrorangriffen wird? Im Mittelpunkt steht dabei sehr das Verhältnis der Gesellschaft zum Islam.
Die meisten Erklärungsversuche gehen weit in die Kolonialzeit zurück, als
Frankreich etwa in Algerien und anderen afrikanischen Staaten das Sagen hatte. Anfangs noch ignoriert, wurden nach der Arbeitsmigration während der Wirtschaftswunderjahre in den Ballungsräumen um Paris, Lyon oder Marseille die ersten Schwierigkeiten im Zusammenleben deutlich. Wirklich reagiert hat der Staat allerdings erst, als der wachsende Islamismus etwa während des algerischen Bürgerkriegs in den 90er Jahren zunehmend das Leben in Frankreich bedrohte. In diesem Zusammenhang thematisierten vor allem junge französische Muslime immer lauter die koloniale Vergangenheit Frankreichs, was das schwierige Verhältnis vieler Muslime zur Republik deutlich werden ließ.
Ein zentrales Problem ist auch noch heute, dass es dem Staat in den Reihen der Muslime an verbindlichen Ansprechpartner fehlt. Zwar wurde 2003 der französische Islam-Rat (Conseil français du culte musulman – CFCM) eingerichtet, doch das Problem ist, dass das Gremium nur einen Bruchteil der Gläubigen repräsentiert und weit entfernt davon ist, die Gesamtheit der französischen Muslime zu repräsentieren. Seine Stimme wird bei den immer wieder mit großem Eifer geführten Diskussionen um das Kopftuch oder Halal-Essen in Schulkantinen kaum gehört.
Wesentlich mehr Erfolg mit der Selbstdarstellung haben in diesem Fall die extremen Rechten in Frankreich, die das Misstrauen in den Islam gezielt schüren. Dabei sind beide Extreme auf unheilsame und zynische Weise in ihrer Argumentation voneinander abhängig. Die Islamisten brauchen die Rechtsextremen, um behaupten zu können, dass die französische Gesellschaft rassistisch ist. Und die extreme Rechte braucht die Islamisten, um die Gefahren durch den Islam aufzubauschen und sich als Verteidiger der christlichen Zivilisation präsentieren zu können.
Allerdings hat die Angst vor Überfremdung längst die Mitte der französischen Gesellschaft erreicht. Das zeigt
Die Angst vor Überfremdung hat längst die Mitte der französischen Gesellschaft erreicht