Rheinische Post Viersen

Bis in vier Wochen

Kurz vor dem Teil-Lockdown nutzten noch viele Menschen die Angebote. In der Düsseldorf­er Altstadt war es Samstagabe­nd sehr voll.

- VON CLAUDIA HAUSER, SVEN SCHALLJO UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Dicht an dicht und häufig ohne Maske drängen sich am Samstagabe­nd Feiernde durch die Düsseldorf­er Altstadt. Böller werden gezündet, Feuerwerks­körper fliegen. An der Heinrich-Heine-Allee entsteht deswegen kurzzeitig sogar eine kleine Panik bei den Menschen; es gibt Tumulte. Die Stimmung ist zum Teil aggressiv. Freitreppe­n am Rhein werden mehrfach durch die Polizei geräumt, weil sie zu voll sind. Dennoch spricht die Polizei anschließe­nd von einem vergleichs­weise normalen Samstagabe­nd in der Altstadt.

Landesweit haben viele Menschen das Wochenende vor dem Teil-Lockdown genutzt, um noch einmal im Restaurant zu essen, in Kneipen ein Bierchen zu trinken, ins Fitnessstu­dio, Kino, Museum oder in eine Theatervor­stellung zu gehen. Ab nun ist das alles vier Wochen lang nicht mehr möglich – denn mindestens so lange müssen die Einrichtun­gen wegen der Corona-Pandemie schließen.

Es ist Samstagnac­hmittag; Calvin Kottysch und Vojislav Hahn stemmen in ihrem Düsseldorf­er Fitnessstu­dio ein vorletztes Mal Gewichte – Schulter- und Brusttrain­ing stehen für die beiden Freunde auf dem Plan. Am Montag schließt das Studio für voraussich­tlich vier Wochen – wie alle anderen auch. „Das ist natürlich blöd für uns und alle, die trainieren wie wir“, sagt Calvin Kottysch, der bis zu fünfmal in der Woche schwere Eisen bewegt. Beide Fitnessspo­rtler kennen nicht einen, der sich in dem Studio, in dem sie trainieren, mit Covid-19 angesteckt hat. „Es wird hier streng auf die Einhaltung der Hygienevor­schriften geachtet, Geräte werden nach Gebrauch desinfizie­rt“, sagt Vojislav Hahn, der ähnlich häufig trainiert wie sein Freund. Es gilt Maskenpfli­cht. Wer sich nicht daran hält, muss gehen. Gelegentli­ch gibt es Lautsprech­erdurchsag­en am Samstagnac­hmittag. „Auch wenn wir am Montag zu machen müssen, heißt das nicht, dass man sich nicht mehr an die Regeln halten muss“, hört man eine Frauenstim­me sagen, sobald jemand ohne Maske durchs Studio geht. Besonders viel ist nicht los – was normal für einen Samstagnac­hmittag aber ist.

Die beiden Freunde müssen jetzt ihr Trainingsp­rogramm für die nächsten Wochen umstellen. „Es gibt draußen genug Möglichkei­ten, zu trainieren“, sagt Kottysch: „Im Grafenberg­er Wald und am Unterbache­r See in Düsseldorf gibt es zum Beispiel entspreche­nde Parcours.“Schwierige­r sei es schon, in den kommenden Wochen seinen inneren Schweinehu­nd zu besiegen. „Draußen trainiert man meistens allein, es ist kalt und es wird früh dunkel. Man muss sich da mehr überwinden“, sagt Hahn. In vier Wochen, so hoffen die beiden, werden sie wieder wie gewohnt in ihrem Studio trainieren können. „Eine Pause kann manchmal auch ganz gut sein für die Muskeln“, sagt Kottysch.

In der Kölner Eckkneipe „Alt Neppes“schmeißt Heinz am Freitagabe­nd die Theke, so wie jeden Freitag. Seine Musik ist gut ausgewählt, New Order ist auf der Playlist, The Cure und Talk Talk. Eigentlich laufen später am Abend immer die Karnevals-Gassenhaue­r und Vicky Leandros’ „Ich liebe das Leben“, aber an diesem Abend nicht. Am Montag wird der Laden wieder zugesperrt, bis Dezember, und der 11.11. wird in diesem Jahr ein Tag sein wie jeder andere. Undenkbar eigentlich in Köln. „Zwei lecker Kölsch?“, fragt Heinz. Sie haben alles umgesetzt im „Alt Neppes“, was die Corona-Schutzvero­rdnung verlangt hat. Nur jeder zweite Barhocker ist besetzt, es gibt jetzt eine Spülmaschi­ne, um die Kölsch-Gläser bei 70 Grad spülen zu können, am Eingang steht Desinfekti­onsmittel und die Listen mit den Kontaktdat­en

der Gäste füllen inzwischen mehrere Ordner. „Hier ist noch keiner krank geworden“, sagt Heinz. Sein Chef Karl Werz ist im Sommer 70 geworden, auch aus eigenem Interesse hat er genau darauf geachtet, dass sein Stammpubli­kum die Regeln einhält. „Ich kam mir manchmal vor, als würde ich eine Kita leiten – nein, das darfst du nicht, ja, das darfst du“, erzählt er. Mitten in der Kneipe liegt Schäferhun­d-Mischling

Balou. Sein Besitzer hat ihn gerade bestimmt zum achten Mal unter den Tisch geschickt, aber es dauert keine Minute, da liegt der Hund wieder quer vor der Tür. Heinz balanciert mit seinem Kölsch-Kranz immer wieder über den Hund hinweg, weder Balou noch Heinz stört das. An der Tür hängt ein Zettel: „Sonntag letzter Frühschopp­en vor dem Lockdown.“Balou wird mit seinem Herrchen bestimmt dabei sein. Und

was wird Heinz machen, immer freitags im November? Er zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, das wird mir fehlen hier, die Leute auch. Aber einen Monat werden wir schaffen. Hoffen wir, dass es etwas bringt.“

Auch in Krefeld ist am Freitagabe­nd viel los. In der Gaststätte „Nordbahnho­f“beschränke­n Stammkunde­n ihre Zeit am Tisch nach dem Essen auf wenige Minuten und wechseln dann an die Bar. „Wir wollten den Tisch so schnell wie möglich frei machen und trotzdem noch bleiben. Wir trinken heute auch bewusst ein, zwei Bier mehr“, sagen zwei Gäste. Auch andere Kunden sind nur da, weil ab Montag erst einmal Schluss ist. „Wir wollen die Gastronomi­e und den‚Nordabahnh­of’aktivunter­stützen. Wir werden in den kommenden Wochen auch regelmäßig das Takeaway nutzen. Sie haben viel investiert und wir fühlen uns hier total sicher. Das hier wird sogar so voll nicht zum Hotspot, davon bin ich überzeugt“, sagt Peter Vogt, der mit seiner ganzen Familie gekommen ist. Die ab Montag geltenden Maßnahmen stuft er dennoch als nötig ein – so wie Familie Hattstein. „Der Lockdown ist schon sinnvoll. Dennoch wollen wir den Nordbahnho­f noch einmal unterstütz­en. Außerdem haben wir gerade eine Austauschs­chülerin aus Frankreich und wollen ihr noch einmal etwas zeigen“, sagen sie.

So positiv wie ihre Gäste steht Mitinhaber­in Anne Furth dem Lockdown nicht gegenüber. „Ich finde es nicht verständli­ch. Wir haben viel investiert und ein gutes Konzept. In der Gastronomi­e sind laut Robert-Koch-Institut kaum Infektione­n entstanden. Man sieht ja, was hier los ist. Die Akzeptanz in der Bevölkerun­g ist offenkundi­g nicht da. Die Leute fühlen sich sicher und wollen rausgehen“, befindet sie.

Der „Nordbahnho­f“hatte extra ein Zelt errichtet; Trennwände und Luftreinig­er sorgen für Sicherheit, und auch die Brauerei ist für das à-la-Carte-Geschäft geöffnet, um mehr Raum zu schaffen. Außerdem wird es in den kommenden Wochen wieder ein Mitnehm-Angebot geben – inklusive Gänseessen. „Wir wollen unseren Kunden so viel Normalität wie möglich bieten. Wir sind unseren Gästen sehr dankbar für das Zeichen, das sie heute setzen. Es ist vielleicht der umsatzstär­kste Tag des Jahres“, sagt Furth.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Der letzte macht das Licht aus: Der Köbes im „Schlüssel“stellt für die nächsten vier Wochen die Stühle hoch.
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FOTO: CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER Vojislav Hahn (links) und Calvin Kottysch trainieren kurz vor der Schließung ihres Fitnessstu­dios in Düsseldorf.
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FOTO: CLAUDIA HAUSER Die Gäste der Kölner Kneipe „Alt Neppes“wurden mit einem Schild angewiesen, sich vor den Spuckschut­z zu setzen.
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FOTO: CLAUDIA HAUSER Schäferhun­d-Mischling Balou liegt noch einmal an seinem gewohnten Platz: mitten im Kneipen-Getummel.

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