Rheinische Post Viersen

Teilen macht reich

Könige beriefen sich auf Sankt Martin. Aber seine Botschaft ist frei von Machtinter­essen.

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Zumindest im Kindergart­en ist Sankt Martin geblieben, was er schon zur Frankenzei­t war: ein wahrer Held. Ein Retter in der Not. Wer seine Geschichte hört, begreift schnell, was einen Wohltäter auszeichne­t: Opferberei­tschaft. Dem anderen etwas geben, was der dringend braucht: der halbe Mantel für den frierenden Bettler.

So weit die Legende. Mit ihr wurde zu Zeiten der Merowinger in der Spätantike Politik gemacht. Und ähnlich wie sich heute die Kleinen im Kindergart­en begeistern lassen, wurde im frühen Mittelalte­r ein ganzes Volk gewonnen für die große Idee der Barmherzig­keit. Allerdings war die christlich­e Botschaft für den Militärfüh­rer Chlodwig vor allem Mittel zur Macht. Er ließ sich Weihnachte­n, wohl im Jahr 496, aus Kalkül taufen. So war es leichter für ihn, die christlich­en Nachbarn zu unterwerfe­n und seine Herrschaft bis ins Rheinland auszuweite­n. Die Kirche war sein Türöffner, Martin sein Glaubensze­uge.

Indem der Frankenher­rscher ihn gar zum Nationalhe­iligen erhob, stellte er sich in die Nachfolge des Wohltäters. Das zahlte sich aus. 508 krönte ihn der oströmisch­e Kaiser in der Martinskir­che in Tours zum König. Chlodwig stieg noch vor Karl dem Großen zum ersten europäisch­en Herrscher auf.

Als Zeichen der gottgegebe­nen Macht führte er im Königsscha­tz den Mantel des Heiligen mit.

Wer jetzt ein wertvolles schweres rotes Tuch vor Augen hat, irrt. Denn Martin soll als römischer Reiter über seiner Rüstung die Chlamys, einen zweigeteil­ten weißen Überwurf, getragen haben. Weißer oder roter Mantel? Den Kindern ist die geschichtl­iche Wahrheit wohl egal. Sie glauben an ihren Sankt Martin, wie sie ihn mit Helm und rotem Umhang vom Martinszug her kennen. Seine Botschaft ist frei von Machtinter­essen: Teilen macht reich. So mögen die Kinder mit ihrem Loblied „Sankt Maaartin…“verkünden, was diese Zeit der Corona-Krise besonders braucht: Solidaritä­t.

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