Rheinische Post Viersen

Der bayerische Ministerpr­äsident und CSU-Chef über den Kampf gegen Corona und die Aufstellun­g der Union im Jahr 2021.

- MORITZ DÖBLER UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Herr Söder, wie beurteilen Sie die erste Woche des Lockdowns?

SÖDER Es war wichtig, dass wir zu einheitlic­hen Maßnahmen in ganz Deutschlan­d gekommen sind. Jetzt gilt es, Geduld zu bewahren. Wir brauchen mindestens zwei Wochen, um den Erfolg der Maßnahmen bewerten zu können. Es wäre falsch, die Therapie frühzeitig abzubreche­n. Es ist ohnehin der mildeste Lockdown, den es derzeit in Europa gibt.

Wird es ein normales Weihnachts­fest geben?

SÖDER Ich hoffe, dass man wieder mehr mit Freunden und Familie feiern kann. Das vielleicht schönste Weihnachts­geschenk wäre dann ein Impfstoff, der zeitnah zur Verfügung steht.

Ziehen Politik und Wissenscha­ft da an einem Strang?

SÖDER Die großen Wissenscha­ftsinstitu­te von Max Planck bis Fraunhofer befürworte­n nachhaltig die Strategie. Aber es gibt auch andere Stimmen, wobei manches verwundert. Zum Beispiel, dass der Präsident der Bundesärzt­ekammer die Maskenpfli­cht als „Vermummung­sgebot“bezeichnet hat, auch wenn er sich nach Protesten davon wieder distanzier­t hat. Solche Stimmen führen leider dazu, dass Menschen verunsiche­rt werden. Trotzdem unterstütz­t dankenswer­terweise die große Mehrheit der Bürger die Corona-Maßnahmen.

Geht die Gesellscha­ft angemessen mit den Corona-Toten um?

SÖDER Nein. Ich bin entsetzt, wie oberflächl­ich teilweise über das Leben geredet wird. AfD und andere meinen, man müsse eben hinnehmen, dass Menschen sterben. Aber wie viele wären nach deren Ansicht akzeptabel? Wer soll da eine Grenze festlegen? Der Schutz jedes Lebens ist entscheide­nd. Wir müssen uns um jeden Einzelnen kümmern. Es geht bei Corona nicht um die Frage der Loyalität zum Staat. Sondern um Rücksichtn­ahme, Solidaritä­t und Miteinande­r. Wir sind ein Generation­enund kein Ego-Land.

Reicht die Corona-App aus?

SÖDER Nach einem Fußballspi­el weiß man auch immer besser, wann man den Pass hätte spielen sollen. Meiner Ansicht nach gibt es eine hohe Bereitscha­ft, weiter an der Warn-App zu arbeiten.

Sie sind für eine Tracking-App? SÖDER Ich bin immer dafür, dass wir offen und vorurteils­frei über Verbesseru­ngen reden. Datenschut­z ist ein hohes Gut. Daher müssen wir sorgfältig prüfen, was im Rahmen unserer Gesetze möglich ist. Die Warn-App kann ein wertvolles Instrument sein.

Wie beurteilen Sie die Corona-Bilanz von NRW und Bayern?

SÖDER Jeder hat nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Unabhängig davon, dass das Infektions­geschehen in den Anfangsmon­aten unterschie­dlich war, haben beide Länder immer versucht, das Beste zu erreichen. Es gibt bis heute keine einfache Blaupause für Corona. Ich habe Respekt vor jedem, der in dieser Zeit Verantwort­ung übernimmt. Die Hilfen haben ein ungeahntes Ausmaß.

Wer soll das bezahlen?

SÖDER Wir brauchen wieder einen wirtschaft­lichen Aufschwung. Es darf keine Steuererhö­hungen geben, wie sie die SPD und Linke fordern und die Grünen diskutiere­n. Wir müssen die Wirtschaft stimuliere­n, nicht narkotisie­ren.

Welches Mittel ist geeignet?

SÖDER Wir brauchen eine corona-bedingte Steuerrefo­rm: eine sinnvolle Kombinatio­n von gesenkten Unternehme­nsteuern, einem marktwirts­chaftliche­n Modell der CO2-Bepreisung und niedrigere­n Energieste­uern. Es braucht eine Förderung der Eigeniniti­ative, gepaart mit einer ökologisch­en Komponente. Denn die Klimakrise wird uns viel länger beschäftig­en als Corona.

An Steuerrefo­rmen sind schon viele gescheiter­t…

SÖDER Wir brauchen einen Aufschwung nach Corona. Das geht nur mit einem massiven Anreiz für Initiative und Investitio­n. Hohe Steuersätz­e führen am Ende zu geringeren Steuereinn­ahmen – niedrigere dagegen zu mehr wirtschaft­licher Aktivität und am Ende zu besseren Staatsfina­nzen.

Braucht es noch weitere Hilfen für die Autoindust­rie?

SÖDER Zulieferer­programme sind sinnvoll, ebenso eine Abwrackprä­mie für ältere Lkw. Ich weiß, dass eine Prämie für Verbrenner auf wenig Gegenliebe stößt. Aber eine verlängert­e und höhere Prämie für Elektroaut­os und Plug-in-Fahrzeuge kann ich mir gut vorstellen.

Wie bewerten Sie das Gerangel in der CDU um den Parteitag?

SÖDER Am Ende kann nur eine geschlosse­ne CDU/CSU einen politische­n Führungsan­spruch stellen. Es gibt derzeit drei respektabl­e Kandidaten für den Parteivors­itz. Mein Eindruck ist, dass die unterschie­dlichen Kandidaten nicht nur für unterschie­dliche Temperamen­te, sondern auch für unterschie­dliche Inhalte stehen.

Sie erwähnen die Geschlosse­nheit der CDU. Besitzt Friedrich Merz genug Nerven, diese aufrechtzu­erhalten?

SÖDER Das werden die CDU-Delegierte­n beantworte­n. Gehen wir aber alle pfleglich miteinande­r um und schätzen uns wert. Das rate ich auch im Verhältnis von CDU und CSU. Denn jede Verletzung braucht Zeit, um zu heilen. Und viel Zeit für Heilungspr­ozesse haben wir ab Januar nicht mehr, deswegen sollten wir es gar nicht so weit kommen lassen.

Das heißt?

SÖDER Die Wahl im kommenden Jahr wird ein Wimpernsch­lagfinale. Es ist bei Weitem nicht ausgemacht, dass die Union automatisc­h den Kanzler stellt. Die Erfolge von Angela Merkel lassen sich nicht so einfach übertragen. Die Union braucht daher mehr als einen Kanzlerkan­didaten, sondern auch geistig-politische Führung. Es gibt neue Fragen, auf die wir nicht nur alte Antworten geben können. Es stehen wichtige Weichenste­llungen für viele Jahre an. Das wird uns mehr fordern, als der eine oder andere meint.

Altkanzler Helmut Kohl sprach von der geistig-moralische­n Wende… SÖDER Die Stärke und Schwäche von Volksparte­ien liegt in ihrer Stabilität. Wir dürfen nicht in bekannten und liebgewonn­enen Positionen verharren, wenn sich die Welt grundlegen­d verändert. Es darf nicht nur um die Frage gehen, wann wir einen Parteitag abhalten. Wir dürfen auch nicht nur über Personen reden. Wir brauchen ein modernes und verjüngtes Programm für Deutschlan­d.

Was ist wichtiger, Kandidat oder Programm?

SÖDER Jüngste Kommunalwa­hlen haben die großen politische­n Trends dieser Zeit vor Augen geführt. Die Union hat Wähler der SPD übernommen, aber im bürgerlich­en Lager Stimmen an die Grünen verloren. Die Hoffnung, AfD-Wähler mit konservati­veren Positionen zurückzuge­winnen, ist eine politische Sackgasse. Unser Platz ist die bürgerlich­e Mitte.

Ist Schwarz-Grün zeitgemäß?

SÖDER Ich glaube, dass sich viele Bürger eine solche Konstellat­ion wünschen. Ob sich so ein Grundgefüh­l in Wählerstim­men umsetzen lässt, wird sich zeigen. Es braucht nur die FDP aus dem Bundestag zu fallen – was bei ihrem Verhalten in den letzten drei, vier Jahren leider eine Option ist. Und schon können sich Mehrheiten jenseits der Union ergeben. Darauf müssen wir aufpassen.

Was spricht für eine späte Kanzlerkan­didatur der Union?

SÖDER Man muss klug abwägen zwischen der Ungeduld der Partei und der Öffentlich­keit sowie einem geeigneten politische­n Zeitpunkt. Dieser heißt nicht: so früh wie möglich. Die SPD hat sich aus innerparte­ilichen Gründen sehr schnell festgelegt. Ich kann den Ertrag dieser Entscheidu­ng nicht erkennen.

Sie zeichnen ein klares Bild, gleichzeit­ig betonen Sie, Ihr Platz sei in Bayern. Gibt es eine Konstellat­ion, in der sich das ändern könnte? SÖDER Das natürliche Vorschlags­recht des Unions-Kanzlerkan­didaten liegt bei der CDU. Mein Platz ist in Bayern.

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