Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef über den Kampf gegen Corona und die Aufstellung der Union im Jahr 2021.
Herr Söder, wie beurteilen Sie die erste Woche des Lockdowns?
SÖDER Es war wichtig, dass wir zu einheitlichen Maßnahmen in ganz Deutschland gekommen sind. Jetzt gilt es, Geduld zu bewahren. Wir brauchen mindestens zwei Wochen, um den Erfolg der Maßnahmen bewerten zu können. Es wäre falsch, die Therapie frühzeitig abzubrechen. Es ist ohnehin der mildeste Lockdown, den es derzeit in Europa gibt.
Wird es ein normales Weihnachtsfest geben?
SÖDER Ich hoffe, dass man wieder mehr mit Freunden und Familie feiern kann. Das vielleicht schönste Weihnachtsgeschenk wäre dann ein Impfstoff, der zeitnah zur Verfügung steht.
Ziehen Politik und Wissenschaft da an einem Strang?
SÖDER Die großen Wissenschaftsinstitute von Max Planck bis Fraunhofer befürworten nachhaltig die Strategie. Aber es gibt auch andere Stimmen, wobei manches verwundert. Zum Beispiel, dass der Präsident der Bundesärztekammer die Maskenpflicht als „Vermummungsgebot“bezeichnet hat, auch wenn er sich nach Protesten davon wieder distanziert hat. Solche Stimmen führen leider dazu, dass Menschen verunsichert werden. Trotzdem unterstützt dankenswerterweise die große Mehrheit der Bürger die Corona-Maßnahmen.
Geht die Gesellschaft angemessen mit den Corona-Toten um?
SÖDER Nein. Ich bin entsetzt, wie oberflächlich teilweise über das Leben geredet wird. AfD und andere meinen, man müsse eben hinnehmen, dass Menschen sterben. Aber wie viele wären nach deren Ansicht akzeptabel? Wer soll da eine Grenze festlegen? Der Schutz jedes Lebens ist entscheidend. Wir müssen uns um jeden Einzelnen kümmern. Es geht bei Corona nicht um die Frage der Loyalität zum Staat. Sondern um Rücksichtnahme, Solidarität und Miteinander. Wir sind ein Generationenund kein Ego-Land.
Reicht die Corona-App aus?
SÖDER Nach einem Fußballspiel weiß man auch immer besser, wann man den Pass hätte spielen sollen. Meiner Ansicht nach gibt es eine hohe Bereitschaft, weiter an der Warn-App zu arbeiten.
Sie sind für eine Tracking-App? SÖDER Ich bin immer dafür, dass wir offen und vorurteilsfrei über Verbesserungen reden. Datenschutz ist ein hohes Gut. Daher müssen wir sorgfältig prüfen, was im Rahmen unserer Gesetze möglich ist. Die Warn-App kann ein wertvolles Instrument sein.
Wie beurteilen Sie die Corona-Bilanz von NRW und Bayern?
SÖDER Jeder hat nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Unabhängig davon, dass das Infektionsgeschehen in den Anfangsmonaten unterschiedlich war, haben beide Länder immer versucht, das Beste zu erreichen. Es gibt bis heute keine einfache Blaupause für Corona. Ich habe Respekt vor jedem, der in dieser Zeit Verantwortung übernimmt. Die Hilfen haben ein ungeahntes Ausmaß.
Wer soll das bezahlen?
SÖDER Wir brauchen wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung. Es darf keine Steuererhöhungen geben, wie sie die SPD und Linke fordern und die Grünen diskutieren. Wir müssen die Wirtschaft stimulieren, nicht narkotisieren.
Welches Mittel ist geeignet?
SÖDER Wir brauchen eine corona-bedingte Steuerreform: eine sinnvolle Kombination von gesenkten Unternehmensteuern, einem marktwirtschaftlichen Modell der CO2-Bepreisung und niedrigeren Energiesteuern. Es braucht eine Förderung der Eigeninitiative, gepaart mit einer ökologischen Komponente. Denn die Klimakrise wird uns viel länger beschäftigen als Corona.
An Steuerreformen sind schon viele gescheitert…
SÖDER Wir brauchen einen Aufschwung nach Corona. Das geht nur mit einem massiven Anreiz für Initiative und Investition. Hohe Steuersätze führen am Ende zu geringeren Steuereinnahmen – niedrigere dagegen zu mehr wirtschaftlicher Aktivität und am Ende zu besseren Staatsfinanzen.
Braucht es noch weitere Hilfen für die Autoindustrie?
SÖDER Zuliefererprogramme sind sinnvoll, ebenso eine Abwrackprämie für ältere Lkw. Ich weiß, dass eine Prämie für Verbrenner auf wenig Gegenliebe stößt. Aber eine verlängerte und höhere Prämie für Elektroautos und Plug-in-Fahrzeuge kann ich mir gut vorstellen.
Wie bewerten Sie das Gerangel in der CDU um den Parteitag?
SÖDER Am Ende kann nur eine geschlossene CDU/CSU einen politischen Führungsanspruch stellen. Es gibt derzeit drei respektable Kandidaten für den Parteivorsitz. Mein Eindruck ist, dass die unterschiedlichen Kandidaten nicht nur für unterschiedliche Temperamente, sondern auch für unterschiedliche Inhalte stehen.
Sie erwähnen die Geschlossenheit der CDU. Besitzt Friedrich Merz genug Nerven, diese aufrechtzuerhalten?
SÖDER Das werden die CDU-Delegierten beantworten. Gehen wir aber alle pfleglich miteinander um und schätzen uns wert. Das rate ich auch im Verhältnis von CDU und CSU. Denn jede Verletzung braucht Zeit, um zu heilen. Und viel Zeit für Heilungsprozesse haben wir ab Januar nicht mehr, deswegen sollten wir es gar nicht so weit kommen lassen.
Das heißt?
SÖDER Die Wahl im kommenden Jahr wird ein Wimpernschlagfinale. Es ist bei Weitem nicht ausgemacht, dass die Union automatisch den Kanzler stellt. Die Erfolge von Angela Merkel lassen sich nicht so einfach übertragen. Die Union braucht daher mehr als einen Kanzlerkandidaten, sondern auch geistig-politische Führung. Es gibt neue Fragen, auf die wir nicht nur alte Antworten geben können. Es stehen wichtige Weichenstellungen für viele Jahre an. Das wird uns mehr fordern, als der eine oder andere meint.
Altkanzler Helmut Kohl sprach von der geistig-moralischen Wende… SÖDER Die Stärke und Schwäche von Volksparteien liegt in ihrer Stabilität. Wir dürfen nicht in bekannten und liebgewonnenen Positionen verharren, wenn sich die Welt grundlegend verändert. Es darf nicht nur um die Frage gehen, wann wir einen Parteitag abhalten. Wir dürfen auch nicht nur über Personen reden. Wir brauchen ein modernes und verjüngtes Programm für Deutschland.
Was ist wichtiger, Kandidat oder Programm?
SÖDER Jüngste Kommunalwahlen haben die großen politischen Trends dieser Zeit vor Augen geführt. Die Union hat Wähler der SPD übernommen, aber im bürgerlichen Lager Stimmen an die Grünen verloren. Die Hoffnung, AfD-Wähler mit konservativeren Positionen zurückzugewinnen, ist eine politische Sackgasse. Unser Platz ist die bürgerliche Mitte.
Ist Schwarz-Grün zeitgemäß?
SÖDER Ich glaube, dass sich viele Bürger eine solche Konstellation wünschen. Ob sich so ein Grundgefühl in Wählerstimmen umsetzen lässt, wird sich zeigen. Es braucht nur die FDP aus dem Bundestag zu fallen – was bei ihrem Verhalten in den letzten drei, vier Jahren leider eine Option ist. Und schon können sich Mehrheiten jenseits der Union ergeben. Darauf müssen wir aufpassen.
Was spricht für eine späte Kanzlerkandidatur der Union?
SÖDER Man muss klug abwägen zwischen der Ungeduld der Partei und der Öffentlichkeit sowie einem geeigneten politischen Zeitpunkt. Dieser heißt nicht: so früh wie möglich. Die SPD hat sich aus innerparteilichen Gründen sehr schnell festgelegt. Ich kann den Ertrag dieser Entscheidung nicht erkennen.
Sie zeichnen ein klares Bild, gleichzeitig betonen Sie, Ihr Platz sei in Bayern. Gibt es eine Konstellation, in der sich das ändern könnte? SÖDER Das natürliche Vorschlagsrecht des Unions-Kanzlerkandidaten liegt bei der CDU. Mein Platz ist in Bayern.