„Bei Musik winken die Investoren ab“
VIERSEN Mit dem Bauwagen in den großen Pausen Schulen anfahren, um Körperpercussion anzubieten, einen Flashmob in der Stadtbibliothek organisieren, eine Co-WorkingMusik-Space einrichten. Eine musikalische Kreativfabrik sollte die Musikschule sein, am Puls der Kulturszene, mit Angeboten von Klassik bis Composing, von HipHop bis DJ-Workshops. Die Viersenerin Rebecca Donner wollte Vorreiterin sein für die etwas anderen Musikangebote. Jetzt ist sie Vorreiterin im traurigen Niedergang der Kulturwirtschaft. Ende Oktober hat sie ihre private Musikschule geschlossen.
Gut 300 Musikschüler, Tendenz steigend, ein Raumareal von 500 Quadratmetern an der Malmedyer Straße in Neuwerk, eine Miete von 4000 Euro monatlich, 16 Dozenten auf Honorarbasis – das war ihre Basis vor dem Lockdown im Frühjahr. „Die Schule war auf einem guten Weg“, sagt Donner. Zum 1. August 2017 hatte die gelernte Kauffrau die private Musikschule übernommen. Eine ihrer ersten Maßnahmen: Farbtopf und Pinsel in die Hand nehmen und die Räume bunt streichen. Alle sollten sich wohlfühlen. „Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit wollte ich mir erst nach fünf Jahren stellen. Für mich war klar, dass ich die Zeit für den Aufbau brauche“, erzählt Donner.
Am 15. März kam der Lockdown, der Existenzkampf begann. Ensemble-Proben und Veranstaltungen fielen flach, die Verbindlichkeiten blieben. „Binnen einer Woche haben wir einen Online-Unterricht auf die Beine gestellt“, sagt Donner. Auch die Erarbeitung eines Hygienekonzeptes war nicht das Problem, wenngleich es Investitionen erforderte.
Der erste Dämpfer kam am Abend des Lockdowns: Einige Schüler hatten ihren Beitrag für den Monat März zurückgebucht. Kommentarlos. „Das war schon heftig. Ohne Nachfrage, ohne Kommentar.“
Die Soforthilfe von 9000 Euro nahm Donner in Anspruch, aber für den Kostenapparat der Musikschule war das ein Tropfen auf dem heißen Stein. Alle anderen Hilfsmaßnahmen passten nicht. „Die Politik weiß nicht, wie der Kulturbetrieb läuft. Die Hilfen waren für normale Firmenkonstrukte ausgelegt“, sagt die Unternehmerin. Um für ihre Dozenten Ersatzgelder beziehen zu können, hätten sie angestellt sein müssen. „In der Kultur arbeiten die meisten mit Honorarverträgen.“Auch günstige Coronakredite bekam die 40-Jährige nicht: „Das ging erst ab einem Einnahmenverlust von 60
Prozent. Da hieß es: 54,5 Prozent Verlust. Das reicht nicht.“
Mit Banken und Investoren hat Donner viele (ernüchternde) Gespräche geführt. „,Musik ist keine gute Branche.’ Das war der Tenor“, erzählt die 40-Jährige. Einen Kredit zu 7,8 Prozent hätte sie haben können, aber die Zinslast war ihr zu hoch. „Ich war ja durch den Kauf der Schule noch verschuldet.“
Eine Steuerstundung wollte die Kauffrau nicht. „Dann hätte ich ein halbes Jahr später eine hohe Nachforderung erhalten oder wäre geschätzt worden. Das Finanzamt wollte ich nicht im Nacken haben“, sagt die Kauffrau. Immerhin: Die Miete von 4000 Euro monatlich konnte sie von Frühjahr bis September reduzieren. Aber dann war
Schluss. Der Vermieter brauchte die Mieteinnahmen. Vielleicht hätten ihr die neuen Nothilfen im jetzigen zweiten Lockdown geholfen, die 75 Prozent des Umsatzes ersetzen sollen. „Aber das kommt für mich zu spät“, sagt sie.
In der zweiten Oktoberwoche wurde Rebecca Donner klar, dass sie den Existenzkampf verloren hat. „Ich wollte nicht, dass es zur Kontopfändung kommt und meine Dozenten ihr Geld nicht bekommen. Es ist ein Ende mit Schrecken, aber ich habe alles gegeben und kann morgens in den Spiegel schauen.“
Kurz vor der Schließung erhielt Donner noch einen Anruf des Mönchengladbacher Kulturbüros. „Die fragten, ob ich nicht Ensembles oder Musiker hätte, die umsonst in den Pflegeheimen spielen könnten. Unterstützung sieht anders aus“, sagt Donner.
Wie es für sie weitergeht, weiß sie noch nicht. Fest steht: Sie muss Geld verdienen. „Ich muss mich sortieren. Vermutlich wird es auf eine Privatinsolvenz hinauslaufen. Meine Bekannten meinen, dass sie sich um mich keine Sorgen machen. Aber ein Bürojob von 8 bis 16 Uhr wäre wie eine Strafarbeit für mich“, meint Donner, die mehrere Jahre sehr erfolgreich im Außendienst für eine große Firma tätig war und danach eine kleine Agentur für Webdesign hatte.
Die Musikschule war ihr Traum. Im Sommer 2018 hatte sie gesagt: „In fünf Jahren möchte ich, dass bei uns Tag und Nacht das Licht brennt. Unser Haus soll rund um die Uhr prall gefüllt sein mit Leben.“Jetzt sind in ihrer Musikschule alle Lichter ausgegangen.