Rheinische Post Viersen

„Bei Musik winken die Investoren ab“

- VON SABINE JANSSEN RP-FOTO: JÖRG KNAPPE

VIERSEN Mit dem Bauwagen in den großen Pausen Schulen anfahren, um Körperperc­ussion anzubieten, einen Flashmob in der Stadtbibli­othek organisier­en, eine Co-WorkingMus­ik-Space einrichten. Eine musikalisc­he Kreativfab­rik sollte die Musikschul­e sein, am Puls der Kulturszen­e, mit Angeboten von Klassik bis Composing, von HipHop bis DJ-Workshops. Die Vierseneri­n Rebecca Donner wollte Vorreiteri­n sein für die etwas anderen Musikangeb­ote. Jetzt ist sie Vorreiteri­n im traurigen Niedergang der Kulturwirt­schaft. Ende Oktober hat sie ihre private Musikschul­e geschlosse­n.

Gut 300 Musikschül­er, Tendenz steigend, ein Raumareal von 500 Quadratmet­ern an der Malmedyer Straße in Neuwerk, eine Miete von 4000 Euro monatlich, 16 Dozenten auf Honorarbas­is – das war ihre Basis vor dem Lockdown im Frühjahr. „Die Schule war auf einem guten Weg“, sagt Donner. Zum 1. August 2017 hatte die gelernte Kauffrau die private Musikschul­e übernommen. Eine ihrer ersten Maßnahmen: Farbtopf und Pinsel in die Hand nehmen und die Räume bunt streichen. Alle sollten sich wohlfühlen. „Die Frage nach der Wirtschaft­lichkeit wollte ich mir erst nach fünf Jahren stellen. Für mich war klar, dass ich die Zeit für den Aufbau brauche“, erzählt Donner.

Am 15. März kam der Lockdown, der Existenzka­mpf begann. Ensemble-Proben und Veranstalt­ungen fielen flach, die Verbindlic­hkeiten blieben. „Binnen einer Woche haben wir einen Online-Unterricht auf die Beine gestellt“, sagt Donner. Auch die Erarbeitun­g eines Hygienekon­zeptes war nicht das Problem, wenngleich es Investitio­nen erforderte.

Der erste Dämpfer kam am Abend des Lockdowns: Einige Schüler hatten ihren Beitrag für den Monat März zurückgebu­cht. Kommentarl­os. „Das war schon heftig. Ohne Nachfrage, ohne Kommentar.“

Die Soforthilf­e von 9000 Euro nahm Donner in Anspruch, aber für den Kostenappa­rat der Musikschul­e war das ein Tropfen auf dem heißen Stein. Alle anderen Hilfsmaßna­hmen passten nicht. „Die Politik weiß nicht, wie der Kulturbetr­ieb läuft. Die Hilfen waren für normale Firmenkons­trukte ausgelegt“, sagt die Unternehme­rin. Um für ihre Dozenten Ersatzgeld­er beziehen zu können, hätten sie angestellt sein müssen. „In der Kultur arbeiten die meisten mit Honorarver­trägen.“Auch günstige Coronakred­ite bekam die 40-Jährige nicht: „Das ging erst ab einem Einnahmenv­erlust von 60

Prozent. Da hieß es: 54,5 Prozent Verlust. Das reicht nicht.“

Mit Banken und Investoren hat Donner viele (ernüchtern­de) Gespräche geführt. „,Musik ist keine gute Branche.’ Das war der Tenor“, erzählt die 40-Jährige. Einen Kredit zu 7,8 Prozent hätte sie haben können, aber die Zinslast war ihr zu hoch. „Ich war ja durch den Kauf der Schule noch verschulde­t.“

Eine Steuerstun­dung wollte die Kauffrau nicht. „Dann hätte ich ein halbes Jahr später eine hohe Nachforder­ung erhalten oder wäre geschätzt worden. Das Finanzamt wollte ich nicht im Nacken haben“, sagt die Kauffrau. Immerhin: Die Miete von 4000 Euro monatlich konnte sie von Frühjahr bis September reduzieren. Aber dann war

Schluss. Der Vermieter brauchte die Mieteinnah­men. Vielleicht hätten ihr die neuen Nothilfen im jetzigen zweiten Lockdown geholfen, die 75 Prozent des Umsatzes ersetzen sollen. „Aber das kommt für mich zu spät“, sagt sie.

In der zweiten Oktoberwoc­he wurde Rebecca Donner klar, dass sie den Existenzka­mpf verloren hat. „Ich wollte nicht, dass es zur Kontopfänd­ung kommt und meine Dozenten ihr Geld nicht bekommen. Es ist ein Ende mit Schrecken, aber ich habe alles gegeben und kann morgens in den Spiegel schauen.“

Kurz vor der Schließung erhielt Donner noch einen Anruf des Mönchengla­dbacher Kulturbüro­s. „Die fragten, ob ich nicht Ensembles oder Musiker hätte, die umsonst in den Pflegeheim­en spielen könnten. Unterstütz­ung sieht anders aus“, sagt Donner.

Wie es für sie weitergeht, weiß sie noch nicht. Fest steht: Sie muss Geld verdienen. „Ich muss mich sortieren. Vermutlich wird es auf eine Privatinso­lvenz hinauslauf­en. Meine Bekannten meinen, dass sie sich um mich keine Sorgen machen. Aber ein Bürojob von 8 bis 16 Uhr wäre wie eine Strafarbei­t für mich“, meint Donner, die mehrere Jahre sehr erfolgreic­h im Außendiens­t für eine große Firma tätig war und danach eine kleine Agentur für Webdesign hatte.

Die Musikschul­e war ihr Traum. Im Sommer 2018 hatte sie gesagt: „In fünf Jahren möchte ich, dass bei uns Tag und Nacht das Licht brennt. Unser Haus soll rund um die Uhr prall gefüllt sein mit Leben.“Jetzt sind in ihrer Musikschul­e alle Lichter ausgegange­n.

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Rebecca Donner hat die Musikschul­e hinter sich gelassen. Die finanziell­en Belastunge­n durch die Pandemie waren zu groß. Jetzt schaut sie nach vorn – in eine ungewisse Zukunft.

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