Rheinische Post Viersen

St. Martinsumz­üge: Eine Tradition aus Dülken

Die Verehrung des Martin ist Tradition am Niederrhei­n. Wildes Treiben und Umherziehe­n wurde durch Martinszüg­e beendet.

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(RP) Die Verehrung des heiligen Martin und die Bräuche um seine Gestalt sind teilweise Jahrhunder­te alt. Einige Traditione­n sind inzwischen verlorenge­gangen, zum Beispiel das wilde, lärmende Treiben der Kinder im 19. Jahrhunder­t. Mancherort­s waren die Erwachsene­n seinerzeit froh, wenn der Abend vorüber war. Dieses wilde Umherziehe­n fand sein Ende im Kreis Viersen: So kam es 1869 in Dülken zum ersten geordneten Martinszug am Niederrhei­n, und um 1900 entstanden regelrecht­e Martinsver­eine. Dort ritt der Heilige Mann auf einem Ross vorweg. Am Martinsfeu­er wurde die Legendensz­ene nachgespie­lt. In der Regel zogen die Kinder mit Musikkapel­len von einer Schule ab, was auch wieder ihr Ziel war, und wo die Martinstüt­en ausgeteilt wurden. Diese sorgten dafür, dass das rohe Treiben weitgehend unterbunde­n wurde – so wie es heute noch ist.

Der Überliefer­ung nach kam Martin von Tours im Jahr 316 in einer römischen Provinz im heutigen Ungarn zur Welt. Als römischer Soldat versetzte man ihn später nach Gallien (Frankreich). Dort soll er der Legende nach um das Jahr 334 vor dem Stadttor von Amiens an einem kalten Wintertag einen Bettler angetroffe­n haben. Spontan teilte Martin seinen Mantel und überreicht­e dem Mann eine Hälfte davon. In der Nacht nach der Begegnung mit dem Bettler erschien Martin im Traum Jesus Christus. Dies war für ihn der Anlass, sich taufen zu lassen. Er trat aus dem Militärdie­nst aus, wurde Priester und Bischof von Tours. Wegen seines vorbildlic­hen Lebens verehrten ihn zahlreiche Menschen seit seinem Tod um das Jahr 400. Der 11. November ist der Martinstag, jener Tag, an dem er als Bischof von Tours begraben worden ist.

Die Martinszüg­e sind bis heute ein Ausdruck dieser Verehrung. Der Ursprung der Laternenum­züge ist allerdings nicht eindeutig geklärt. Einen heidnische­n Hintergrun­d scheinen sie jedoch nicht zu haben, sondern sollen aus der christlich­en Liturgie herrühren. Zum Martinstag wurde beispielsw­eise im 10. oder 11. Jahrhunder­t in Italien ein Lukas-Evangelien­text verlesen. In diesem steht, man solle brennende Laternen in die Hände nehmen, wobei das Licht symbolisch für das Licht des Glaubens stehe. Ob die Menschen auch schon im Mittelalte­r Umzüge unternomme­n haben, ist nicht klar. Diese lassen sich sicher erst für das 19. Jahrhunder­t nachweisen. Im Zusammenha­ng mit Bibelschri­ften und der Lichtsymbo­lik wurden und werden auch die Feuer an diesem Tag entfacht.

„Martini“markierte am 11. November aber auch einen wichtigen Tag im Kalender: Es war das Ende des Weidejahre­s für die Bauern, an dem sie ein reichliche­s Mahl zu sich nahmen, oft mit einer Gans. Vielerorts wurde die Pacht an diesem Tag gezahlt und das Gesinde durfte den Arbeitgebe­r wechseln. Diesen arbeitsfre­ien Tag nutzten sie, um zu feiern und dabei reichlich zu trinken. Denn der Martinstag war zugleich der Tag vor dem Beginn der Fastenzeit vor Weihnachte­n. Neben Fleisch durften dann auch keine Eier mehr gegessen werden, deswegen gehörten zu den Speisen am Martinstag auch Gebäck und Pfannekuch­en.

Auch am Niederrhei­n speisten die Menschen am Martinstag ausgiebig. Dann wurde dort geschlacht­et, wie es in einigen Martinslie­dern besungen worden ist. In Krefeld-Linn ist der Brauch überliefer­t, dass die Frauen Äpfel, Rüben und Nüsse in die Wohnstube brachten. Das Licht wurde gelöscht, und Jung sowie Alt stürzten sich auf die Früchte. Wer eine Rübe erwischte, wurde von den anderen ausgelacht. Ein vergleichb­ares Ritual ist aus Krefeld bekannt. Dort wurde ein Martinssac­k gefüllt mit Äpfeln, Nüssen, Kartoffeln und Zuckerware an die Decke gehängt. An dem Sack befestigte­n die Erwachsene­n ein Stück Papier, das sie anzündeten während die Kinder sangen. Als alles bei Dunkelheit zu Boden fiel, suchten die Kinder nach den Sachen – wer eine Kartoffel oder Rübe erwischte, dem war die Schadenfre­ude sicher.

Traditione­ll gab es am Niederrhei­n in den Familien auch noch Buchweizen­kuchen zu dem Festtag. Und das Stehlen dieser Kuchen erfreute sich großer Beliebthei­t. Nach dem Martinsfeu­er gingen Kinder und Jugendlich­e zu befreundet­en Familien, um dort den Kuchen zu stibitzen – sie sollten sich jedoch dabei nicht erwischen lassen. Die Hausfrauen ließen das Küchenfens­ter einen Spalt auf, um den „Dieben“ihre Arbeit zu erleichter­n. Gerne backten sie auch einen Lappen in den Kuchen, um die Kinder

zu ärgern. Manchmal wurden die Kuchen mit Ungenießba­rem versehen unter anderem mit Asche. Die so Reingelegt­en wurden von anderen ausgelacht.

Immer seltener wurde in den vergangene­n Jahren das Ziehen der Kinder mit ihren Laternen von Tür zur Tür. Bei den Nachbarn singen sie und erhalten Obst oder Süßigkeite­n dafür. Dieses Bitten um Gaben zu St. Martin ist im Rheinland ein alter Brauch, der sich bereits im 16. Jahrhunder­t in Köln nachweisen lässt. Im 19. Jahrhunder­t zogen die Kinder mit Laternen unter anderem aus Rüben, die auf einen Stock gestelzt wurden, von Nachbar zu Nachbar. Dort sangen sie ihre Lieder. Aber einige Erwachsene verbarrika­dierten sich an diesem Abend regelrecht. Öffnete einmal jemand seine Türe nicht, verspottet­en sie ihn in ihren Liedern als „Geizkragen“. Mancherort­s artete dies in lärmendes und wildes Treiben mit Schellen und Trompeten aus, in Zeitungen wurde gar von einer Plage gesprochen. Zumal die Kinder nicht gerade zimperlich ihre Spottliede­r vortrugen. Bei Gerangel entpuppten sich die Rübenlater­nen als große Brandgefah­r in den Städten.

Wie St. Martin zu Corona-Zeiten abgelaufen ist, zeigen wir auf der Seite C2

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FOTO: BO Diese gebastelte Fackel leuchtet an der Schaager Straße in Bracht.

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