Rheinische Post Viersen

Ende der rot-grünen Freundscha­ft

Die SPD hat ihre Tonlage gegenüber dem bisherigen Wunschpart­ner deutlich verschärft: Widersprüc­he zwischen grün mitregiert­en Ländern und der Parteispit­ze wollen die Genossen künftig konsequent aufdecken.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Rot-Grün, das war einmal die Lieblingsk­onstellati­on vieler Sozialdemo­kraten und vieler Grüner. Doch neuerdings wählt die SPD eine andere Tonlage gegenüber der Ökopartei. „Die Konzepte der Grünen stecken oft voller Widersprüc­he“, sagt Carsten Schneider, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der SPD-Bundestags­fraktion. Die Grünen seien in der Vergangenh­eit zu leicht mit überzogene­n Forderunge­n durchgekom­men, etwa nach einem Stopp für alle Autobahn-Neubauten. Die SPD wolle die Grünen künftig nicht mehr schonen, sondern energische­r kritisiere­n. Der Strategiew­echsel ist zwar nicht ganz neu, doch erst jetzt, immerhin rechtzeiti­g vor Beginn des Bundestags­wahlkampfs 2021, wird das Grünen-Bashing der SPD häufiger wahrgenomm­en. Längst sind die Grünen der SPD in Umfragen enteilt, sie liegen konstant auf Platz zwei hinter der Union, während die SPD mancherort­s Mühe hat, Platz drei zu behaupten.

Demoskopen sehen einen der Gründe in der wenig wahrnehmba­ren Abgrenzung von den Grünen, die der SPD im linken Spektrum viele Wähler abgenommen haben. „Die SPD hat die Grünen über Jahre gemästet, weil sie entweder selbst grün geworden ist oder weil sie sich zu wenig abgegrenzt hat“, sagt etwa Manfred Güllner, Chef des Berliner Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa. SPD-Stammwähle­r, etwa Facharbeit­er in der Industrie, hätten „die Anbiederun­g der SPD an die Grünen nie verstanden“, so Güllner.

Die Union aus CDU und CSU kann sich über die neue SPD-Tonlage freuen, denn auch sie sieht in den Grünen den gefährlich­sten Gegner. Doch die Chance, die Grünen von rechts und links in die Zange zu nehmen, lässt die Union bisher allerdings ungenutzt: Spätestens mit der coronabedi­ngten Verschiebu­ng des CDU-Parteitags im Dezember ist der Machtkampf um die Parteispit­ze entbrannt. Kandidat Friedrich Merz hielt die Partei lieber mit Attacken gegen das vermeintli­che CDU-„Establishm­ent“um den Konkurrent­en, den nordrhein-westfälisc­hen Ministerpr­äsidenten Armin Laschet, in Atem als mit Angriffen auf die Grünen. Ob sich das mit einem neuen Parteivors­itzenden – sollte er denn im Januar wirklich gekürt werden – ändert? Fraglich.

Seit Wochen üben sich vor allem die Sozialdemo­kraten darin, nicht mehr mit den Grünen zu kuscheln, sondern sich ihnen bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t in den Weg zu stellen. Mutig geht etwa Franziska Giffey voran. Die Bundesfami­lienminist­erin will im nächsten Herbst Regierende Bürgermeis­terin von Berlin werden – und sucht neue Wähler in der bürgerlich­en Mitte. Die Verkehrspo­litik der Grünen, die eine autofreie Innenstadt anstreben und eine „City-Maut“einführen wollen, nennt die SPD-Politikeri­n „wirklichke­itsfremd“. Eine Maut wirke wie eine „virtuelle Mauer“und „Berlin hat genug Mauern gehabt“, so Giffey. Statt dessen will die frühere Neuköllner Bezirksbür­germeister­in das U-Bahn-Netz für zwei Milliarden Euro ausbauen. In Berlin regieren die Sozialdemo­kraten zwar mit den Grünen und den Linken, doch von Koalitions­treue will Giffey nichts mehr wissen.

Widersprüc­he bei den Grünen haben die Sozialdemo­kraten auch in Hessen ausgemacht, wo die Ökopartei zusammen mit der CDU regiert. Gegen den Weiterbau der Autobahn 49, die Kassel mit Neuental im Schwalm-Eder-Kreis verbindet, machen Umweltbewe­gte und Grüne gemeinsam mobil. Sie wollen den Dannenröde­r Forst nahe Homberg/Ohm im Vogelsberg­kreis, einen dichten Wald mit uralten Bäumen, vor der Rodung retten. Parteichef­in Annalena Baerbock und der Fraktionsv­orsitzende Anton Hofreiter haben sogar den Stopp aller deutschen Autobahn-Neubauten gefordert.

Doch vor Ort in Hessen, so behaupten die Sozialdemo­kraten, haben die Grünen nichts gegen den Weiterbau der A 49 getan. „2015 haben die hessischen Grünen noch die zügige Realisieru­ng der Autobahn 49 gefordert, jetzt wollen Frau Baerbock und Herr Hofreiter einen generellen Baustopp. Käme das so, wäre das eine Gefahr für unser Land“, wettert der SPD-Bundespoli­tiker Schneider. „Die Straße bleibt das Rückgrat unserer Wirtschaft und für die Mobilität vieler Menschen, gerade auf dem Land.“

Auch in der Asylpoliti­k wollen die Sozialdemo­kraten den Bundesgrün­en nicht mehr durchgehen lassen, wie sie sich als reine Menschenre­chtspartei inszeniert. Baden-Württember­g, regiert vom Grünen Winfried Kretschman­n, sei das Bundesland mit der höchsten Zahl der Abschiebun­gen von gescheiter­ten Asylbewerb­ern, erklärte SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich unlängst im Bundestag.

Meinungsfo­rscher Güllner sieht gute Chancen für die SPD, durch Entzauberu­ng der Grünen Mitte-Links-Wähler zurückzuge­winnen. „Die Grünen sind nach wie vor keine geschlosse­ne Partei, das versucht die Bundesspit­ze nur mit allen Mitteln zu überdecken“, ist Güllner überzeugt. „Natürlich gibt es immer noch die Realos auf der einen und die Linken auf der anderen Seite, die sich nicht grün sind.“Es sei nur geschickt vom Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck, inhaltlich­e Konflikte mit ihrem „Wohlfühl-Politiksti­l“zu verschleie­rn.

Der SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz hat zwar aus heutiger Perspektiv­e nur eine einzige Option, nach der Wahl im kommenden Jahr Bundeskanz­ler zu werden – und zwar in einem Bündnis mit Linken und Grünen. Doch daraus dürfe die SPD nicht schließen, die Grünen im Wahlkampf verschonen zu müssen, betont Meinungsfo­rscher Manfred Güllner und stellt fest: „Koalitione­n kann man nach Wahlen immer noch bilden. Dass Rot-Rot-Grün die einzige klare Machtoptio­n für Olaf Scholz ist, sollte ihn nicht daran hindern, die Grünen anzugreife­n.“

„Stammwähle­r haben die Anbiederun­g der SPD an die Grünen nie verstanden“Manfred Güllner Meinungsfo­rscher

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