Die WhatsApp-Gruppe ist für den Moment die Ersatz-Kurve
Borussias Fans dürfen derzeit wegen der Corona-Pandemie nicht ins Stadion gehen. Es gibt verschiedene Arten, mit dem Entzug umzugehen.
Als die neue Saison anfing, hatte Matthias Küppers kein gutes Gefühl. „Ich hatte Angst, dass unser Fanclub stirbt“, gesteht der 52-Jährige aus dem Mönchengladbacher Ortsteil Venn, wo am 12. Dezember 2012 der Borussia-Fanclub „Vennatic“gegründet wurde. 34 Mitglieder hat Club, der unter der Nummer 1182 bei Borussia registriert ist. „Viele waren eher negativ, sie hatten keine Lust auf die Geisterspiele“, sagt Küppers. „Den Scheiß schaue ich mir nicht an“, hörte er ständig.
Wegen der Corona-Pandemie durften bisher nur wenige Zuschauer zu den Spielen in den Borussia-Park, 10.683 waren es offiziell bei den drei Liga-Heimpartien. Etwas mehr als 10.000 sahen das 1:1 gegen Union Berlin, 300 durften gegen den VfL Wolfsburg dabei sein, das Topspiel gegen RB Leipzig und das Champions-League-Treffen mit Real Madrid waren Geisterspiele.
Auch die Auswärts-Highlights in Dortmund, Köln und Mailand sowie bei Schachtar Donezk in Kiew fielen flach für die Fans. „Es ist traurig“, sagt Küppers.
Die Pandemie lässt keine Nähe zu. Zwar dürfen, so es nicht einen allgemeinen Lockdown gibt, die Trainingseinheiten besucht werden, doch Selfies, Autogramme und kurze Gespräche wie sonst üblich, gibt es nicht. Und es fehlten die gemeinsamen Stadionerlebnisse. „Es geht da ja nicht nur um Fußball, sondern auch um die Atmosphäre, darum, Freunde zu treffen“, sagt Küppers. Fußball ist auch ein sozialer Ort. Jetzt ist nicht einmal Rudelgucken erlaubt. Zuletzt gab es Fan-Normalität im Borussia-Park am 7. März gegen Borussia Dortmund, vor fast neun Monaten. Die Fans haben diverse Arten, mit dem Entzug umzugehen.
„Es spielt sich zwischen zwei Extremen ab. Einmal sind da die, die sagen: Wir kommen erst wieder, wenn alle wieder kommen dürfen, das sind vor allem die Ultras. Auf der anderen Seite sind die, die jede Gelegenheit nutzen, im Stadion dabei zu sein, und wenn man einer von 300 ist“, sagt Michael Weigand, Sprecher des Gladbacher Fanprojekts. „Für den Verein und die Spieler ist wichtig, dass sie merken, dass die Fans auch in dieser Zeit hinter ihnen stehen, und wenn es nur ein paar Menschen im Stadion sind“, sagt Weigand.
Es gibt allerdings auch die Fans, denen die „neue“Freiheit, das Leben
eben nicht mehr ganz nach dem Spielplan auszurichten, vor allem familiär Pluspunkte einbringt. „Wann ist man sonst so oft samstags daheim“, sagt Weigand. Dass der große Boom des Fußballs, den es vor der Pandemie gab, weitergeht, glaubt Weigand nicht. Aber er sieht auch nicht das Ende der Fankultur nahen. Natürlich gibt es Fans, die zugeben, dass die Distanz eine gewisse Entfremdung mit sich bringt. Doch dass dies ein allgemeiner Trend wird unter den Gladbach-Fans, das befürchtet das Fanprojket
nicht. „Wir haben schon oft im Vorstand über die Situation gesprochen, da machen wir uns relativ wenig Sorgen“, sagt Weigand.
Borussias Fans haben eine tief verwurzelte Bindung zum Verein, gerade die älteren Generationen. „Diese Bindung hält es auch aus, wenn man, auch welchem Grund auch immer, mal ein Jahr nicht ins Stadion gehen kann. Auch der ständige Dialog der Fans mit dem Verein ist da wichtig“, sagt Weigand. Auch Matthias Küppers glaubt, dass die älteren Fans derzeit emotional im Vorteil sind. „Wir kennen ja die Bökelberg-Zeiten, als es noch Spiele mit unter 10.000 Zuschauern gab“, sagt er. Weigands persönliches erstes Stadion-Erlebnis war ein solches. „Das war 1984 ein DFB-Pokal-Spiel gegen Blau-Weiß Berlin. Da waren 6000 Fans da. Die Stimmung hat mich trotzdem fasziniert und mit dem Borussia-Virus infiziert.“
Die Fans haben sich auf gewisse Weise mit der Pandemie-Situation
arrangiert, auch die Mitglieder des Fanclub „Vennatic“. „Erst war da eine Delle, aber jetzt ist die Lust wieder da. Das liegt an den tollen Spielen, die Borussia macht, vor allem in der Champions League. Und daran, dass man sich mit dem Trainer und dem Team identifizieren kann“, sagt Küppers.
Manche Fans treffen sich in Videochats gar mit Bier und Grillwurst gerüstet, meist sind es aber normale Chat-Gruppen, in denen die Spiele in virtueller Gemeinsamkeit erlebt werden. „300 bis 400 Nachrichten“zählt Küppers pro Spiel, Weigand berichtet von geschriebenen Tor-Schreien mit extrem vielen „o“. In den WhatsApp-Gruppen wird gemeinsam gefeiert und gelitten und gemeckert. „Die WhatsApp-Gruppe ist für den Moment die neue Kurve. Es ist kein Ersatz, jeder will wieder ins Stadion. Aber so lange es nicht geht, kann man sich hier mit anderen Luft machen“, sagt Matthias Küppers.