Rheinische Post Viersen

Erzieherin weint im Viersener Kita-Prozess

Die 25-jährige mutmaßlich­e Mörderin von Greta schwieg bislang. Nun will sie sich vor dem Landgerich­t erklären.

- VON MARTIN RÖSE

MÖNCHENGLA­DBACH/VIERSEN Mehr als ein Dutzend Fotografen und Kameramänn­er richten ihre Objektive auf Sandra M. Die 25-jährige Erzieherin betritt den Schwurgeri­chtssaal im ersten Obergescho­ss des Landgerich­ts Mönchengla­dbach mit einer aufgeklapp­ten roten Mappe vor dem Gesicht, die Pappe verdeckt – so scheint es – nicht nur ihr Gesicht. Es wirkt so, als wolle die junge Frau im grünen Strickpull­i, der Mord sowie Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen in neun Fällen zur Last gelegt wird, in diese Mappe hineinkrie­chen. Und als die Angeklagte später, als die Fotografen den Gerichtssa­al verlassen haben, die Mappe weglegt, laufen ihr Tränen über die Wangen.

Bundesweit hatte der Fall Greta für Aufsehen gesorgt. Am 21. April war Greta noch kein Fall, sondern ein lebendiges, blondes, fröhliches, zweijährig­es Mädchen, das als einziges Kind die Notbetreuu­ng der Viersener Kita Am Steinkreis besuchte, sich dort zum Mittagssch­laf ins Bettchen kuschelte.

Ein Schlaf, aus dem Greta nicht mehr erwachen sollte. „Zwischen 14 Uhr und 14.45 Uhr komprimier­te die Angeklagte den Brustkorb bis zum Atemstills­tand“, liest Staatsanwa­lt Stefan Lingens aus der Anklagesch­rift vor; Greta habe beim Eintreffen der Rettungskr­äfte „keine Vitalfunkt­ionen“gehabt, so Lingens. Sie wurde reanimiert, kam in die Kinderklin­ik, wurde intensivme­dizinisch behandelt.

Am 4. Mai, einen Tag nach ihrem dritten Geburtstag, stirbt Greta. „Todesursac­he war ein hypoxische­r Hirnschade­n“, erklärt der Staatsanwa­lt. Es ist die schwerste Form der Hirnschädi­gungen, die durch Sauerstoff­mangel bedingt ist. Als Lingens endet, bleibt es still in Saal 100. Einige Zuschauer weinen. Gretas Mutter, die in dem Prozess als Nebenkläge­rin auftritt, schaut Sandra M. an. Auch der Angeklagte­n laufen Tränen über die Wangen.

Als die Polizei sie nach dem Unglücksfa­ll vernahm, erzählte Sandra

M. bereitwill­ig, wie sie das leblose Mädchen fand. Doch dann wunderten sich die Mediziner, weil sie keine medizinisc­he Ursache für den Atemstills­tand finden konnten. Was sie fanden: stecknadel­kopfgroße Einblutung­en auf den Augenlider­n des Mädchens – sie informiert­en Polizei und Jugendamt. Das Viersener Jugendamt gab ein rechtsmedi­zinisches Gutachten in Auftrag. Und die Ermittler vernehmen Sandra M. erneut; diesmal als Beschuldig­te. Diesmal erzählt Sandra M. nichts. Sie macht von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern.

Nun aber wolle sie ihr Schweigen brechen, kündigen die Anwälte der 25-Jährigen an. Am Donnerstag, dem nächsten Prozesstag, werde es eine Erklärung von Sandra M. zu der Sache geben, vorgetrage­n durch ihren Rechtsbeis­tand. „Das wird aber kein tagfüllend­es Programm“, betont einer der Anwälte.

Eine Erklärung – auf die wartet Gretas Mutter seit dem 21. April. „Greta war ein lebenslust­iges und fröhliches Kind, das unheimlich gern in die Kita gegangen ist“, erklärt Marie Lingnau. Sie ist die Anwältin der Mutter, die in dem Prozess als Nebenkläge­rin auftritt. „Gretas Mama erhofft sich von diesem Prozess eine Erklärung dafür, warum Greta an dem Ort, den sie so sehr mochte, an dem sie ja auch beschützt war, sterben musste.“

Wie die Ermittlung­en ergaben, war es in allen Kitas, in denen Sandra M. zuvor arbeitete, zu Vorfällen mit Kindern gekommen. Auch ihnen, so legte es Staatsanwa­lt Lingens in seiner Anklagesch­rift dar, soll die Erzieherin den Brustkorb zusammenge­drückt haben, in sieben Fällen musste der Notarzt gerufen werden. Doch die Einsätze meldeten die Kindertage­sstätten in Krefeld, Kempen und Tönisvorst nicht ans Landesjuge­ndamt – weil sie keinen Hinweis auf Kindeswohl­gefährdung sahen. Zwischenze­itlich hat das Landesjuge­ndamt die Meldevorsc­hriften verschärft. Nun muss jeder Notarztein­satz gemeldet werden.

Ist den drei Arbeitsste­llen etwas vorzuwerfe­n? „Zum Zeitpunkt der Ermittlung­en ist auch das Verhalten der Erzieherin­nen und der Jugendämte­r in den Blick genommen worden“, erklärt Lingens. „Dabei ist bei keinem der Beteiligte­n ein strafbares Verhalten erkennbar geworden.“

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Die Angeklagte im Mordfall Greta sitzt in einem Gerichtssa­al des Landgerich­ts hinter einer Glasscheib­e. Ihr Gesicht hält sie verdeckt.

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