Im Eiltempo zum neuen Corona-Gesetz
Die Novelle zum Infektionsschutzgesetz soll an diesem Mittwoch durch Bundestag und Bundesrat gehen.
BERLIN Ende Oktober lehnte sich Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus noch weit aus dem Fenster. Der Bundestag sei bei den Corona-Regelungen ausreichend beteiligt, Änderungen vorerst nicht nötig, sagte der CDU-Politiker in der Debatte über die Regierungserklärung der Kanzlerin. Doch an diesem Mittwoch wird es eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes geben, in dem der Bundestag die bisherigen weitgehenden Blanko-Vollmachten für den Gesundheitsminister und die Länder in präzise Vorgaben verändert und die Berichtspflicht der Regierung ans Parlament ausbaut. Das Problem: Union und SPD pauken das Gesetz im Eilverfahren durch. Am Mittwochmittag sollen die abschließende Debatte und Abstimmung stattfinden, der Bundesrat tritt ebenfalls zusammen, sodass der Bundespräsident das Gesetz noch am selben Tag unterschreiben kann.
Die Eile steht einer breiten Debatte in der Öffentlichkeit entgegen. Abgeordnete berichteten in den Tagen vor der Abstimmung, sie würden von Tausenden von E-Mails überflutet, in denen vor einem neuen „Ermächtigungsgesetz“wie zu Beginn der NS-Zeit gewarnt werde. CSU-Landesgruppenchef Alexander
Dobrindt sagte am Dienstag, allein sein Büro habe bis zum Vormittag etwa 37.000 solcher Nachrichten erhalten. Die überwiegende Mehrzahl sei gleichlautend mit identischen Textstellen. Urheber? Unbekannt. „Ich sehe die Änderungen im Infektionsschutzgesetz kritisch, aber dieser gefährliche Unsinn über ein angebliches Ermächtigungsgesetz und das absichtliche Missverstehen machen mich sehr betroffen“, schrieb dazu Konstantin Kuhle (FDP) bei Twitter. Am Mittwoch soll es Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen und rechten Gruppen in Berlin geben, in Brandenburg durchsuchten Staatsschützer der Polizei am Dienstag die Wohnung von Attila Hildmann, der sich selbst einen Verschwörungsprediger nennt.
Die Koalition hat sich zu diesem Tempo entschlossen, um eine bessere Grundlage für die in der nächsten Woche erwarteten Verschärfungen der Corona-Auflagen in den Händen zu haben. Gerichte hatten eine Reihe von Freiheitseinschränkungen wieder aufgehoben – unter anderem unter Hinweis darauf, dass die entsprechend eindeutige gesetzliche Grundlage fehle. So gibt es jetzt einen detaillierten Katalog möglicher Maßnahmen, die zur Eindämmung einer Pandemie ergriffen werden können. Dazu gehören Ausgangs-, Kontakt- und Reisebeschränkungen sowohl für den öffentlichen als auch den privaten
Raum, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, das Schließen von Übernachtungsangeboten, Gaststätten und Geschäften des Groß- und Einzelhandels sowie Verkaufs- und Konsumverbote für Alkohol auf bestimmten Plätzen.
Die von Gerichten ebenfalls monierte fehlende Abwägung findet sich nun im Gesetz, mit der Vorgabe, dass bei den einschränkenden Maßnahmen nicht allein der Gesundheitsschutz betrachtet werden dürfe, sondern dass auch „soziale und wirtschaftliche Aspekte abzuwägen“seien. Ein größeres Hindernis wird laut Gesetzesnovelle nun bei Einschränkungen der Religionsausübung und des Demonstrationsrechtes festgelegt. In diese dürfe nur eingegriffen werden, wenn „keine anderen Möglichkeiten“gegeben seien, dem Infektionsschutz Rechnung zu tragen.
Der FDP-Pandemie-Experte Andrew Ullmann kritisierte, dass sich das Gesetz ausschließlich auf Infiziertenzahlen pro 100.000 Einwohner beziehe. Das sei unzureichend und werde der Sache nicht gerecht. Er sieht die „Gefahr, dass die Änderungen im Infektionsschutzgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht nicht Bestand haben werden“. Dies würde dann „einen großen Schaden für die Pandemie-Bekämpfung bedeuten“, sagte er dieser Redaktion.