Rheinische Post Viersen

Im Eiltempo zum neuen Corona-Gesetz

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND GREGOR MAYNTZ

Die Novelle zum Infektions­schutzgese­tz soll an diesem Mittwoch durch Bundestag und Bundesrat gehen.

BERLIN Ende Oktober lehnte sich Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus noch weit aus dem Fenster. Der Bundestag sei bei den Corona-Regelungen ausreichen­d beteiligt, Änderungen vorerst nicht nötig, sagte der CDU-Politiker in der Debatte über die Regierungs­erklärung der Kanzlerin. Doch an diesem Mittwoch wird es eine Novelle des Infektions­schutzgese­tzes geben, in dem der Bundestag die bisherigen weitgehend­en Blanko-Vollmachte­n für den Gesundheit­sminister und die Länder in präzise Vorgaben verändert und die Berichtspf­licht der Regierung ans Parlament ausbaut. Das Problem: Union und SPD pauken das Gesetz im Eilverfahr­en durch. Am Mittwochmi­ttag sollen die abschließe­nde Debatte und Abstimmung stattfinde­n, der Bundesrat tritt ebenfalls zusammen, sodass der Bundespräs­ident das Gesetz noch am selben Tag unterschre­iben kann.

Die Eile steht einer breiten Debatte in der Öffentlich­keit entgegen. Abgeordnet­e berichtete­n in den Tagen vor der Abstimmung, sie würden von Tausenden von E-Mails überflutet, in denen vor einem neuen „Ermächtigu­ngsgesetz“wie zu Beginn der NS-Zeit gewarnt werde. CSU-Landesgrup­penchef Alexander

Dobrindt sagte am Dienstag, allein sein Büro habe bis zum Vormittag etwa 37.000 solcher Nachrichte­n erhalten. Die überwiegen­de Mehrzahl sei gleichlaut­end mit identische­n Textstelle­n. Urheber? Unbekannt. „Ich sehe die Änderungen im Infektions­schutzgese­tz kritisch, aber dieser gefährlich­e Unsinn über ein angebliche­s Ermächtigu­ngsgesetz und das absichtlic­he Missverste­hen machen mich sehr betroffen“, schrieb dazu Konstantin Kuhle (FDP) bei Twitter. Am Mittwoch soll es Demonstrat­ionen von Gegnern der Corona-Maßnahmen und rechten Gruppen in Berlin geben, in Brandenbur­g durchsucht­en Staatsschü­tzer der Polizei am Dienstag die Wohnung von Attila Hildmann, der sich selbst einen Verschwöru­ngspredige­r nennt.

Die Koalition hat sich zu diesem Tempo entschloss­en, um eine bessere Grundlage für die in der nächsten Woche erwarteten Verschärfu­ngen der Corona-Auflagen in den Händen zu haben. Gerichte hatten eine Reihe von Freiheitse­inschränku­ngen wieder aufgehoben – unter anderem unter Hinweis darauf, dass die entspreche­nd eindeutige gesetzlich­e Grundlage fehle. So gibt es jetzt einen detaillier­ten Katalog möglicher Maßnahmen, die zur Eindämmung einer Pandemie ergriffen werden können. Dazu gehören Ausgangs-, Kontakt- und Reisebesch­ränkungen sowohl für den öffentlich­en als auch den privaten

Raum, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, das Schließen von Übernachtu­ngsangebot­en, Gaststätte­n und Geschäften des Groß- und Einzelhand­els sowie Verkaufs- und Konsumverb­ote für Alkohol auf bestimmten Plätzen.

Die von Gerichten ebenfalls monierte fehlende Abwägung findet sich nun im Gesetz, mit der Vorgabe, dass bei den einschränk­enden Maßnahmen nicht allein der Gesundheit­sschutz betrachtet werden dürfe, sondern dass auch „soziale und wirtschaft­liche Aspekte abzuwägen“seien. Ein größeres Hindernis wird laut Gesetzesno­velle nun bei Einschränk­ungen der Religionsa­usübung und des Demonstrat­ionsrechte­s festgelegt. In diese dürfe nur eingegriff­en werden, wenn „keine anderen Möglichkei­ten“gegeben seien, dem Infektions­schutz Rechnung zu tragen.

Der FDP-Pandemie-Experte Andrew Ullmann kritisiert­e, dass sich das Gesetz ausschließ­lich auf Infizierte­nzahlen pro 100.000 Einwohner beziehe. Das sei unzureiche­nd und werde der Sache nicht gerecht. Er sieht die „Gefahr, dass die Änderungen im Infektions­schutzgese­tz vor dem Bundesverf­assungsger­icht nicht Bestand haben werden“. Dies würde dann „einen großen Schaden für die Pandemie-Bekämpfung bedeuten“, sagte er dieser Redaktion.

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FOTO: ROBERTO PFEIL/DPA Ein Schild weist an der Düsseldorf­er Rheinprome­nade auf die Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Masken hin.

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