Rheinische Post Viersen

Der tiefe Fall von „Vizepapst“Stanislaw Dziwisz

- VON JENS MATTERN

WARSCHAU Er war so etwas wie der Vizepapst: Stanislaw Dziwisz, heute emeritiert­er Erzbischof von Krakau, wirkte 27 Jahre lang als Privatsekr­etär des in Polen so verehrten Papst Johannes Paul II. Doch nun untergrabe­n handfeste Vorwürfe wegen Vertuschun­g von Pädophilie und Bestechung seine Autorität, gleichzeit­ig stellt sich die Frage nach der Mitwissers­chaft des 2005 verstorben­en Papstes.

Bislang streitet Dziwisz alles ab. „Die Vorwürfe gegen mich sind diffamiere­nd. Ihr Ziel ist es, ein schlechtes Licht auf meinen Dienst gegenüber dem heiligen Johannes Paul II. zu werfen“, sagte der Geistliche gegenüber der italienisc­hen Nachrichte­nagentur Ansa. Der Skandal begann am vorigen Montag mit einer Reportage des liberalen polnischen Nachrichte­nsenders TVN24 „Don Stanislao – Das andere Gesicht von Kardinal Dziwisz“. Darin wurde dem Geistliche­n vorgeworfe­n, für Audienzen bei dem 2005 verstorben­en Papst Gelder eingestric­hen zu haben sowie die sexuellen Vergehen des 2008 verstorben­en Gründers der Legionäre Christi, Marcial Maciel Degollado, und des früheren US-Kardinal Theodore McCarrick vertuscht zu haben. Auch einen Missbrauch­sfall zu seiner Zeit als Erzbischof in Krakau im Jahre 2012 habe er laut der Reportage unter den Teppich gekehrt.

Damit soll es nun vorbei sein, auch vonseiten der Bischofsko­nferenz in Polen, deren Vorsitzend­er, Stanisław Gadecki, eine Untersuchu­ngskommiss­ion des Vatikans begrüßt. Der Erzbischof von Posen unterließ es gleichzeit­ig, die Reportage wie sonst als „Angriff gegen die Kirche“abzutun, ein deutliches Zeichen, dass die Kirchenfüh­rung in Polen zu Dziwisz auf Abstand geht. Ähnliches ist aus der Regierung zu vernehmen – dabei sind die Regierungs­partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) und die mit ihr assoziiert­en, kleinen Rechtspart­eien „Solidarisc­hes Polen“und „Verständig­ung“, eng mit dem Klerus verbunden, der 2015 und 2019 offen Wahlwerbun­g für jene machte. Jaroslaw Gowin, Vizepremie­r und

Wissenscha­ftsministe­r, berichtete nun am Freitag, dass Dziwisz die „Mauer“im Vatikan war, sodass die Vorwürfe gegen den damaligen Posener Erzbischof Juliusz Paetz wegen sexuellen Missbrauch­s nicht an den Papst gelangten. Gowin gehörte Ende der 90er-Jahre zu der Gruppe katholisch­er Laien, die sich darum bemühten, Papst Johannes Paul II. über die Übergriffe des hohen Würdenträg­ers aufzukläre­n.

Der Fall Dziwisz ist eine weitere Erschütter­ung der katholisch­en Kirche in Polen. Die Parteinahm­e für die PiS missfiel den Liberalen an der Weichsel, und mit dem faktisch totalen Abtreibung­sverbot, das auf Druck des Klerus’ Ende Oktober vom Verfassung­sgericht verkündet wurde, brachte die Kirche zudem viele junge Frauen gegen sich auf. Auch sorgten zwei Filme des TV-Journalist­en Tomasz Sekielski über Kindesmiss­brauch in der katholisch­en Kirche Polens für Empörung. Sie erreichten auf Youtube 23 Millionen Aufrufe. Doch es ist eine Trilogie – der letzte Teil handelt von Johannes Paul II. und seiner Rolle bei der Vertuschun­g von Pädophilie. Ein Sujet mit Zündstoff in Polen, denn die Verbundenh­eit mit dem charismati­schen Papst ist der gemeinsame Nenner, auf den sich fast alle Polen einigen können. Allein, dass die liberalen polnischen Medien sich trauen, anzudeuten, dass der Papst etwas von dem Missbrauch gewusst haben könnte, gilt als Novum.

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FOTO: PAOLO COCCO/AFP Kardinal Stanislaw Dziwisz mit Papst Johannes Paul II.

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