Rheinische Post Viersen

Fiebermess­en ist auch keine Lösung

China und die Ukraine haben es getan – aber was bringt die Temperatur­messung vor Geschäften und an Flughäfen für die Corona-Erkennung? Reichlich wenig, sagen Wissenscha­ftler. Und zwar nicht nur aus medizinisc­hen Gründen.

- VON REGINA HARTLEB

DÜSSELDORF Wenn es doch so einfach wäre. Wenn man mit einer kurzen Temperatur­messung sofort alle diese Fragen beantworte­n könnte: Bin ich möglicherw­eise infiziert mit Sars-CoV-2? Darf ich in Geschäften einkaufen? Kann ich die Großeltern im Altenheim oder die Freundin im Krankenhau­s besuchen? Darf ich ins Flugzeug steigen? Dann müssten wir uns nicht um die Gesundheit­sversorgun­g unserer Gesellscha­ft sorgen; Millionen wären heute nicht in ihrer Existenz bedroht.

Aber so einfach ist es leider nicht. Das Fiebermess­en auf die Schnelle ist definitiv kein entscheide­nder Teil zur Lösung der Corona-Pandemie. Zwar nutzen manche Länder diese Strategie zur Kontrolle möglicherw­eise Erkrankter, etwa China oder die Ukraine. Im Sommer mussten auch Spanien- und Italienurl­auber bangen, ob sie den Fiebertest nach der Landung bestehen. Das Unternehme­n Apple verärgerte nach dem ersten Lockdown nicht nur Kunden, die zum Start der Wiedereröf­fnung am Eingang der Geschäfte ihre Körpertemp­eratur messen lassen mussten. Es alarmierte damit auch den hessischen Datenschut­zbeauftrag­ten. Trotzdem denken auch in der Arbeitswel­t Unternehme­n darüber nach, an den Werkstoren Wärmebildk­ameras für automatisc­he Temperatur­messungen ihrer Beschäftig­ten einzusetze­n. Wer dort durch eine erhöhte Körpertemp­eratur auffällt, muss draußen bleiben.

Aber was bringt eine Messung der Temperatur wirklich für die Bekämpfung der Pandemie? Natürlich

kann Fieber das Symptom einer Corona-Erkrankung sein – kann. Muss aber nicht. Daten des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass nicht einmal die Hälfte der Sars-CoV-2-Infizierte­n überhaupt Fieber entwickelt.

Darüber hinaus kann eine erhöhte Körpertemp­eratur Ausdruck vieler Erkrankung­en sein und ist somit ein sehr unspezifis­ches Symptom für Covid-19. Außerdem lässt sich moderates Fieber recht einfach mit frei verkäuflic­her Arznei aus jeder Apotheke senken – im Zweifelsfa­ll also gezielt verschleie­rn.

Eine weitere Rolle spielt die bei Covid-19 recht lange Inkubation­szeit, also die Zeit, in der jemand bereits infiziert ist, aber noch keine Symptome entwickelt hat. Es gibt Menschen, die sind ansteckend für andere, obwohl sie keine oder kaum Symptome entwickeln. Andere wiederum sind bereits in der frühen Phase der Erkrankung infektiös, aber beschwerde­frei. All diese Betroffene­n werden von einer Fiebermess­ung überhaupt nicht erfasst.

Unter anderem deshalb kommen Wissenscha­ftler und Mediziner im „Epidemiolo­gischen Bulletin“des RKI zu dem Schluss, dass eine Temperatur­messung etwa an deutschen Flughäfen keinen Sinn hat: „Insgesamt werden Entry- und Exit-Screening-Maßnahmen an Flughäfen mit Temperatur­messungen bei der Covid-19-Bewältigun­g in Deutschlan­d für ineffektiv und der mögliche Mehrwert für vernachläs­sigbar eingeschät­zt“, schreiben sie.

Dabei haben die Experten nicht nur den (nicht gegebenen) medizinisc­hen Nutzen analysiert. Für eine groß angelegte Fiebermess­ung von

Reisenden und Pendlern würde ihrer Einschätzu­ng nach etwa auch die Logistik eine Rolle spielen: Mehr als 124 Millionen Menschen haben 2019 an den 24 größten deutschen Verkehrsfl­ughäfen eingecheck­t. Woher sollte das Personal für eine systematis­che Messung kommen? Wo sollten sich Testperson­en, Wartende und möglicherw­eise Infizierte in dieser Zeit aufhalten? Außerdem: Wer ein solches System an Flughäfen

einführt, müsste sinnvoller­weise auch über die Kontrolle an anderen Einreiseor­ten nachdenken, so die Fachleute.

Ein weiteres und ebenso gewichtige­s Argument gegen flächendec­kende Fiebermess­ungen sind rechtliche Unklarheit­en: Was ist mit dem Datenschut­z? Sind Körpertemp­eraturen personenbe­zogene Daten? Und wie sieht es mit der Verhältnis­mäßigkeit aus? Lauter knifflige Fragen, mit denen sich Juristen beschäftig­en müssen. Wird die Fiebermess­ung etwa am Eingang eines Geschäfts durchgefüh­rt, ohne Identifizi­erung der Person, wären es wohl keine personenbe­zogenen Daten. Wenn der Kunde anschließe­nd aber an der Kasse mit seiner Kreditkart­e bezahlt, ist die Sachlage eine völlig andere.

Und was ist, wenn bei Mitarbeite­rn einer Firma Fieber gemessen wird? Hier wären dies eindeutig personenbe­zogene Daten, aber: Ein Unternehme­n darf in gewissem Ausmaß solche Daten seiner Mitarbeite­r führen. Es gelten spezielle Gesetze und betrieblic­he Regeln. Nur: Gehört Fiebermess­en dazu? Der Laie mag denken: Wohl eher nicht. Juristen würden wahrschein­lich antworten: Kommt drauf an.

Erhöhte Temperatur ist nicht spezifisch für Covid-19 und lässt sich relativ leicht verschleie­rn

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