Infiziert, aber ohne Symptome
Eine Münchner Studie offenbart eine hohe Dunkelziffer bei Corona-Infektionen unter Kindern.
MÜNCHEN (ha) Die Diskussion um Schulschließungen hat durch eine Studie des Helmholtz-Zentrums München weitere Nahrung bekommen. Mit einem neuen Verfahren maßen Wissenschaftler bei Kindern eine sechsfach höhere Infektionsrate als ursprünglich angenommen.
Was wurde gestestet?
Die Forscher in München verfolgten einen neuen Ansatz der Antikörper-Messung, der wesentlich spezifischere Ergebnisse liefert als bisherige Verfahren. Unter Leitung von Anette Ziegler entwickelten sie eine Art Testverfahren mit doppeltem Boden. Dies gilt erst dann als positiv, wenn Antikörper auf zwei Bausteine des Coronavirus Sars-CoV-2 reagiert haben. Durch dieses zweistufige Verfahren und zwei erforderliche Positiv-Reaktionen erzielen sie eine wesentlich höhere Genauigkeit (95 Prozent) und nach eigenen Angaben eine 100-prozentige
Spezifität. „Es gibt bei diesem Verfahren keine falsch-positiven Ergebnisse“, sagt Markus Hippich, Erstautor der Studie. Erfahrungen mit dieser Strategie hatten die Wissenschaftler bereits aus einer bayernweiten Studie zur Früherkennung von Typ-I-Diabetes bei Kindern. Die Wissenschaftler untersuchten zwischen Januar und Juli 12.000 Blutproben bayerischer Kinder und Jugendlicher im Alter zwischen einem und 18 Jahren auf Antikörper gegen Sars-CoV-2.
Was ergab die Studie?
In Proben aus den Monaten April bis Juli reagierten 0,87 Prozent im neuen Antikörpertest zweifach positiv. Im Vergleich zu den vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Ernährung gemeldeten Fällen von Kindern in Bayern unter 18 Jahren war die Antikörperhäufigkeit im gleichen Zeitraum sechsmal höher. Unterschiede zwischen den Geschlechtern
zeigten die Ergebnisse nicht. Aber es bestätigte sich eine weitere Beobachtung: Kinder sind sehr häufig infiziert, ohne die typischen Symptome zu haben. Knapp die Hälfte der Kinder mit Antikörpern (47 Prozent) hatte keine coronatypischen Beschwerden.
Wie sind die Ergebnisse ins aktuelle Infektionsgeschehen einzuordnen? „Grund für Panik gibt es nicht“, betont Markus Hippich auch im Hinblick auf den Präsenzunterricht an Schulen. Einen eindeutigen Rat mag der Wissenschaftler hierzu nicht abgeben, aber: Trotz der sechsfach höheren Werte dürfe man das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren. „Insgesamt liegen wir bei Kindern immer noch bei einer Prävalenz von etwa einem Prozent“, erklärt er. Das bedeutet: Unter 100 Infizierten ist ein Kind. Vor der Studie war man von einer wesentlich höheren Dunkelziffer ausgegangen, „von bis zu zehnfach höheren Werten“, so der Biologe. Er betont ausdrücklich: „Antikörper gegen Infektionen wie Sars-CoV-2 sind erst nach mehreren Wochen im Blut nachweisbar.“Somit liefern Daten von Antikörpertests grundsätzlich ein zeitversetztes Abbild der Infektionslage.
Wie aussagekräftig ist die Studie? „12.000 Proben sind in der Wissenschaft eine relevante Zahl“, erklärt Markus Hippich. Damit seien die Ergebnisse durchaus repräsentativ. Allerdings habe man einen Querschnitt durch die jüngere Bevölkerung untersucht, aber keine Informationen über einzelne Infektionsketten erlangt.
Wäre das neue Verfahren auf Proben von Erwachsenen anwendbar?
Ja, das Testprinzip ist für alle Blutproben geeignet. Eine hohe Dunkelziffer hält Hippich auch bei Erwachsenen für „gut vorstellbar“.