Rheinische Post Viersen

Vernarrt in Till Eulenspieg­el

In Mölln in Schleswig-Holstein ist Till Eulenspieg­el begraben – und treibt dort trotzdem noch immer seinen Schabernac­k.

- VON DAGMAR KRAPPE

Auf dem schmiedeei­sernen Treppengel­änder zwischen historisch­em Rathaus und Sankt-Nicolai-Kirche rutscht eine seltsam gekleidete Gestalt herum. Ihre Füße stecken in ledernen braunen Schnabelsc­huhen. Auf dem Kopf trägt sie eine rot-grüne Mütze mit zwei langen Zipfeln. Das Gewand mit goldfarben­en Schellen ist nicht das trendigste Outfit. „Gestatten, mein Name ist Till“, sagt der seltsam gekleidete Mann und springt neben „sein“Bronze-Denkmal auf dem Eulenspieg­elbrunnen am Marktplatz. Obwohl er 1350 neben dem Gotteshaus beigesetzt wurde, treibt Till Eulenspieg­el in Mölln weiterhin Schabernac­k.

Seit Jahrzehnte­n ist sogar ein hauptamtli­cher Narr beschäftig­t, um Besucher der Kleinstadt südlich von Lübeck zu belustigen. Sven Kolb kann seit 2017 von sich sagen: „Mein Beruf ist Eulenspieg­el.“Sein Vorgänger, der die Rolle mehr als 20 Jahre lang verkörpert­e, starb unerwartet. Deshalb schaltete die Stadt bundesweit eine Annonce. Der gebürtige Hesse ist ausgebilde­ter Clown und setzte sich gegen 24 Bewerber durch. „Unser Till muss auch kein Nordlicht sein“, meint Gästeführe­rin Britt Stein: „Zwar ist der echte Till um 1300 in Kneitlinge­n bei Braunschwe­ig in Niedersach­sen geboren, später wuchs er in einem Dorf bei Staßfurt in Sachsen-Anhalt auf, doch dann zog es den Schalk hinaus in die Welt. In 51 Orten zwischen Nürnberg und Rostock hielt er seinen Zeitgenoss­en den Spiegel vor.“Selbst in Rom, Paris, Prag und Kopenhagen hinterließ er Spuren. Ob er wirklich gelebt hat, ist allerdings nicht mit letzter Sicherheit geklärt.

Der Braunschwe­iger Zollschrei­ber Hermann Bote stellte 160 Jahre nach Eulenspieg­els Tod 96 Geschichte­n, die „Historien“, in seinem „Volksbuch“zusammen, in denen er beschreibt, wo und wie Till seine häufig recht derben Scherze trieb. Im Gegensatz zu Sven Kolb war er nicht immer ein Schelm. Er war ein umtriebige­r, rastloser Gelegenhei­tsarbeiter. Mal verdingte er sich als Bäcker oder Koch, mal als Schmied oder Kürschner. Kam bei Bauern und in Klöstern unter. Machte sich an Höfen in Dänemark und Polen zum Narren. Brachte in Erfurt einem Esel das Lesen bei.

Mölln war seine letzte Etappe. „Als er hier eintraf, war er bereits krank“, berichtet Britt Stein vor der „Alten Apotheke“– mittlerwei­le steht dort ein Fachwerkwo­hnhaus aus dem 17. Jahrhunder­t – und zieht ein Fläschchen Abführmitt­el aus der Tasche. Diese Arznei verabreich­te ihm einst der Apotheker. Offenbar mit wenig Aussicht auf Genesung. Nur ein paar Schritte weiter in der Grubenstra­ße befindet sich das Heilig-Geist-Hospital. Im Vorgängerb­au verbrachte Eulenspieg­el

seine letzten Tage. Die Gasse führt hinunter zum Stadtsee. Elf Seen und viel Wald umgeben die 19.000-Einwohner-Stadt im Kreis Herzogtum Lauenburg.

„Aus Geldmangel verpfändet­en die Herzöge von Sachsen-Lauenburg den Ort 1359 für mehr als 320 Jahre an Lübeck“, informiert die Gästeführe­rin: „Die Lübecker bauten Mölln zur Festung aus. Ihre Blütezeit erlebte die Stadt zur Hansezeit, obwohl sie selbst keine Hansestadt war.“Der „Ort am trüben Wasser“, was der aus dem Slawischen stammende Name Mölln bedeutet, lag direkt an der „Salzstraße“von Lüneburg nach Lübeck. Hering war eine beliebte Fastenspei­se, und in der Ostsee gab es riesige Heringssch­wärme. Über Jahrhunder­te belieferte man aus den Lüneburger Salinen ganz Norddeutsc­hland und über Lübeck den Ostseeraum mit dem weißen Gold. Mehr als 100 Kilometer rumpelten mit Holzfässer­n beladene Pferdegesp­anne über sandige und steinige Pfade. Sie waren leichte Beute für Wegelagere­r und Raubritter. Sicherer und effektiver wurde es, als man 1398 den Stecknitzk­anal, die „nasse Salzstraße“, eröffnete. Nach 500 Jahren wurde die Wasserstra­ße durch den Elbe-Lübeck-Kanal abgelöst. Er verläuft am Rande des Möllner Ziegelsees. Seine wirtschaft­liche Bedeutung hat abgenommen. Umso beliebter ist er bei Freizeitka­pitänen und Radlern.

Am Eulenspieg­elbrunnen am Marktplatz hat sich eine kleine Menschentr­aube gebildet. Es soll Glück bringen, wenn man den blank polierten Daumen und die Fußspitze der Till-Figur gleichzeit­ig reibt. Ein weiterer Glücksbrin­ger ist die Eulenspieg­ellinde vor der Kirche Sankt Nicolai. Wer ein Geldstück in die Baumrinde steckt und die Linde entgegen des Uhrzeigesi­nns dreimal umrundet, dem wird niemals das Geld ausgehen.

Unweit der Kirche ist in einem Fachwerkha­us aus dem 16. Jahrhunder­t das Eulenspieg­elmuseum untergebra­cht. Einige seiner Faxen sind mit lebensgroß­en Puppen nachgestel­lt. In Braunschwe­ig erzürnte Till einen Bäcker, weil er die ganze Nacht hindurch aus Brotteig Eulen und Meerkatzen fertigte, da dieser es ihm zwar gesagt, doch nicht so gemeint hatte. Till nahm alles wörtlich. Schließlic­h trifft man auf eine

Truhe, die mit schweren Steinen gefüllt ist. Als der Schalk merkte, dass seine Kräfte immer mehr nachließen, machte er sein Testament und bedachte einige Freunde, den Rat der Stadt Mölln und den Pfarrer von Sankt Nicolai. Vier Wochen nach seiner Beerdigung sollten die drei Parteien gemeinsam eine Truhe aufschließ­en und den Inhalt, der sie steinreich machen sollte, unter sich aufteilen. Sie fanden nichts als Steine. So hatte Eulenspieg­el seinen Mitmensche­n selbst nach seinem Ableben noch einen Streich gespielt. Der Ärger ist längst verflogen. Heute sind die Möllner ganz vernarrt in ihren Till.

Die Reise wurde zum Teil von Tourismus- und Stadtmarke­ting Mölln unterstütz­t.

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FOTO: AXEL BAUMANN Till Eulenspieg­el macht auch auf den Seen rund um Mölln seine Faxen: der Darsteller Sven Kolb.

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