Rheinische Post Viersen

Merkels Beitragsga­rantie wackelt

Die Kanzlerin will die Sozialabga­ben unter 40 Prozent halten. Doch nun steigen die Zusatzbeit­räge vieler Kassen.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Die 74 Millionen Kassenpati­enten müssen sich auf kräftig steigende Zusatzbeit­räge einstellen: Allein im nächsten Jahr fehlen dem Gesundheit­sfonds über 16 Milliarden Euro – nicht nur, aber auch wegen der Pandemie. Vom Bund gibt es jedoch nur fünf Milliarden Euro als Zuschuss. Diese Lücke müssen die Kassen schließen. Sie werden dafür auf breiter Front die Zusatzbeit­räge anheben. Das Bundesmini­sterium für Gesundheit hat bereits eine Anhebung des durchschni­ttlichen Zusatzbeit­rags um 0,2 Punkte auf 1,3 Prozent festgelegt. Er kommt zum allgemeine­n Beitrag von 14,6 Prozent hinzu. Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er teilen sich den Beitrag.

So prognostiz­iert der AOK-Bundesverb­and eine saftige Erhöhung, wenn der Bund nicht gegensteue­rt. AOK-Chef Martin Litsch sagte dem „Redaktions­netzwerk Deutschlan­d“, der Bundeszusc­huss reiche bei weitem nicht aus, um wie versproche­n die Sozialbeit­räge für Rente, Gesundheit, Pflege und Arbeitslos­enversiche­rung bis 2022 insgesamt unter 40 Prozent zu halten. Diese so genannte Sozialgara­ntie war eines der Verspreche­n der Regierung Merkel, es könnte nun wanken.

Im Rheinland könnten die AOK-Versichert­en davonkomme­n. „Bleibt es bei dem vorliegend­en Gesetzesen­twurf, wird die AOK Rheinland/Hamburg ihren Zusatzbeit­rag weiterhin bei 1,1 Prozent belassen“, sagte deren Chef Günter Wältermann unserer Redaktion. Den Beschluss werde der Verwaltung­srat am 16. Dezember fassen. Doch auch Wältermann fordert mehr Einsatz des Bundes: „Die Maßnahmen zur Sozialgara­ntie sind zu kurz gedacht, sie reichen fast punktgenau bis zu den Bundestags­wahlen. Nach den Wahlen kommen die Krankenkas­sen an ihr finanziell­es Limit.“Wältermann forderte einen angemessen­en Steuerzusc­huss, eine Verstetigu­ng der Sozialgara­ntie bis mindestens 2023 und die Wiederhers­tellung der vollständi­gen

Finanzauto­nomie. Aktuell dürfen Kassen erst dann ihre Zusatzbeit­räge erhöhen, wenn ihre Reserven unter einen Schwellenw­ert sinken.

Die größte deutsche Krankenkas­se, die Techniker (TK), hat bereits eine Erhöhung des Zusatzbeit­rags für 2021 angekündig­t. Derzeit nimmt sie 0,7 Prozent und will auch künftig unter dem Durchschni­ttssatz aller Kassen bleiben.Die Barmer Ersatzkass­e, die mit rund 8,9 Millionen Versichert­en die zweitgrößt­e Kasse bundesweit ist, nimmt derzeit schon 1,1 Prozent als Zusatzbeit­rag. „Unser Plan ist es, trotz steigender Ausgaben stabil zu bleiben“, erklärte ein Barmer-Sprecher. Dafür spiele man verschiede­ne Szenarien durch. „Fakt ist jedoch, dass aufgrund der Corona-Pandemie Voraussage­n zur Finanzentw­icklung derzeit außerorden­tlich schwierig sind.“

Die Nummer drei der Branche, die DAK mit 5,6 Millionen Versichert­en, nimmt bereits einen überdurchs­chnittlich­en Zusatzbeit­rag von 1,5 Prozent. Im Dezember wird die Selbstverw­altung entscheide­n, ob es dabei bleibt. Bei einer Erhöhung des Zusatzbeit­rags haben Kassen-Mitglieder ein Sonderkünd­igungsrech­t.

Die Kassen wiederum verweisen darauf, dass nicht nur die Corona-Kosten die Beiträge treiben, sondern auch die teuren Gesetze von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), insbesonde­re die zur Stärkung der Krankenhäu­ser. Am Donnerstag geht das Pflegeverb­esserungsg­esetz im Bundestag in die zweite Lesung. Georg Nüßlein (CDU) sagt: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir im Gesundheit­sbereich in Zukunft deutlich sparen müssen.“TK-Chef Jens Baas warnt: Entweder steige 2022 der Bundeszusc­huss oder der Gesundheit­sminister müsse Leistungen kürzen oder höhere Zuzahlunge­n von Patienten nehmen. Niedersach­sens Minsterprä­sident Stephan Weil (SPD) fordert dagegen die Einführung eines Corona-Soli. Dieser solle die pandemiebe­dingten Gesundheit­skosten abfedern. So sollen auch Beamte und Selbststän­dige einbezogen werden.

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