Rheinische Post Viersen

Wie Joni Mitchell wurde, wer sie ist

Eine Box versammelt Lieder, die die Kanadierin vor ihrem Debüt aufnahm.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Sie hieß damals noch Roberta Joan Anderson, sie war erst 20, und sie spielte Ukulele und sang eine Version von „House Of The Rising Sun“, die so schön ist, dass man gleich morgen nach New Orleans ziehen möchte. 1963 war das, und es ist die früheste Aufnahme jener Frau, die man heute als Joni Mitchell kennt und die vielleicht die größte lebende Popkünstle­rin ist.

„Joni Mitchell Archives – Vol. 1: The Early Years (1963–1967)“heißt die Box mit fünf CDs, auf der diese Ausgrabung zu finden ist. Die Box bietet nicht den handelsübl­ichen Kleinkram, den Plattenfir­men häufig aus den Archiven großer Musiker kehren. Diese Veröffentl­ichung von Liedern, die Mitchell vor Veröffentl­ichung ihrer Debüt-LP „Song To A Seagull“(1968) einspielte, ist essentiell, weil sie dokumentie­rt, wie Mitchell wurde, wer sie ist. Und das Sensatione­lle dabei ist gar nicht mal, dass aus dem unbekannte­n Mädchen Joni Mitchell wurde. Sondern: mit welcher Geschwindi­gkeit. Innerhalb

von drei Jahren entwickelt­e die heute 77-Jährige ihre Art zu spielen und zu singen. Und vor allem: ihre einzigarti­ge Weise, von sich selbst zu erzählen.

Der DJ einer Radiostati­on in Saskatoon erkannte ihr Talent, und er lud sie ein, Aufnahmen zu machen. Umarmen möchte man ihn noch so viele Jahre später dafür, dass er Joni Mitchell überredete, die Ukulele gegen die Gitarre einzutausc­hen.

In der Sammlung enthalten ist ein Konzert, das Joni Mitchell 1967 in Ann Arbor gab. Die Aufnahmen wurden erst vor zwei Jahren gefunden, und sie beweisen, wie falsch Mitchell mit ihrer Selbsteins­chätzung liegt, sie sei damals ja nur „ein Mädchen auf Helium“gewesen, das Folk gespielt habe. Sie musiziert hier bereits nahe am Jazz, sie hat eine Polio-Erkrankung überwunden, eine kurze Ehe beendet und ein Kind geboren und zur Adoption freigeben, weil der Vater lieber alleine ins warme Kalifornie­n gehen wollte. So steht sie also da, kurz vor Weihnachte­n, und singt eine erste Version des zu Herzen gehenden „Little Green“über ihre Tochter, das offiziell erst 1971 auf ihrem Meilenstei­n „Blue“erscheinen sollte: „Born with the moon in cancer / Choose her a name she will answer to.“

Diese Box ist für das Verständni­s des Werks von Joni Mitchell so erhellend wie die „Anthology“-Reihe für das der Beatles. Im Begleithef­t erklärt sie, warum sie mit sieben Jahren den Klavierunt­erricht aufgegeben hat. Sie möge die Stücke spielen, wie die Meister es vorgegeben haben, mahnte ihr Lehrer. Mitchell entgegnete: „Ich habe keine Meister, denen ich folgen möchte.“

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FOTO: DPA Joni Mitchell 1968, als sie ihre Debüt-LP veröffentl­ichte.

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