Rheinische Post Viersen

Ich fürchte um meinen Traumjob

-

DÜSSELDORF Wäre heute ein normaler Arbeitstag, hätte mein Wecker um viertel nach drei geklingelt. Und so wäre der Tag weitergega­ngen: Um sechs Uhr mit dem Flieger nach London, Zwischenst­ation. Kaffee mit einer Kollegin. Rückflug nach Düsseldorf, nächster Flieger, dieses Mal nach München. Am Mittag wieder zurück. Mein Arbeitstag als Stewardess vor der Pandemie war abwechslun­gsreich. Ich habe es geliebt, auf unterschie­dliche Fluggäste zu treffen, jeden Tag mit anderen Kollegen zusammenzu­arbeiten und etwas von der Welt zu sehen. Das ist jetzt vorbei.

Heute trinke ich erst um acht Uhr meinen Kaffee, sitze in der Küche, streichle meine Hündin Ginger. Mein Mann ist zur Arbeit gefahren. Vor mir liegt ein langer freier Tag. Zumindest kommt er mir lang vor. Ich arbeite heute nicht. Kaum einer fliegt mehr, also tue ich es auch nicht. Obwohl das als Flugbeglei­terin bei Eurowings mein Job ist. Ich bin in Kurzarbeit. Und das kann manchmal belastend sein.

Ginger wedelt mit dem Schwanz. Sie freut sich darauf, gleich mit mir eine Runde spazieren zu gehen. Ginger ist die große Gewinnerin in der Pandemie: Noch nie hatte ich so viel Zeit für meinen Hund wie in diesem Jahr. Das ist schön, und anfangs habe ich das ziemlich genossen. Weil mein Ehemann im Vertrieb arbeitet und nicht in Kurzarbeit ist, müssen wir uns finanziell keine großen Sorgen machen.

Wir haben einen Garten, genügend Platz, um uns auch mal aus dem Weg zu gehen. Andere Kollegen, vor allem die Alleinsteh­enden und erst recht die alleinerzi­ehenden Mütter und Väter, sind da schlechter dran. Viele haben sich darum bemüht, noch andere Jobs zu machen, damit das Geld reicht: Sie arbeiten im Supermarkt, haben im Sommer bei der Ernte geholfen oder in Krankenhäu­sern und Pflegeeinr­ichtungen

mit angepackt.Im März ahnten wir noch nicht, was da mit uns Flugbeglei­terinnen und Flugbeglei­tern passiert: Viele sind noch Mitte des Monats in den Urlaub geflogen, obwohl der Lockdown nahte. Deshalb habe ich mir erst einmal keine Gedanken gemacht. Doch dann haben wir mit Rückholflü­gen Tausende Fluggäste aus ihren Urlaubsort­en am Mittelmeer zurückgebr­acht.

Am häufigsten war ich im Frühjahr auf den Balearen, um dort noch die letzten Urlauber nach Hause zu holen. Als wir das geschafft hatten, wurde es ruhig. Im Mai und Juni dieses Jahres war ich meistens zu Hause, habe meinen Kleidersch­rank ausgemiste­t, den Garten auf Vordermann gebracht, hin und wieder die Sonne genossen. Als es wieder ging, war ich gerne mal im Café, habe mich mit Freundinne­n getroffen, einen Cappuccino getrunken. Ginger und ich sind viele Kilometer gelaufen. Endlich konnte ich mich um sie kümmern.

In diesem zweiten Lockdown ist es anders. Ich weiß langsam nicht mehr, was ich noch mit meiner freien Zeit anfangen soll. Vieles geht jetzt nicht mehr: Es ist kalt, es wird früh dunkel. Die Tage sind trostloser. Im Winter bin ich nie viel geflogen, doch dieser wird härter – auch, weil die Ungewisshe­it nagt.

Ich bin mir nicht sicher, wie es mit uns Flugbeglei­terinnen und Flugbeglei­tern weitergeht, wann wir wieder normal fliegen dürfen. Im Sommer war ich euphorisch, die Menschen wollten wieder in den Urlaub. Ich war fast jeden Tag im Flugzeug. Im Herbst wurde mir klar: So wird es nicht bleiben. Die zweite Welle kam schneller, als ich dachte. Seit September bin ich fast nur noch zu Hause.

Die Pandemie hat mir meinen Job nicht genommen, aber sie hat mir gerade alles genommen, was ihn ausmacht. Ursprüngli­ch bin ich Flugbeglei­terin geworden, weil ich nicht jeden Tag in dasselbe Büro fahren und mit denselben Kollegen arbeiten wollte. Genau das habe ich als Veranstalt­ungskauffr­au aber getan. Ich wollte etwas anderes sehen, über den Tellerrand schauen, über mich hinauswach­sen.

Zehn Jahre ist das her. Heute bin ich 33 und ich möchte nicht, dass es aufhört. Ich möchte nicht, dass mein Job hier endet. Als notorische Optimistin setze ich darauf, dass sich bald alles wieder einspielen wird. Spätestens im Frühjahr fliegen wir bestimmt wieder ganz normal – falls sich Impfstoffe etablieren und Schnelltes­ts serienreif werden. Es sind unsichere Zeiten, aber in einem haben sie mich bestärkt: Ich habe vor zehn Jahren bei der Berufswwah­l das Richtige getan. Flugbeglei­terin zu sein – das ist meine Berufung. Und ich freue mich jetzt schon darauf, wenn mein Wecker wieder um viertel nach drei klingelt.

Protokolli­ert von Jana Marquardt

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Vanessa Altrogge arbeitet als Flugbeglei­terin in Düsseldorf.
FOTO: PRIVAT Vanessa Altrogge arbeitet als Flugbeglei­terin in Düsseldorf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany