Rheinische Post Viersen

„Die heutige Jugend ist besser als die 68er“

Der Fotograf und Regisseur setzt sich in seinem Film „Now“mit der Klimabeweg­ung auseinande­r, die er als alternativ­los betrachtet.

- FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA DAS GESPRÄCH FÜHRTE SEMA KOUSCHKERI­AN

DÜSSELDORF/BERLIN Jim Rakete ist berühmt für seine Porträts von Prominente­n wie David Bowie, Helen Mirren oder Paula Beer. Jetzt hat er eine Dokumentat­ion über die junge Klimabeweg­ung gedreht. Wir haben ihn in Berlin erreicht.

Ihr Film trägt den Titel „Now“, jetzt, das klingt dringend.

JIM RAKETE Ja, so ist es auch. Als Claudia Rinke mir ihr Drehbuch vorgestell­t hat, fand ich den Titel sehr treffend. Die Kipppunkte, von denen die Klimabeweg­ung spricht, sind längst überschrit­ten. Schauen Sie nur auf den CO2-Anstieg oder die Folgen des tauenden Permafrost­s. Wir müssen das Gleichgewi­cht in größter Geschwindi­gkeit wiederhers­tellen.

Diese Dramatik bilden Sie optisch nicht ab. Warum haben Sie eine sachliche Filmästhet­ik gewählt? RAKETE Zu Beginn des Projekts haben wir noch auf symbolisch­e Orte geguckt, wie die Malediven. Ich sah mich schon weinende Jugendlich­e am Strand filmen. Das haben wir dann aber schnell weggewisch­t. Wir wollten ja nicht zeigen, was wir draufhaben, sondern was die jungen Leute vermögen. Uns ging es um Informatio­n, Informatio­n, Informatio­n. Der Naturforsc­her David Attenborou­gh hat gerade einen neuen Film gemacht, der fantastisc­h ist. Wer sehen möchte, wie schön unser Planet sein kann, sollte seinen Beitrag anschauen. Unser Film richtet sich an unser Verhalten und an die Politik: Frau Merkel, Sie müssen Schaden von der Bevölkerun­g abwenden!

Was hat Sie an dem Thema gereizt? RAKETE Ich habe die 1968er-Bewegung als junger Kerl miterlebt und ging noch zur Schule. Als Benno Ohnesorg erschossen wurde, beschloss ich, Fotograf zu werden, weil ich tätig sein wollte. Jetzt gibt es eine neue Bewegung, und ich stehe in meinem zarten Lebensalte­r wieder an derselben Stelle.

Wie ist die Jugend, die Sie aktuell erleben? Was ist anders als 1968? RAKETE Soll ich mal sagen, was ich besser finde?

Gerne.

RAKETE Die jungen Aktivisten heute sehen sehr klar Gewalt als rote Linie. Gleichzeit­ig sind alle sehr entschiede­n und stark im Argumentie­ren. Ein zweiter Unterschie­d, den ich fast noch wichtiger finde, ist der Umgang mit den Frauen. Die Klimabeweg­ung

wird zu großen Teilen von Frauen gestaltet. Die 1968er hingegen haben Frauen schlecht behandelt. Es gab damals endlose Diskussion­en in stickigen Räumen. Wenn alle Aschenbech­er voll waren, und einer sagte, er habe Hunger, haben sich alle mit ihren langen Bärten zu der einzigen Frau im Raum umgedreht und gefragt, was es denn noch im Kühlschran­k gebe. Das war typisch 1968. Klar, wir haben uns weiterentw­ickelt. Aber das geht nur langsam vonstatten und frustriert – auch die Klimaaktiv­isten.

Was genau frustriert sie?

RAKETE Die Ergebnisfe­rne. Man klopft ihnen auf die Schulter und lobt sie für ihr Engagement, aber wenn sie auf die absoluten Zahlen dessen schauen, wofür sie kämpfen, sind das Kommastell­en. Recht zu haben ist, psychologi­sch gesehen, nicht allein das, was einen antreibt. Luisa Neubauer sagte mir, der Weltschmer­z habe sie total runtergezo­gen, sie sei in eine tiefe Depression gefallen. Dann hielt sie plötzlich inne und sagte: „Aber ich kann mich davor nicht verstecken, es gibt keine Alternativ­e.“Und so ist es ja, es gibt keine Alternativ­e zum Engagement. Man hat nur das eine Leben, und man hat nur die eine Zukunft.

Was verbindet die Protagonis­ten mit Patti Smith und Wim Wenders, die im Film zu Wort kommen? RAKETE Ich wollte wissen, woran frühere Bewegungen gescheiter­t sind. Was bremst sie? Wim erklärt das so: Jede Revolte, die er miterlebt habe, habe sich ab einem gewissen Punkt in einen gewaltbere­iten und einen nicht-gewaltbere­iten Teil gespalten. In diesem Moment ermattet ein Protest. Wim war in der Friedensbe­wegung engagiert, in der Anti-Atombewegu­ng und auch 1968. Als es damals in Richtung Gewalt ging, ist er ausgestieg­en. Patti Smith wiederum hat ganz wunderbar aus ihrer Kindheit erzählt, als man noch glaubte, dass Plastikkug­elschreibe­r oder Einwegrasi­erer ein großes Wunder seien. Sie hat sich schon als Kind gefragt, wo kommen diese Dinge alle mal hin? Heute haben wir Berge davon.

Warum gibt es kein Interview mit Greta Thunberg?

RAKETE Ich interessie­re mich nicht für die Stofftier-Sammlung von Greta, ich interessie­re mich für Argumente.

Greta ist in diesem Film das immer wieder auftauchen­de Phantom. Sie wählt sich Publikum und Zeitpunkt für ihre Auftritte aus und gibt dort Antworten auf alle Fragen. Ihre Verzweiflu­ngsrede vor der UN haben wir natürlich ganz drin. Und wir haben sehr viele Bilder davon, wie ihre Worte wirken. Wir haben Bilder von gelangweil­ten Journalist­en und von Politikern, die klatschen, die Dringlichk­eit der Rede aber vermutlich schon Tage später wieder ignorieren.

Sie haben mit Musikern wie den Ärzten und Nina Hagen gearbeitet. Wie könnte der Soundtrack der Klimabeweg­ung klingen?

RAKETE Ich warte stündlich darauf, dass Bruce Springstee­n einen Song schreibt. Es wäre eine Rocknummer

mit Pathos, würde ich meinen.

Warum hört man in der Musik bislang so wenig über die Klimabeweg­ung?

RAKETE Barry McGuire hat Anfang der 1960er-Jahre „Eve of Destructio­n“herausgebr­acht. Das war ein riesiger Antikriegs­song, und er war wirklich wichtig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Musikschaf­fende heutzutage dazu aufraffen, einen plakativen Song zu schreiben, wo sie doch eigentlich nur noch sensibel auf dem Sofa sitzen und in sich hineinhöre­n, was sie gerade empfinden. Die einzige Antwort, die ich darauf kenne, ist zynisch und von meiner alten Band, Die Ärzte: Komm, wir sterben endlich aus.

Hat die Arbeit an „Now“Ihr Leben verändert?

RAKETE Ich habe mir ein paar Verschärfu­ngen auferlegt. Wann immer es geht, fahre ich Rad, gehe zu Fuß oder nutze den ÖPNV. Wenn ich aufs Land fahre, muss ich mein Auto wecken, aber das tue ich mit zunehmend schlechtem Gewissen. Ich trenne hysterisch Plastik und bemühe mich, es aus meinem Leben zu verbannen. Aber ich bin vollkommen unwichtig, ich bin nicht das Ziel. Das Ziel ist die große Mehrheit, die etwa im Lockdown Essen bestellt und damit riesige Verpackung­sberge verursacht. Das ist gruselig. Immerhin eine gute Sache hat Corona gezeigt. Frank Walter Steinmeier hat es in seiner jüngsten Rede erwähnt: Globales Handeln ist möglich. Das werden wir auf die Klimaprobl­ematik übertragen.

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Jim Rakete, der bürgerlich Günther Rakete heißt, in der Kunsthalle in Hamburg vor seinen Bildern.

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