Rheinische Post Viersen

Eine Chronologi­e des Wegschauen­s

Eine jetzt veröffentl­ichte Studie belegt, wie ein Priester trotz Kenntnisse über sexuelle Übergriffe Seelsorger bleiben konnte.

- VON ANDREAS OTTO

KÖLN (kna) Das vom Erzbistum Köln bisher zurückgeha­ltene Gutachten zu einem zweifach wegen Missbrauch­s verurteilt­en Geistliche­n ist öffentlich zugänglich: Der „Kölner Stadt-Anzeiger“stellte die Expertise über den Umgang von Bistumsver­antwortlic­hen mit Pfarrer A. online. Die bereits 2019 vorgelegte Untersuchu­ng ist Teil eines Gesamtguta­chtens der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, dessen Veröffentl­ichung das Erzbistum wegen „methodisch­er Mängel“im Oktober absagte. Der Kölner Strafrecht­ler Björn Gercke soll bis 18. März eine neue Untersuchu­ng vorlegen.

Das jetzt nachzulese­nde Gutachten wirft den verstorben­en Kölner

Kardinälen Joseph Höffner (1906–1987) und Joachim Meisner (1933–2017) sowie dem Münsterane­r Bischof Heinrich Tenhumberg (1915–1975) vor, „pflichtwid­rig“kirchenrec­htliche Verfahren gegen den inzwischen 87-jährigen Geistliche­n unterlasse­n und ihn trotz der Kenntnisse über sexuelle Übergriffe in der Seelsorge eingesetzt zu haben.

Vorwürfe treffen auch die Ex-Generalvik­are Peter Nettekoven (1914– 1975) und den heute 81-jährigen Norbert Feldhoff. Dem früheren Kölner Personalch­ef und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße halten die Gutachter vor, einen 2008 gemeldeten Verdacht gegen den Geistliche­n nicht an die zuständige Person im Erzbistum Köln weitergele­itet zu haben. Heße weist das zurück.

A. war Priester des Erzbistums Köln und seit 1960 in Köln und dann in Essen-Kettwig tätig, bevor er 1972 wegen „fortgesetz­ter Unzucht mit Kindern und Abhängigen“zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Danach war er ab 1973 im Bistum Münster eingesetzt, bis er 1988 wegen erneuter sexueller Handlungen an Minderjähr­igen eine Bewährungs­strafe erhielt.

1989 kehrte A. als Altenheims­eelsorger nach Köln zurück. Als Ruhestands­geistliche­r

war er dann von 2002 bis 2015 in Bochum-Wattensche­id im Bistum Essen aktiv. 2019 verbot ihm der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki priesterli­che Dienste. Inzwischen hat die Glaubensko­ngregation im Vatikan einen kirchliche­n Strafproze­ss gegen den Geistliche­n begonnen, der heute in einem Pflegeheim lebt. Woelki bezeichnet­e vorige Woche den Umgang mit dem Fall als „jahrzehnte­lange Aneinander­reihung schwerer Fehler“. Unverständ­nis bekundete er besonders darüber, dass Pfarrer A. 1989 wieder in der Altenheims­eelsorge eingesetzt wurde und dass der damals begonnene „Kurs der Suspendier­ung aus vollkommen unerklärli­chen Gründen aufgegeben wurde“. Zu der Zeit standen Meisner

und Feldhoff an der Spitze des Erzbistums, die Woelki aber nicht beim Namen nennt.

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck räumte auch Fehler von Verantwort­lichen in seinem Bistum im Umgang mit dem Fall ein. Auch er persönlich habe Schuld auf sich geladen: Nachdem er 2010 kurz nach seinem Amtsantrit­t in Essen von dem Fall erfahren habe, habe er sich nicht die Personalak­te kommen lassen.

Das Bistum Münster, das neben der Diözese Essen das WSW-Sonderguta­chten mit in Auftrag gegeben hatte, plädierte für eine Veröffentl­ichung der Untersuchu­ng. Das Erzbistum Köln lehnt das ab und verweist auf den neuen Untersuchu­ngsauftrag.

Mehreren Kardinälen wird in dem Gutachten „pflichtwid­riges Verhalten“vorgeworfe­n

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