Eine Chronologie des Wegschauens
Eine jetzt veröffentlichte Studie belegt, wie ein Priester trotz Kenntnisse über sexuelle Übergriffe Seelsorger bleiben konnte.
KÖLN (kna) Das vom Erzbistum Köln bisher zurückgehaltene Gutachten zu einem zweifach wegen Missbrauchs verurteilten Geistlichen ist öffentlich zugänglich: Der „Kölner Stadt-Anzeiger“stellte die Expertise über den Umgang von Bistumsverantwortlichen mit Pfarrer A. online. Die bereits 2019 vorgelegte Untersuchung ist Teil eines Gesamtgutachtens der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, dessen Veröffentlichung das Erzbistum wegen „methodischer Mängel“im Oktober absagte. Der Kölner Strafrechtler Björn Gercke soll bis 18. März eine neue Untersuchung vorlegen.
Das jetzt nachzulesende Gutachten wirft den verstorbenen Kölner
Kardinälen Joseph Höffner (1906–1987) und Joachim Meisner (1933–2017) sowie dem Münsteraner Bischof Heinrich Tenhumberg (1915–1975) vor, „pflichtwidrig“kirchenrechtliche Verfahren gegen den inzwischen 87-jährigen Geistlichen unterlassen und ihn trotz der Kenntnisse über sexuelle Übergriffe in der Seelsorge eingesetzt zu haben.
Vorwürfe treffen auch die Ex-Generalvikare Peter Nettekoven (1914– 1975) und den heute 81-jährigen Norbert Feldhoff. Dem früheren Kölner Personalchef und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße halten die Gutachter vor, einen 2008 gemeldeten Verdacht gegen den Geistlichen nicht an die zuständige Person im Erzbistum Köln weitergeleitet zu haben. Heße weist das zurück.
A. war Priester des Erzbistums Köln und seit 1960 in Köln und dann in Essen-Kettwig tätig, bevor er 1972 wegen „fortgesetzter Unzucht mit Kindern und Abhängigen“zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Danach war er ab 1973 im Bistum Münster eingesetzt, bis er 1988 wegen erneuter sexueller Handlungen an Minderjährigen eine Bewährungsstrafe erhielt.
1989 kehrte A. als Altenheimseelsorger nach Köln zurück. Als Ruhestandsgeistlicher
war er dann von 2002 bis 2015 in Bochum-Wattenscheid im Bistum Essen aktiv. 2019 verbot ihm der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki priesterliche Dienste. Inzwischen hat die Glaubenskongregation im Vatikan einen kirchlichen Strafprozess gegen den Geistlichen begonnen, der heute in einem Pflegeheim lebt. Woelki bezeichnete vorige Woche den Umgang mit dem Fall als „jahrzehntelange Aneinanderreihung schwerer Fehler“. Unverständnis bekundete er besonders darüber, dass Pfarrer A. 1989 wieder in der Altenheimseelsorge eingesetzt wurde und dass der damals begonnene „Kurs der Suspendierung aus vollkommen unerklärlichen Gründen aufgegeben wurde“. Zu der Zeit standen Meisner
und Feldhoff an der Spitze des Erzbistums, die Woelki aber nicht beim Namen nennt.
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck räumte auch Fehler von Verantwortlichen in seinem Bistum im Umgang mit dem Fall ein. Auch er persönlich habe Schuld auf sich geladen: Nachdem er 2010 kurz nach seinem Amtsantritt in Essen von dem Fall erfahren habe, habe er sich nicht die Personalakte kommen lassen.
Das Bistum Münster, das neben der Diözese Essen das WSW-Sondergutachten mit in Auftrag gegeben hatte, plädierte für eine Veröffentlichung der Untersuchung. Das Erzbistum Köln lehnt das ab und verweist auf den neuen Untersuchungsauftrag.
Mehreren Kardinälen wird in dem Gutachten „pflichtwidriges Verhalten“vorgeworfen