„Sie hat sich als Heldin dargestellt“
Im Mordprozess um die kleine Greta belasteten Zeuginnen die angeklagte Erzieherin schwer. Die 25-Jährige habe ein gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit und dazu geneigt, sich als Retterin darzustellen.
VIERSEN/MÖNCHENGLADBACH Als die Freundin von Sandra M. mit ihrer Aussage im Schwurgerichtssaal fertig ist, hat der Verteidiger der wegen Mordes und Misshandlung Schutzbefohlener eine Frage an die Zeugin: „Warum sind Sie eigentlich mit Sandra M. befreundet?“
Zuvor hatte die Mitschülerin von Sandra M. am Berufskolleg die Angeklagte schwer belastet: „Ich hatte Bedenken, was den Wahrheitsgehalt ihrer Erzählungen betrifft. Grundsätzlich.“Dass Sandra M. im Mai 2019 im Wald von einem Mann mit einem Messer verletzt wurde – „Sie hat mir per WhatsApp einen Link auf einen Zeitungsartikel dazu geschickt, mir dann erzählt, dass es um sie geht“, berichtet die Sachbearbeiterin. Als Sandra M. ihr auch noch ein Foto ihrer Verletzungen zuschickte, habe sie ihr nicht geglaubt: „Das konnte man sehen, dass die Verletzungen nicht von einem Messer stammten.“
Als sie Sandra M. darauf ansprach, habe die entgegnet, auf der anderen Gesichtsseite seien die Schnitte tiefer, müssten unter dem Auge genäht werden. Nur: Davon habe es kein Foto gegeben. Und wenige Tage drauf, bei einem persönlichen Treffen, sei auch keine Naht erkennbar gewesen. Sandra M. wurde damals wegen Vortäuschens einer Straftat verurteilt.
Ihre Freundin habe sich gern als Retterin präsentiert, erzählte die Zeugin. So habe Sandra M. berichtet, dass ein Junge einen epileptischen Anfall in der Kita hatte. „Da hat sie gesagt: ,Gut, dass ich da war, weil ich ja selbst Erfahrungen mit epileptischen Anfällen habe’.“Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Junge keinen epileptischen Anfall hatte, sondern Sandra M. das Kind misshandelte. „Sie hat sich als Heldin dargestellt“, erklärte ihre Freundin. Bei Greta, die in der Kita Am Steinkreis in Viersen im April einen Atemstillstand erlitt und im Mai an den Folgen starb, hätte sie die Wiederbelebungsmaßnahmen gemeinsam mit einer Erzieherin eingeleitet – so habe Sandra M. es ihr geschildert. „Sie erklärte, die Mutter sei danach zu ihr gekommen und habe sich bei ihr bedankt.“Gretas Mutter sitzt der Angeklagten bei der Aussage gegenüber, hat den Mund leicht geöffnet, schüttelt stumm den Kopf.
Das starke Engagement bei den Rettungsmaßnahmen habe sie gewundert, berichtete die Zeugin. Denn am Berufskolleg sei zwar ein Sanitätskursus für Kleinkinder angeboten worden. „Da hatte sie aber kein Interesse dran.“Der Richter will wissen: „Passte der Beruf?“Wie aus
„Ich hatte Bedenken, was den Wahrheitsgehalt ihrer Erzählungen betrifft. Grundsätzlich“Schulfreundin der Angeklagten
der Pistole geschossen kommt die Antwort: „Nein. Sie wirkte überfordert, hat aber immer sehr schnell wieder einen neuen Job als Erzieherin bekommen.“Das bestätigt eine zweite Zeugin aus Kindertagen. „Sie hatte sehr viele Probleme in der Arbeit, aber die Augen davor verschlossen. Es war, als lebe sie hie und da in ihrer eigenen Welt.“Dass der vermeintliche Überfall im Wald nur erfunden war, habe sie schockiert, berichtete die Zeugin. „Sie hat mir berichtet: Die Psychologin hat herausgefunden, dass das nicht stimmt. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.“Dass Sandra M. zu kleinen Notlügen neige, das habe sie schon vorher gewusst. „Das war aber nichts, was ich als schlimm empfunden hätte. Aber nach dem erfundenen Vorfall im Wald – da fing das bei mir zu rattern an.“
Ähnlich war es auch bei der Freundin, die zuerst vor Gericht aussagte. In der polizeilichen Vernehmung war sie gefragt worden, ob sie sich vorstellen könne, dass Sandra M. einem Kind ein Leid antun könne. Damals verneinte sie. Vor Gericht erklärte sie am Montag: „Heute bin ich mir da nicht mehr sicher.“