RP-Leser erinnern sich ans Büchsenwurf-Spiel 1971
Für viele war das annullierte 7:1 vor 49 Jahren die Geburt des „Mythos Borussia“, auf jeden Fall aber eine große Ungerechtigkeit.
(jaso) Wenn Borussia am Dienstagabend auf Inter Mailand trifft, reicht ein Smartphone mit stabiler Internetverbindung, um das Spiel live zu sehen. Der Streamingdienst Dazn überträgt für seine Abonnenten. Ab 21 Uhr wird es irgendwo also Menschen geben, die die Partie im Bett, in der Straßenbahn oder auf der Arbeit (es sei denn, sie sind Straßenbahnfahrer) schauen.
Wie wäre es wohl 1971 gewesen, wenn jeder Borussias sagenhaftes 7:1 gegen Inter im Landesmeister-Pokal live hätte verfolgen können? Unter den aktuellen Umständen wäre es nicht einmal zu einem Büchsenwurf gekommen. Und selbst in einem vollen Stadion hätte schnell Klarheit geherrscht, was sich zugetragen hatte. Roberto Boninsegna hätte nie dieses Schauspiel gewagt, das er bis heute abstreitet.
Der 20. Oktober 1971 wird einzigartig bleiben, ein Unikat, das es nie gegeben hat, wenn man in die Ergebnislisten schaut. Oder wie unser Leser Hermann-Josef Brungs schreibt: „Die größte Ungerechtigkeit,
die ich je im Stadion live erlebte.“
Zahlreiche Leser sind unserem Aufruf gefolgt, sich an jenen regnerischen Abend zu erinnern. Bewegtbilder spielen der Erinnerungen oft einen Streich, in diesem Fall ist die Gefahr weitgehend gebannt. Schließlich war die Live-Übertragung an einem Streit über 6600 D-Mark gescheitert. Brungs schreibt über Boninsegnas Abstransport auf der Trage: „Als sie mit ihm von der Tribünenseite auf die Nordkurvenseite wechselten, wurde der Arme vom Flutlicht geblendet und legte den Arm vor die Augen, so viel zur angeblichen Ohnmacht.“
Günter Sommer meint: „Es war das beste Spiel, was ich je von Borussia gesehen habe. Wäre es nicht annulliert worden, dann wäre Borussia in diesem Jahr Europapokalsieger geworden. Davon bin ich überzeugt.“Das Rückspiel in Mailand verlor die Fohlenelf mit 2:4, das Wiederholungsspiel in Berlin endete 0:0. Inter Mailand war eine Runde weiter, kam bis ins Finale, das die
„Nerazzurri“0:2 gegen Ajax Amsterdam verloren.
Jürgen Armborst gehört zu den Zeitzeugen, die damals viel gegeben hätten für ein Dazn-Abo und einen Internetzugang. Unser Leser, damals 15 Jahre alt, wohnte mit seinen Eltern auf der Annakirchstraße in Mönchengladbach.
Auf dem Rückweg vom Bökelberg kamen immer einige Fans an Armborsts Elternhaus vorbei. Also ging es nach dem Abpfiff raus auf die Straße, um das Ergebnis zu erfahren. „Wir warteten und fragten den Ersten, der kam“, erinnert sich Armborst. „Seine Antwort: ‚7:1 gewonnen.‘ Wir konnten das nicht glauben. Es war ja auch unglaublich. Also sagten wir zu uns: ‚Jaja, schöne Geschichte. Wäre sie nur wahr.‘ Wir gingen wieder ins Haus und zu Bett. Am nächsten Morgen bekamen wir es dann Schwarz auf Weiß in der Zeitung zu lesen.“
Wolfgang Hoff hatte das Glück, live im Stadion dabei zu sein. Er stand im Süden zwischen zahlreichen Italienern, die während des Spiels schier verzweifelt seien. Inter habe Borussia damals komplett unterschätzt, sei am Grünen Tisch aber gerissener gewesen. „Die größte Inter-Blamage aller Zeiten wurde einfach weggewischt“, schreibt Hoff. „Für mich gehört aber dieses Spiel zur Geburtsstunde des ‚Mythos Borussia/Bökelberg‘.“
Es war eigentlich nur eine lockere Trainingseinheit, die die Borussen am Sonntag absolvierten. Ein wenig eingrooven auf das Spiel am Dienstag (21 Uhr) gegen Inter Mailand, wenn Gladbach den Einzug ins Achtelfinale der Champions League perfekt machen kann. Doch selbst solche Trainings können offenbar gefährlich sein in diesen Zeiten, die intensiver sind aufgrund des engen Zeitplans durch Corona. Borussia hat das am Sonntag erfahren müssen, denn Nico Elvedi hat sich dabei verletzt und wird seinem Team gegen Inter Mailand und wohl auch darüber hinaus nicht zur Verfügung stehen.
Bei der Pressekonferenz am Montag wurde Trainer Marco Rose auf seine Rotations-Maßnahme beim 4:1-Sieg gegen Schalke angesprochen. Er hatte Tony Jantschke gebracht und Elvedi eine Pause gegönnt. „Nico ist grundsätzlich gut drauf, aber es kommen noch ein paar Spiele und wir vertrauen dem ganzen Kader. Es war wichtig, dass Tony Jantschke wieder gespielt hat, damit auch er im Rhythmus ist“, sagte Rose. „Wir haben alles richtig gemacht, aber Nico hat sich leider in einer sehr lockeren Einheit eine Muskelverletzung zugezogen und wird ausfallen. Das zeigt, wie schwierig die Situation ist. Tony wird sich also auch am Dienstag um die Aufgabe kümmern.“
Jantschke wird also gegen Inter auf Romelu Lukaku, den Top-Stürmer der Mailänder treffen, der im Hinspiel beide Treffer erzielte und meistens mit Elvedi zu tun hatte. Dieses Duell des erfahrenen Borussen gegen den belgischen Ausnahmeangreifer wird ein Schlüssel für den Erfolg sein. „Wir müssen gegen eine absolute Top-Mannschaft guten Fußball spielen. Die Aufgabe könnte nicht größer sein, aber wir stellen uns ihr gerne und selbstbewusst“, sagte Rose. „Inter ist, wenn es mit dem Rücken an der Wand steht, am stärksten, und wir wollen ihnen Paroli bieten.“
Inter muss gewinnen, um noch eine Chance auf das Weiterkommen zu haben, Borussias Situation ist als Tabellenführer und mit sechs Punkten mehr auf dem Konto als Mailand deutlich komfortabler. „Wir haben in der Champions League gezeigt, dass wir große Qualitäten haben. Die wollen wir wieder zeigen. Jeder soll sehen, dass wir unbedingt weiterkommen wollen“, sagte Florian Neuhaus.