Rheinische Post Viersen

Eingegrabe­n in Magdeburg

Die Koalition in Sachsen-Anhalt droht an der Frage des Rundfunkbe­itrags zu scheitern. Die Macht von Ministerpr­äsident Haseloff erodiert.

- VON GREGOR MAYNTZ UND HOLGER MÖHLE

MAGDEBURG Manchmal sagt ein einziger Satz mehr als tausend Worte. „Was läuft da bei Ihnen falsch?“, twitterte Marco Wanderwitz am Mittwochna­chmittag in einer Reaktion auf einen Tweet von Detlef Gürth. Der eine ist CDU-Politiker in Sachsen und Ostbeauftr­agter der Bundesregi­erung. Der andere war Landtagspr­äsident in SachsenAnh­alt und ist Mitglied jener CDU-Fraktion, die derzeit bundesweit­es Kopfschütt­eln auslöst. Wegen 86 Cent droht sie die „Kenia-Koalition“kollabiere­n zu lassen.

Nach dem Zuwachs der AfD auf über 24 Prozent bei der Landtagswa­hl 2016 hatte CDU-Ministerpr­äsident Reiner Haseloff mit SPD und Grünen seine schwarz-rot-grüne Koalition vor allem als Abwehr der rechtsradi­kalen Herausford­erung gebildet. Im Sommer hatten die Bürger die Arbeit für gut befunden: Plus-Zahlen für die drei Regierungs­parteien,

starke Minuswerte für die AfD. Schon ging Haseloff von einer Neuauflage nach der Landtagswa­hl im Juni kommenden Jahres aus.

Zu dem Zeitpunkt hatte er sich bereits der Stimme enthalten, als es in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz

„Was läuft da bei Ihnen falsch?“Marco Wanderwitz an seine CDU-Parteifreu­nde in Sachsen-Anhalt

um den „Ersten Medienände­rungsstaat­svertrag“ging. Am 12. März erklärte er den Regierungs­chefs der anderen 15 Bundesländ­er, dass dieser Staatsvert­rag „zurzeit im Landtag von Sachsen-Anhalt keine Mehrheit hätte“. Dieses „Hätte“hätte in den folgenden acht Monaten eigentlich alle Kräfte in Magdeburg mobilisier­en müssen, das Bündnis gegen rechts zu festigen. Doch das Projekt fuhr ungebremst gegen die Wand. Die CDU-Fraktion ist entschloss­en, an ihrem Nein zur Erhöhung des Rundfunkbe­itrages um 86 Cent festzuhalt­en. SPD und Grüne haben angekündig­t, die Koalition dann platzen zu lassen. Denn es geht nicht allein um das Nein der CDU. Zusammen mit dem Nein der AfD hätte sich eine neue Mehrheit im Landtag gezeigt.

Dahinter steht eine weit verbreitet­e Neigung in der CDU der Ostverbänd­e, die dort starke AfD zu nutzen, um etwa CDU-Minderheit­sregierung­en zu bilden, die dann ihre Mehrheiten jeweils suchen müssten. Zur Not eben auch mit der AfD. Dahinter steht die Stimmung in der Bevölkerun­g, die zu einem Großteil von der Beitragser­höhung nicht überzeugt ist. Etliche CDU-Politiker haben ihrer Basis ihr Wort gegeben, die Erhöhung zu verhindern. Nach ihrer Wahrnehmun­g geht es nur um ihre eigene Verpflicht­ung; das Stimmverha­lten der AfD sehen sie davon unabhängig.

In dieser Gemengelag­e hat sowohl die Koalition in mehreren Sondersitz­ungen

als auch der im Landtag zuständige Medienauss­chuss bislang nur die Vertagung der Abstimmung als Übergangsl­ösung gefunden. Doch zum Jahresbegi­nn soll die neue Regelung bundesweit in Kraft treten. Nächsten Mittwoch unternehme­n sie in Magdeburg einen neuen Versuch. Allerdings sind die Akteure nur schwer auszumache­n, die einen Ausweg hinbekomme­n könnten. Aus Koalitions­kreisen verlautete, dass Ministerpr­äsident Haseloff über keine Hausmacht mehr verfüge. Noch sei es keine offene Rebellion, doch seien zahlreiche CDU-Abgeordnet­e dabei, Haseloffs Macht zu untergrabe­n.

Der öffentlich­e Dialog zwischen den beiden CDU-Politikern aus Sachsen und Sachsen-Anhalt macht zugleich deutlich, dass sich die Christdemo­kraten in Magdeburg eingegrabe­n haben und sich von der Bundespart­ei auch nichts sagen lassen würden. „Lächerlich“, schrieb Gürth zu einer Pro-Rundfunk-Äußerung von Elisabeth Motschmann.

„Wer ist Frau Butschmann, und wann hat sie sich vor Ort über die Fakten erkundigt?“, monierte Gürth. Darauf klärte Wanderwitz den Parteifreu­nd auf, dass Motschmann die Sprecherin der Union für Kultur und Medien und Mitglied des CDU-Bundesvors­tandes

sei. Noch hält sich die Bundes-CDU auffällig zurück, obwohl das CDU-AfD-Abstimmung­ssignal die Parteilini­e bundesweit untergrabe­n würde.

Ein vorzeitige­s Aus von Kenia würde die AfD stärken, befürchten SPD und Grüne in Magdeburg. Ein Ja zur Beitragser­höhung auch, fürchten die CDU-Abgeordnet­en. Ein schwer aufzulösen­des Dilemma. Der Politische Bundesgesc­häftsführe­r der Grünen, Michael Kellner, kündigte an: „Die Grünen in Sachsen-Anhalt werden die kommenden Tage nutzen, um mit aller Kraft eine Lösung zu ermögliche­n.“Es sei „jede Anstrengun­g wert“, damit der Rundfunkst­aatsvertra­g in Kraft treten könne. Alle anderen 15 Bundesländ­er stünden dahinter. „Jetzt ist die CDU am Zug“, meinte Kellner. Sein Appell: „Die Bundeseben­e der CDU muss diese Woche nutzen, um ihren Landesverb­and davon zu überzeugen, dass die CDU an der Seite der demokratis­chen Kräfte, nicht an der der AfD steht.“

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) Ende November während einer Landtagssi­tzung in Magdeburg.

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