Die CDU muss sich neu sortieren
Die Entscheidung beim Bundesparteitag der Christdemokraten hat weitreichende Folgen für den Landesverband NRW: Kommt es zu einer Interimslösung an der Spitze – oder beginnt der Generationenwechsel?
Geübt haben sie schon. Es soll ja schließlich alles glatt laufen beim ersten digitalen Bundesparteitag der CDU. Bei der Probeabstimmung machten die Delegierten am Dienstag online nicht hinter dem Namen ihres Wunschkandidaten ein Häkchen, sondern Angaben zu ihrem Musikgeschmack. Der Bundesparteitag hat demnach 199 Rock-Liebhaber, 287 tendierten zu Pop, 175 sind Klassikfans. 28 Delegierten war es wohl egal; sie enthielten sich. Die launige Probe sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Samstag viel auf dem Spiel steht. Insbesondere in der Frage, wer nach dem Bundesparteitag den NRW-Landesverband führt und Ministerpräsident wird.
Am Dienstag hatte Armin Laschet in einer Schaltung der CDU-Landtagsfraktion erstmals angekündigt, bei einer erfolgreichen Wahl zum Bundesvorsitzenden beim Landesparteitag den Vorsitz abzugeben. Er sei guten Mutes, dass man es so besprechen könne, dass man sich am Ende auf einen Kandidaten einigen könne. Er werde diesen Prozess moderieren. Da blitzte schon die Sorge vor einem Hauen und Stechen auf.
Im Landesvorstand soll Laschet im Februar 2020, kurz nach Bekanntgabe seiner Kandidatur, die Bereitschaft zur Nachfolgeregelung erklärt und sich für eine Übergangslösung ausgesprochen haben. In dem Szenario hätte ein alter Weggefährte, Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann oder noch lieber Innenminister Herbert Reul, das Ruder in der Partei übernehmen können, um mit einem frischen Kandidaten in die Wahl 2022 zu starten. Wie es aus Laschets Umfeld heißt, favorisiert er das bis heute.
Ina Scharrenbach könnte davon profitieren. Die Kommunal- und Bauministerin ist Vorsitzende der Frauenunion NRW, gilt als hochintelligent, doch ihr fehlt das nötige Landtagsmandat, um mitten in der Wahlperiode
Ministerpräsidentin zu werden. Ihren Nachrückerplatz auf der Landesliste musste sie für den Regionalproporz einer Ostwestfälin überlassen. Das schwächt sie im Vergleich zu manchem Mitbewerber.
Die Entscheidung über den Vorsitz fällt erst, wenn sich die Corona-Lage wieder beruhigt hat. „Wir hoffen, dass wir im Frühling oder Frühsommer einen Parteitag in Präsenz abhalten können“, sagt eine Sprecherin der Landes-CDU. Der Aufwand für einen digitalen Parteitag mit 675 Delegierten sei etwa so groß wie der für den Bundesparteitag. Dort kursiert die Zahl von zwei Millionen Euro Kosten. „Es tickt aber keine Uhr. Aufgrund der geänderten Gesetzeslage muss binnen des Jahres 2021 gewählt werden. Unsere Ansicht ist, das im ersten Halbjahr zu tun“, sagt die Sprecherin.
Dieser Zeitplan spielt Hendrik Wüst in die Hände. Dem Verkehrsminister aus dem Münsterland werden ebenfalls Ambitionen nachgesagt. Im Gegensatz zu Scharrenbach hätte er auch einen Sitz im Parlament, um noch vor der Landtagswahl 2022 in die Staatskanzlei zu wechseln. Als „konsequent und zukunftsgerichtet“beschreibt ein prominentes Mitglied des Landesverbands diese Lösung. Ein Übergang mit einem älteren Kollegen berge auch die Gefahr, arg zaghaft zu wirken. Warum Laschet dennoch den Übergang favorisiert? Ein Mitglied der Landtagsfraktion sagt, Wüst sei Laschet zu konservativ. Er schätze zwar seine Fachkompetenz, echte Liebe sei das aber nicht.
Im Zusammenhang mit Wüst ist oft vom Generationenwechsel die Rede – eine Spitze nicht zuletzt gegen einen weiteren Aspiranten mit Landtagsmandat: Bodo Löttgen. Der CDU-Fraktionschef ist zwar als schlagfertiger Redner bekannt, hat sich aber nicht zuletzt durch seinen autoritären Führungsstil Feinde gemacht. Er neige dazu, die Fraktionsmitglieder anzublaffen, sagt ein Parteimitarbeiter: „Bodo Löttgen ist keine Schulter zum Anlehnen.“In der Fraktion gibt es sogar Stimmen, die bezweifeln, dass Löttgen bei einer Wahl genügend Stimmen bekäme – SchwarzGelb regiert in Nordrhein-Westfalen mit nur einer Stimme über den Durst.
Vieles hängt davon ab, ob sich ein Bundesvorsitzender Laschet in der Union als Kanzlerkandidat durchsetzen könnte. CDU/CSU werden diese Frage nach den Landtagswahlen im Frühjahr klären. „Dabei werden sie stark auf die Umfragewerte schauen“, sagt der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Thomas Poguntke. „Es ist damit zu rechnen, dass diejenigen des gewählten
CDU-Vorsitzenden im Hinblick auf die Kanzlerkandidatur dann steigen, weil sich die Sympathien nicht mehr auf drei CDU-Politiker verteilen.“Dass Laschet bei einer Kanzlerkandidatur sein Regierungsamt in Düsseldorf aufgibt, glaubt Poguntke nicht: „Ein Ministerpräsident ist nicht gut beraten, das Amt ohne Not aufzugeben. Ansonsten wäre er ,nur‘ Parteivorsitzender.“Damit habe schon Annegret Kramp-Karrenbauer schlechte Erfahrung gemacht.
CDUler sollen Laschet zwar empfohlen haben, er möge ohne Rückfahrkarte ins Rennen gehen. Sein Umfeld soll aber darauf verwiesen haben, dass der Ministerpräsident Rederecht im Bundestag habe. Ein Delegierter aus Westfalen bezeichnet das kopfschüttelnd als „Denke aus den 80er-Jahren, als Politiknerds noch gebannt Bundestagsreden im TV verfolgten“. Ein Parteifreund meint, beim vorzeitigen Wechsel nach Berlin zudem Probleme im Bundestagswahlkampf zu erkennen. Das Adenauer-Haus sei nicht auf einen Kandidaten Laschet zugeschnitten. „Da fehlt ihm dann ein geschmierter Apparat.“
Sollte Laschet zwar Parteichef, aber nicht Kanzlerkandidat werden, werde er ebenfalls versuchen, in Düsseldorf zu bleiben und seine Machtbasis dort zu pflegen, meint Poguntke. „Das wäre allemal besser, als würde der Parteivorsitzende als Superminister unter einem Kanzler arbeiten. Aus Sicht der Parteienforscher ist die Richtlinienkompetenz trotz ihrer Festschreibung in der Verfassung zwar nur so stark wie der Kanzler. Dennoch birgt das die Gefahr, dass sich der CDU-Chef unterordnen müsste.“
Sollte Laschet unterliegen und in NRW bleiben, wäre das aus Poguntkes Sicht unproblematisch. „Seine Bilanz gilt als gut. Ich erwarte deshalb auch nicht, dass bei einer Niederlage auf dem Bundesparteitag ein Machtkampf in Nordrhein-Westfalen ausbrechen würde.“Zwar müsse sich auch die Landes-CDU Gedanken über den Generationenwechsel machen. „Die Partei ist jedoch gut beraten, zu einem vernünftigen Zeitpunkt den Übergang in die Wege zu leiten“, sagt der Professor.
„Bodo Löttgen ist keine Schulter zum Anlehnen“Parteimitarbeiter über den Vorsitzenden der Landtagsfraktion