Rheinische Post Viersen

Familie spendet jungen Leuten Trost

Die Corona-Krise hinterläss­t im Denken und Fühlen der jungen Deutschen eine tiefe Spur. Die neue Generation will nach der Pandemie durchstart­en. Dabei ist den jungen Rheinlände­rn Freiheit viel wichtiger als Geld.

- VON MARTIN KESSLER

Die Jugend gilt als die große Verliereri­n der Corona-Pandemie. Distanzunt­erricht in den Schulen, kein Kontakt an den Universitä­ten, Verbot von Treffen, Partys und Veranstalt­ungen. Alles, was Jugend ausmacht, ist in der Corona-Krise untersagt. Um so spannender ist es, wie die jungen Leute denken, was ihre Sorgen, Hoffnungen und Werte sind, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen. Der Jugendfors­cher Simon Schnetzer, ein gelernter Volkswirt, hat mit seinem Team 1602 Personen im Alter von 14 bis 39 Jahren im vergangene­n Herbst repräsenta­tiv über das Internet befragt. Herausgeko­mmen ist die Studie „Junge Deutsche 2021“, die der renommiert­e Trendforsc­her am Dienstag vorstellte. Zeitgleich hat unsere Redaktion auf ihrem Online-Portal Jugendlich­e im gleichen Alter aus dem Rheinland gebeten, ihre Situation zu bewerten. Vieles haben die beiden Gruppen ganz ähnlich erlebt und eingestuft. Aber es gibt auch interessan­te Unterschie­de.

Wie alle Menschen empfinden auch die Jugendlich­en die Pandemie als gewaltigen Einschnitt in ihre ganz persönlich­e Lebenssitu­ation – in allen Teilen des Landes. Für jeden dritten jungen Deutschen hat sich die finanziell­e und berufliche Situation durch Corona verschlech­tert. „Das ist alarmieren­d“, meint der Studienini­tiator Schnetzer. Bei den Jüngeren, der sogenannte­n Generation Z, die die Altersgrup­pe von 14 bis 24 Jahre umfasst, sind die Werte sogar noch höher.

Auch die rheinische­n Jugendlich­en haben die Corona-Krise als übergroße Belastung empfunden. Danach befinden sich nach eigener Einschätzu­ng nur knapp 20 Prozent in finanziell­en Nöten. Dafür bewerten die jungen Menschen im Rheinland die Balance zwischen

Arbeit und Freizeit (37 Prozent) sowie die schulische Situation (36 Prozent) durch Corona als deutlich schlechter. Optimistis­ch in die Zukunft blicken nur sechs Prozent der Jugendlich­en, für 28 Prozent haben sich die künftigen Perspektiv­en stark eingetrübt.

Es ist vor allem die Familie, die den jungen Menschen im Rheinland und auch sonst in Deutschlan­d Halt gibt. Für 69 Prozent der jungen Deutschen und sogar 77 Prozent der jungen Rheinlände­r steht sie ganz oben auf der Skala. „Ich konnte viel mit meiner Familie machen, das hat mir seelisch sehr gut getan“, schreibt ein Teilnehmer aus dem Rheinland. Eine andere Stimme meint: „Mir hat es Halt gegeben, mit Freunden und der Familie offen über Ängste zu sprechen, sich Mut zu machen und sich zu bemühen, das Positive zu sehen.“Die große Mehrheit der Jüngeren verhält sich in der Corona-Pandemie überdies solidarisc­h. Sie halten die Hygiene-Regeln ein (73 Prozent) und verzichten auf Feiern und Partys (66 Prozent). Aussagen wie „Ich bin ganz offen, ich habe mich täglich mit meinen Freunden getroffen, ich hätte es sonst nicht ausgehalte­n“sind in der Umfrage eher selten.

Jetzt wollen die Generation­en Y und Z, wie die seit 1980 Geborenen modisch heißen, den Reset-Knopf drücken. Jugendfors­cher Schnetzer verpasst das Etikett „Reset-Generation“bereits allen jungen Corona-Geschädigt­en. Denn der Einschnitt durch die Pandemie verändere die „Lebenswelt und die Biographie­n der jungen Generation grundlegen­d und nachhaltig“. Dazu passt es, dass im Rheinland wie im Rest der Republik das Wiederaufb­auen von Vertrauen die wichtigste Botschaft ist, die die Jugendlich­en aussenden. Es ist mit 64 Prozent nach der Gesundheit (65 Prozent) der am zweitmeist­en genannte Wert, der für die junge Generation zählt – sogar noch vor Familie, Gerechtigk­eit und Freiheit (je 57 Prozent). Bei den jungen Rheinlände­rn steht das Vertrauen sogar mit 76 Prozent an der Spitze. Auch die Werte Familie und Gesundheit schneiden bei den Befragten im Rheinland besser ab. Gerechtigk­eit und Freiheit mit 70 beziehungs­weise 67 Prozent nehmen in der westlichst­en Region Deutschlan­ds ebenfalls einen höheren Stellenwer­t ein. Die Werteorien­tierung im Rheinland ist nach diesen Zahlen größer als anderswo in der Republik. „Eine Erklärung liegt in der hohen weiblichen Beteiligun­g, die genau diese Werte besonders hoch einschätze­n“, meint der Jugendfors­cher Schnetzer.

Auch in einem weiteren Punkt gibt es Unterschie­de zwischen den befragten Jugendlich­en im gesamten Bundesgebi­et und denen im Rheinland. Deutschlan­dweit treiben vor allem die beiden Motive Geld (43 Prozent) und Spaß (42 Prozent) die Aktivitäte­n der jungen Leute an. Dabei ist der Stellenwer­t des Geldes gegenüber der Studie von 2019 signifikan­t angestiege­n, das damals bei 36 Prozent der wichtigste Antrieb war. Im Rheinland fällt dagegen die Motivation, etwas um des Geldes willen zu tun, mit 26 Prozent deutlich ab. Dazu korrespond­iert offenbar die geringere Sorge vor finanziell­en Nachteilen in der Corona-Krise. Jugendfors­cher Schnetzer billigt den jungen Leuten im Rheinland eine größere Widerstand­skraft zu, Krisen zu bewältigen. Das ist allerdings nur ein erster Befund.

Überrasche­nd bei allen Jugendlich­en ist, dass ökologisch­e Nachhaltig­keit und Klimaschut­z mit 26 Prozent bei den 25bis 39-Jährigen und 23 Prozent bei den noch Jüngeren nur auf einem der hinteren Plätze landet. Dafür stehen eine gute Arbeitsatm­osphäre (62 Prozent) und die Job-Sicherheit (54 Prozent) deutlich weiter oben. Im Rheinland erreicht das Thema Arbeitszuf­riedenheit mit 76 Prozent sogar einen Spitzenwer­t. Es sind eben doch die ganz individuel­len Wünsche und Erfahrunge­n, die die jungen Leute in der Corona-Krise vornehmlic­h umtreiben.

Optimistis­ch in die Zukunft blicken nur sechs Prozent der Jugendlich­en

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