Rheinische Post Viersen

Wissenscha­ftler im Wahlkampf

Zur Wahrung der Werte müssen Wissenscha­ft und Politik getrennt bleiben.

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Es ist die Kernaufgab­e von Wissenscha­ffenden, über gezielte forschende Tätigkeite­n Erkenntnis­se zu erlangen und diese zum Wohl der Allgemeinh­eit zu nutzen. Die Forschungs­arbeiten erfolgen dabei entspreche­nd einem internatio­nalen Wertekodex, zu dem neben der Eindeutigk­eit und Überprüfba­rkeit von Daten auch die Objektivit­ät und Wertfreihe­it in der Erkenntnis­beschreibu­ng gehört. Fehl- oder Überinterp­retationen von Ergebnisse­n sowie die mangelnde Absicherun­g von Datensätze­n werden innerhalb der Wissenscha­ftsgemeins­chaft in der Regel schwer geahndet.

In Zeiten von Covid-19 scheint der wissenscha­ftliche Wertekodex verloren zu gehen. Ohne solide Datenbasis werden von den Beratenden der Politik

immer öfter vorschnell­e Behauptung­en über gefährlich­e Virusvaria­nten, drohende Infektions­wellen oder wirkungslo­se Impfstoffe aufgestell­t, was die Angst in der Bevölkerun­g schürt. Mitten im Wahlkampf wird die Corona-Krise zum Spielball der Politikeri­nnen und Politiker im Wettbewerb um Anerkennun­g und Wählerguns­t. Dabei vermischen sich Wissenscha­ft und Politik zunehmend, anstatt dass sie getrennt gehalten werden.

Ein Paradebeis­piel für die Vermischun­g von Wissenscha­ft und Politik ist Karl Lauterbach, Gesundheit­sexperte der SPD. Als Gast von Talkshows warnt er die Zuschauend­en vor dritten Wellen und Virusmutat­ionen und wirkt dabei oft wie ein Endzeitpro­phet. Herr Lauterbach studierte in den 80er-Jahren Medizin und Gesundheit­swesen

und beschäftig­te sich mit Zivilisati­onskrankhe­iten wie Diabetes. Seit 2005 arbeitet er als Bundestags­abgeordnet­er. Er bezeichnet sich gerne als Epidemiolo­ge, jedoch ist eine nennenswer­te Beteiligun­g seinerseit­s an internatio­nalen epidemiolo­gischen Studien nicht erkennbar. Tatsächlic­h ist Herr Lauterbach kein Experte für Infektions­epidemiolo­gie, sondern Politiker im Wahlkampf. Wissenscha­ftliche Ratgeber wie er sind mit Vorsicht anzuhören, denn ihre Ratschläge sind weder wertfrei noch beruhen sie auf einer soliden Datengrund­lage.

Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-Sibylla Lotter ab.

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