Rheinische Post Viersen

„Die Impfstrate­gie macht mich wütend“

- PROTOKOLLI­ERT VON JÖRG ISRINGHAUS

Seit dieser Woche darf ich meine private Malschule, den „Malkasten“in Wuppertal, wieder öffnen, was nach vier Monaten Lockdown eigentlich ein Grund zur Freude wäre. Doch obwohl ich froh bin, dass es wieder losgeht, macht es mich wütend zu sehen, wie bei der Impfung mit zweierlei Maß gemessen wird. In meinem Unterricht sind viele Grundschul­kinder aus verschiede­nen Schulen, damit bin ich ähnlich vielen Kontakten ausgesetzt wie jeder andere Lehrer oder Erzieher – nur werden diese jetzt bevorzugt geimpft, die Betreiber privater Einrichtun­gen aber nicht, so die bisherige Auskunft. Die Stadt Wuppertal äußert Verständni­s für meine „Verunsiche­rung und Belastung“, verweist aber ansonsten auf das Land. Das ist alles absolut nicht nachvollzi­ehbar und macht mich fassungslo­s.

Natürlich öffne ich trotzdem. Weil ich diese Arbeit gerne mache, und weil mir auch nichts anderes übrig bleibt, wenn die Schule wirtschaft­lich überleben soll. Sonst hätte ich sie gleich zu Beginn des Lockdowns schließen können. Von den finanziell­en Soforthilf­en ist bei mir nichts angekommen, entweder waren sie für mich nicht erreichbar oder beantragba­r. Dafür hätte ich mir einen Steuerbera­ter leisten müssen, selbstvers­tändlich gegen ein entspreche­ndes Honorar. Was soll das bringen? Auch da bin ich als private Schule sozusagen durch den Rost gefallen. Dass ich mich bis jetzt über Wasser halten konnte, verdanke ich unter anderem der Unterstütz­ung durch meine Vermieter und solidarisc­hen Zahlungen einiger Eltern meiner Malschule – also privatem Engagement.

Weil Musik- und Kunstschul­en mit maximal fünf Schülern Präsenzunt­erricht abhalten dürfen, muss ich nun mehr arbeiten und werde dabei weniger verdienen als vorher. Mit den zusätzlich­en Stunden steigt mein Infektions­risiko, aber eine Impfung kommt für mich vorläufig nicht infrage, weil ich nach der Prioritäte­nliste darauf noch keinen

Anspruch habe. Ich bin jetzt 55 Jahre alt, werde also mit meiner Alterskoho­rte irgendwann im Sommer geimpft. Sollte ich mich mit Corona infizieren und für längere Zeit ausfallen, bleibt mir wahrschein­lich nichts anderes übrig, als meine Malschule zu schließen. Lehrer sind dagegen im Krankheits­fall abgesicher­t, sie verlieren weder Job noch Einkommen.

Für mich wirft das viele Fragen auf: Wie kann es sein, dass ich beziehungs­weise alle Mitglieder von außerschul­ischen Bildungsei­nrichtunge­n nicht mit staatlich angestellt­en Lehrern und Erziehern gleichgest­ellt werden? Erscheinen wir überhaupt irgendwann auf der Priorisier­ten-Liste? Und warum ist zum Beispiel eine Tagesmutte­r mit einer immer gleichen Anzahl von Kinderkont­akten impfberech­tigt – im Gegensatz zu einer Lehrerin wie mir, die permanent Gruppen wechselnde­r Schüler betreut? Oder gilt einfach nur private Einrichtun­g

gleich privates Risiko? Nach einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkas­se haben Kinderbetr­euer und -erzieher von allen Berufsgrup­pen das dritthöchs­te Risiko, an Covid-19 zu erkranken. Nur Kräfte aus der ambulanten und stationäre­n Altenpfleg­e sind gefährdete­r.

Trotzdem werden nicht alle Erzieher gleicherma­ßen geschützt. Das ist ein Unding. Alles, was ich erwarte, ist eine Chance auf Gleichbeha­ndlung und Risikomini­mierung. Aber offensicht­lich fehlt es an der nötigen Lobby. Für mich heißt es damit also vorläufig: Augen zu und durch!

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FOTO: BIECK Malschul-Leiterin Gabriele Bieck

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