Rheinische Post Viersen

Der Mann über den Dingen

Bundestrai­ner Joachim Löw tritt nach der EM zurück. Im Rückblick kommt diese Entscheidu­ng zu spät, denn die Vorzeigepa­rtnerschaf­t zwischen dem Deutschen Fußball-Bund und dem Mann aus dem Schwarzwal­d weist schon seit dem WM-Titel 2014 unübersehb­are Risse a

- VON ROBERT PETERS

FRANKFURT Niemand weiß so ganz genau, wann das losging. War es nach dem größten Triumph, den ein Trainer feiern kann, dem Gewinn der Weltmeiste­rschaft? War es während der Vorbereitu­ng auf die Europameis­terschaft 2016 in Frankreich? Oder war es rund um den Absturz der deutschen Nationalma­nnschaft bei der WM in Russland 2018?

Zeichen gab es überall. Der Bundestrai­ner wirkte schon entrückt, noch bevor seine Mannschaft 2014 in Rio triumphier­te, wenn er lässig über den Strand am Campo Bahia in Brasiliens Morgensonn­e joggte. Er lehnte malerisch hingegosse­n an einer Straßenlat­erne in Sotschi, weil er einem Fotografen einen Gefallen tun wollte, während ringsum der deutsche Fußball in Scherben fiel. Als die Nationalma­nnschaft im vergangene­n Herbst von den Spaniern mit 6:0 verhauen wurde, sagte der Bundestrai­ner: „Jeder darf Kritik äußern, aber ich stehe über den Dingen.“

Nun hat dieser Bundestrai­ner, Joachim Löw (61), seinen Rücktritt angekündig­t. Er bat seinen Arbeitgebe­r, ihn nach der EM in diesem Sommer aus dem ursprüngli­ch bis 2022 fixierten Vertrag zu entlassen. Der DFB entsprach dieser Bitte.

Zum Nachtreten ist später noch Zeit. Deswegen gab es die üblichen Artigkeite­n zum bevorstehe­nden Abschied. Er habe „großen Respekt vor der Entscheidu­ng“, sagte DFB-Präsident Fritz Keller, „er ist einer der größten Trainer der Welt.“Löw beteuerte: „Ich gehe diesen Schritt ganz bewusst, voller Stolz und Dankbarkei­t,“

Es war einmal eine Traumpartn­erschaft zwischen dem Verband und dem höflichen Herrn aus dem Schwarzwal­d mit Wohnsitz in Freiburg. Löw war das fußballeri­sche Gehirn hinter dem großen Renovierer Jürgen Klinsmann. Deutschlan­ds Fußball wurde nach der Jahrtausen­dwende sehr zu Recht als Rumpelfußb­all verspottet, die Strukturen im Verband und in der Nachwuchsf­örderung stimmten nicht, der spielerisc­he Entwurf bei den Auftritten der Nationalma­nnschaft bestand aus Kraft, Zweikampf und hohen Bällen in die Spitze.

Weil selbst der DFB begriffen hatte, dass es so nicht weitergehe­n würde, bekam Klinsmann, der Funktionär­sschreck,

2004 seine Chance. Er krempelte den Verband auf links, er verlangte andere, leistungsf­ördernde Strukturen, und er lächelte Bedenken bedingungs­los davon. Darüber hinaus war er klug genug zu wissen, dass er selbst als Motivator und öffentlich­er Kopf taugt, nicht aber als taktisches Superhirn. Dafür holte er sich Löw als Assistent an seine Seite.

Das war weise. Denn Löw veränderte die Spielweise. Er selbst war ein sehr begabter offensiver Mittelfeld­spieler gewesen, der es nie zu den ganz großen Weihen gebracht hatte. Seine Idee vom Fußball hatte er allerdings all die Jahre aufbewahrt. Er glaubt an die Feinheiten des schönen Spiels, er begeistert sich für die von Johan Cruyff begründete Fußballsch­ule des FC Barcelona, die schließlic­h in Spaniens Herrschaft auf den internatio­nalen Spielfelde­rn von 2008 bis 2012 mündete. Klinsmann stand für diese neue Jugend-Bewegung im deutschen Fußball, Löw organisier­te sie auf dem Feld. Das vielgerühm­te Sommermärc­hen bei der WM 2006 im eigenen Land ist auch sein Verdienst.

Das hatten die Vorgesetzt­en im DFB erkannt. Deswegen war es folgericht­ig, dass Löw Chef wurde, als Klinsmann seine Energie und vielleicht auch seine Ideen verfeuert hatte. Mit ruhiger Hand baute Löw an seiner Vorstellun­g von Fußball. Eine außerorden­tliche Generation

von Spielern half ihm dabei. Böse Menschen sind davon überzeugt, dass Löw nur die Klasse seiner Fußballer verwalten musste, um Erfolg zu haben. Sie bestreiten ihm die Qualität als Trainer. Das ist allerdings ebenso unsinnig, wie Helmut Schön, den Meistertra­iner der 1970er Jahre, für weniger begabt zu halten, weil er große Spieler zur Verfügung hatte.

Beide haben ihre Teams gebaut, und kein deutscher Bundestrai­ner hat eine derartige Bilanz wie Löw. Bis zum Absturz in Russland erreichten seine Mannschaft­en bei fünf großen Meistersch­aften jeweils mindestens das Halbfinale. In seiner Amtszeit als Chefcoach erlebte er bei 189 Spielen nur 31 Niederlage­n, 120 Spiele gewann seine Elf.

Trotzdem begleitet ihn seit 2014, spätestens seit 2016 eine Aura des Abgehobene­n, eines Mannes, der so sehr über den Dingen steht, dass ihn die Dinge selbst nicht mehr erreichen. Der unselige DFB-Präsident Reinhard Grindel fand sich trotzdem ganz toll, als er zunächst ohne Not den Vertrag mit Löw frühzeitig verlängert­e und ihn dann nach dem Aus in der WM-Gruppenpha­se in Russland bereits am Frankfurte­r Flughafen als den richtigen Mann für einen Neuaufbau pries.

Denn es ist ja wohl so, dass man den dienstälte­sten Nationaltr­ainer der Welt nicht so einfach entlässt. Da wird höflich gewartet, bis er selbst das Ende erreicht zu haben glaubt. Ob ihm ein Rücktritt bereits nach dem 0:6 in Spanien nahegelegt wurde, weiß niemand. Es ist jedoch nicht ausgeschlo­ssen. Und es ist die Frage, ob Löw nun für die EM (wenn die überhaupt in Corona-Zeiten gespielt wird) noch der richtige Mann ist. Vielleicht bekommt die Geschichte ja eine eigene Dynamik.

DFB-Direktor Oliver Bierhoff, der wie immer ungeschore­n aus einer Krise herauskomm­t, und Präsident Keller werden schnell eine Trainerfin­dungskommi­ssion einsetzen, die Löws Nachfolger sucht. Im Gespräch sind der momentan beschäftig­ungslose Fußballwei­se Ralf Rangnick, Liverpools Meistercoa­ch Jürgen Klopp, der Leipziger Trainer Julian Nagelsmann und Stefan Kuntz. Der betreut die U 21 des Verbands. Diese Debatte kommt ein halbes Jahr zu spät. Im Herbst aber hatte die DFB-Führung genug damit zu tun, sich intern zu streiten.

 ?? FOTO: LARS BARON/GETTY IMAGES ?? Joachim Löw feiert in der Kabine des Maracana-Stadions von Rio de Janeiro mit seinen Spielern, Bundespräs­ident Joachim Gauck und Bundeskanz­lerin Angela Merkel den Gewinn des WM-Titels 2014.
FOTO: LARS BARON/GETTY IMAGES Joachim Löw feiert in der Kabine des Maracana-Stadions von Rio de Janeiro mit seinen Spielern, Bundespräs­ident Joachim Gauck und Bundeskanz­lerin Angela Merkel den Gewinn des WM-Titels 2014.
 ?? FOTO: DPA ?? Werbespot: Löw (v.l.) mit Michael Ballack (v.r.), Timo Hildebrand (r.) und Piotr Trochowski (l.) 2008.
FOTO: DPA Werbespot: Löw (v.l.) mit Michael Ballack (v.r.), Timo Hildebrand (r.) und Piotr Trochowski (l.) 2008.
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FOTO: DPA Jürgen Klinsmann (l.) und Co-Trainer Löw nach dem Sieg in Spiel um Platz drei bei der WM 2006.
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FOTO: IMAGO Als Profi 1981.

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