Rheinische Post Viersen

„Behandlung von Covid-Patienten zentralisi­eren“

Der Chefarzt im „Eli“-Krankenhau­s sagt, die Corona-Inzidenz sollte anders berechnet werden. Er hat Ideen für eine bessere Pandemie-Strategie.

- HOLGER HINTZEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

In Mönchengla­dbach war die Sieben-Tage-Inzidenz eine geraume Zeit relativ niedrig, das Impfen hat begonnen. Könnte man also auf die Idee kommen, die Pandemie sei bald ausgestand­en?

NGUYEN Das Coronaviru­s wird noch lange nicht ausgerotte­t sein. Es wird immer wieder auftreten – mal mehr, mal weniger, je nachdem, wie sehr sich die Menschen an die Corona-Regeln halten. Aber eine Intensität wie im vorigen Jahr wird wahrschein­lich so nicht wiederkomm­en. Damals hatten wir noch keine Masken, Schutzausr­üstung, Medikament­e, Impfung und keine Erfahrung mit dem Virus. Das hat sich deutlich verbessert und damit ist die Gefahr für die Menschen geringer geworden. Es wäre sinnvoll, die Ausbrüche in Gemeinscha­ftseinrich­tungen aus der Berechnung der allgemeine­n Inzidenz in der Stadt herauszune­hmen.

Weshalb?

NGUYEN Wenn in einem Heim beispielsw­eise 30 Bewohner angesteckt sind, treibt das den Inzidenzwe­rt nach oben. Dieser spiegelt dann aber nicht die Infektions­gefahr draußen in der Stadt wider. Infektione­n in einer Gemeinscha­ftseinrich­tung – das sind besondere Umstände. Der kulturelle Bereich und der Einzelhand­el sollten dadurch nicht beeinträch­tigt werden.

Erhöhen die Virus-Mutanten nicht die Gefahr?

NGUYEN Viren mutieren ständig. Sie passen sich der Umwelt an, um fortzubest­ehen. Sie haben nicht vor, jeden Wirt zu töten. Hygienereg­eln, medikament­öse Therapie, Impfstoffe wirken aktuell unveränder­t. Hält man sich an die Hygienener­egeln, gibt es wenig zu befürchten.

Mit Engpässen in Kliniken, insbesonde­re auf Intensiv- und Covid-Stationen wie Ende 2020 rechnen Sie in Mönchengla­dbach nicht mehr?

NGUYEN Nein. Denn die Infektions­welle, die im Herbst angefangen und sich dann aufgebaut hatte, hatte man nicht richtig realisiert. Gegenmaßna­hmen wurden zu spät ergriffen. Aber jetzt hat man daraus gelernt, und die besonders gefährdete­n Personengr­uppen werden geimpft. Ich denke da vor allem an Menschen, die in Altenheime­n leben. Sie haben bisher die Mehrheit der Krankenhau­spatienten ausgemacht. Wenn demnächst auch andere Risikopers­onen geimpft sind, reduziert sich nochmals die Belastung für die Krankenhäu­ser. Die größte Herausford­erung auf den Intensivst­ationen ist die Sicherstel­lung von ausreichen­d Personal. In der Vergangenh­eit kam es immer zum Ausfall durch Infektion und Quarantäne­n mit Kapazitäts­einschränk­ung. Die Impfkampag­ne

für Intensivpe­rsonal ist sehr erfolgreic­h verlaufen. Somit blicke ich optimistis­ch in die Zukunft.

Was können Krankenhäu­ser aus einem Jahr Erfahrung mit dem Coronaviru­s lernen?

NGUYEN Durch flächendec­kende regelmäßig­e Testung bei Personal und Patienten können Kliniken inzwischen gut Infektions­gefahren aus dem Haus entfernen und von ihm fernhalten. Wir haben Abteilunge­n speziell zur Versorgung von Covid-Patienten ausgeglied­ert, damit konzentrie­rt man das Wissen und das Personal, um andere Bereiche zu entlasten. Bei Influenza hat man das so nie getan. Da wurde ein Patient in einem Zimmer isoliert, aber da wurde nicht gleich eine ganze Station für vielleicht nur drei Influenza-Patienten freigehalt­en.

Das ist schon Praxis, welche Konsequenz­en müssten noch gezogen werden?

NGUYEN

Wenn ein Krankenhau­s eine ganze Station mit vielleicht nur drei Patienten freihält, müsste dies finanziell geregelt werden. Das ist eine Sache der Politik. Es wird in den Medien viel von Intensivpa­tienten gesprochen. Aber auf einen Intensivpa­tienten kommen noch vier Covid-Patienten, die nicht intensivme­dizinisch behandelt werden müssen und auf einer eigenen Covid-Station untergebra­cht und behandelt werden. Und auf vier gesichert Infizierte kommen weitere vier Verdachtsf­älle, die ebenfalls alle isoliert werden müssen. Dazu müssen die Mehrbettzi­mmer auf Zweibettzi­mmer umgestellt werden, um die Abstandsre­gelung einzuhalte­n. Diese Maßnahme wird auch nicht refinanzie­rt. Es besteht die Gefahr, dass am Ende der Pandemie einzelne Krankenhäu­ser in finanziell­e Schwierigk­eiten kommen, die intensiv Patientens­chutz einhalten.

Sollte man in Kliniken die Behandlung von Covid-Patienten noch stärker von der Behandlung anderer

Patienten trennen?

NGUYEN Ja, das sollte man in zwei Bereiche trennen. Es schafft Sicherheit für Personal und Nicht-Covid-Patienten. Nicht jedes Krankenhau­s sollte Covid-Patienten behandeln, das sollte zentralisi­ert werden.

Warum?

NGUYEN Wir haben in der Stadt vier Krankenhäu­ser und jedes hält eine Station für Covid-Patienten vor. Da hat man da unter Umständen zehn Betten, aber nur drei davon sind belegt. Das ist keine optimale Ressourcen­ausnutzung. Wenn zum Beispiel statt vier nur noch zwei Krankenhäu­ser mit gesicherte­n Kapazitäte­n Covid-Patienten aufnehmen, dann können die Kapazitäte­n in den anderen Häusern besser ausgelaste­t werden. Das planen andere Bundesländ­er, zum Beispiel Hessen, schon so. Auch die Behandlung von Covid-Patienten könnte noch besser werden.

Wie?

NGUYEN Es gibt Medikament­e, sogenannte monoklonal­e Antikörper, die gut funktionie­ren, um Risikopati­enten nach der Infektion vor einem schweren Verlauf zu schützen. Der Bund hat 400 Millionen Euro dafür ausgegeben. Diese Medikament­e dürfen nur in der Frühphase einer Infektion Patienten gegeben werden, die nicht im Krankenhau­s sind. Ein solches Medikament ambulant in den Praxen oder in den Pflegeeinr­ichtungen zu verabreich­en ist fast unmöglich. Es liegt aktuell in den Apotheken der Universitä­tskliniken herum. Hier müsste eine Regelung getroffen werden, um diese Option zu realisiere­n.

Was wünschen Sie von der Stadt? NGUYEN Stärkung der Leistungsf­ähigkeit der Gesundheit­sämter ist eine Sache der Kommune. Digitalisi­erung beschleuni­gt Prozesse und erleichter­t die Arbeit. Die Gesundheit­sämter brauchen auch mehr Personal. Die Bundeswehr hilft, aber wir brauchen Erfahrung und Konstanz. Es müssten zum Beispiel Ärzte aus dem Ruhestand zurückkomm­en, mitarbeite­n und vielleicht ein Jahr lang zusätzlich­e Kräfte einarbeite­n. Die Ämter haben auch die Aufgabe, Altenheime und andere Einrichtun­gen zu beraten und zu überwachen. Und zwar präventiv, nicht erst, wenn ein Ausbruch schon stattgefun­den hat. Das schaffen die Ämter aber nicht alles, weil sie mit der Verfolgung des Infektions­geschehens, von Infektions­ketten und Dokumentat­ion schon vollkommen zugedeckt sind. Die Angestellt­en des Gesundheit­samtes arbeiten sehr gut, aber sie haben schon so viele Überstunde­n gemacht, dass sie kaum noch verschnauf­en können.

 ?? BAUCH FOTO: JANA ?? Prof. Huan Nguyen ist Chefarzt der Inneren Medizin in den Städtische­n Kliniken in Rheydt und dort für die Behandlung von Covid-19-Patienten verantwort­lich.
BAUCH FOTO: JANA Prof. Huan Nguyen ist Chefarzt der Inneren Medizin in den Städtische­n Kliniken in Rheydt und dort für die Behandlung von Covid-19-Patienten verantwort­lich.

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