„Behandlung von Covid-Patienten zentralisieren“
Der Chefarzt im „Eli“-Krankenhaus sagt, die Corona-Inzidenz sollte anders berechnet werden. Er hat Ideen für eine bessere Pandemie-Strategie.
In Mönchengladbach war die Sieben-Tage-Inzidenz eine geraume Zeit relativ niedrig, das Impfen hat begonnen. Könnte man also auf die Idee kommen, die Pandemie sei bald ausgestanden?
NGUYEN Das Coronavirus wird noch lange nicht ausgerottet sein. Es wird immer wieder auftreten – mal mehr, mal weniger, je nachdem, wie sehr sich die Menschen an die Corona-Regeln halten. Aber eine Intensität wie im vorigen Jahr wird wahrscheinlich so nicht wiederkommen. Damals hatten wir noch keine Masken, Schutzausrüstung, Medikamente, Impfung und keine Erfahrung mit dem Virus. Das hat sich deutlich verbessert und damit ist die Gefahr für die Menschen geringer geworden. Es wäre sinnvoll, die Ausbrüche in Gemeinschaftseinrichtungen aus der Berechnung der allgemeinen Inzidenz in der Stadt herauszunehmen.
Weshalb?
NGUYEN Wenn in einem Heim beispielsweise 30 Bewohner angesteckt sind, treibt das den Inzidenzwert nach oben. Dieser spiegelt dann aber nicht die Infektionsgefahr draußen in der Stadt wider. Infektionen in einer Gemeinschaftseinrichtung – das sind besondere Umstände. Der kulturelle Bereich und der Einzelhandel sollten dadurch nicht beeinträchtigt werden.
Erhöhen die Virus-Mutanten nicht die Gefahr?
NGUYEN Viren mutieren ständig. Sie passen sich der Umwelt an, um fortzubestehen. Sie haben nicht vor, jeden Wirt zu töten. Hygieneregeln, medikamentöse Therapie, Impfstoffe wirken aktuell unverändert. Hält man sich an die Hygieneneregeln, gibt es wenig zu befürchten.
Mit Engpässen in Kliniken, insbesondere auf Intensiv- und Covid-Stationen wie Ende 2020 rechnen Sie in Mönchengladbach nicht mehr?
NGUYEN Nein. Denn die Infektionswelle, die im Herbst angefangen und sich dann aufgebaut hatte, hatte man nicht richtig realisiert. Gegenmaßnahmen wurden zu spät ergriffen. Aber jetzt hat man daraus gelernt, und die besonders gefährdeten Personengruppen werden geimpft. Ich denke da vor allem an Menschen, die in Altenheimen leben. Sie haben bisher die Mehrheit der Krankenhauspatienten ausgemacht. Wenn demnächst auch andere Risikopersonen geimpft sind, reduziert sich nochmals die Belastung für die Krankenhäuser. Die größte Herausforderung auf den Intensivstationen ist die Sicherstellung von ausreichend Personal. In der Vergangenheit kam es immer zum Ausfall durch Infektion und Quarantänen mit Kapazitätseinschränkung. Die Impfkampagne
für Intensivpersonal ist sehr erfolgreich verlaufen. Somit blicke ich optimistisch in die Zukunft.
Was können Krankenhäuser aus einem Jahr Erfahrung mit dem Coronavirus lernen?
NGUYEN Durch flächendeckende regelmäßige Testung bei Personal und Patienten können Kliniken inzwischen gut Infektionsgefahren aus dem Haus entfernen und von ihm fernhalten. Wir haben Abteilungen speziell zur Versorgung von Covid-Patienten ausgegliedert, damit konzentriert man das Wissen und das Personal, um andere Bereiche zu entlasten. Bei Influenza hat man das so nie getan. Da wurde ein Patient in einem Zimmer isoliert, aber da wurde nicht gleich eine ganze Station für vielleicht nur drei Influenza-Patienten freigehalten.
Das ist schon Praxis, welche Konsequenzen müssten noch gezogen werden?
NGUYEN
Wenn ein Krankenhaus eine ganze Station mit vielleicht nur drei Patienten freihält, müsste dies finanziell geregelt werden. Das ist eine Sache der Politik. Es wird in den Medien viel von Intensivpatienten gesprochen. Aber auf einen Intensivpatienten kommen noch vier Covid-Patienten, die nicht intensivmedizinisch behandelt werden müssen und auf einer eigenen Covid-Station untergebracht und behandelt werden. Und auf vier gesichert Infizierte kommen weitere vier Verdachtsfälle, die ebenfalls alle isoliert werden müssen. Dazu müssen die Mehrbettzimmer auf Zweibettzimmer umgestellt werden, um die Abstandsregelung einzuhalten. Diese Maßnahme wird auch nicht refinanziert. Es besteht die Gefahr, dass am Ende der Pandemie einzelne Krankenhäuser in finanzielle Schwierigkeiten kommen, die intensiv Patientenschutz einhalten.
Sollte man in Kliniken die Behandlung von Covid-Patienten noch stärker von der Behandlung anderer
Patienten trennen?
NGUYEN Ja, das sollte man in zwei Bereiche trennen. Es schafft Sicherheit für Personal und Nicht-Covid-Patienten. Nicht jedes Krankenhaus sollte Covid-Patienten behandeln, das sollte zentralisiert werden.
Warum?
NGUYEN Wir haben in der Stadt vier Krankenhäuser und jedes hält eine Station für Covid-Patienten vor. Da hat man da unter Umständen zehn Betten, aber nur drei davon sind belegt. Das ist keine optimale Ressourcenausnutzung. Wenn zum Beispiel statt vier nur noch zwei Krankenhäuser mit gesicherten Kapazitäten Covid-Patienten aufnehmen, dann können die Kapazitäten in den anderen Häusern besser ausgelastet werden. Das planen andere Bundesländer, zum Beispiel Hessen, schon so. Auch die Behandlung von Covid-Patienten könnte noch besser werden.
Wie?
NGUYEN Es gibt Medikamente, sogenannte monoklonale Antikörper, die gut funktionieren, um Risikopatienten nach der Infektion vor einem schweren Verlauf zu schützen. Der Bund hat 400 Millionen Euro dafür ausgegeben. Diese Medikamente dürfen nur in der Frühphase einer Infektion Patienten gegeben werden, die nicht im Krankenhaus sind. Ein solches Medikament ambulant in den Praxen oder in den Pflegeeinrichtungen zu verabreichen ist fast unmöglich. Es liegt aktuell in den Apotheken der Universitätskliniken herum. Hier müsste eine Regelung getroffen werden, um diese Option zu realisieren.
Was wünschen Sie von der Stadt? NGUYEN Stärkung der Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter ist eine Sache der Kommune. Digitalisierung beschleunigt Prozesse und erleichtert die Arbeit. Die Gesundheitsämter brauchen auch mehr Personal. Die Bundeswehr hilft, aber wir brauchen Erfahrung und Konstanz. Es müssten zum Beispiel Ärzte aus dem Ruhestand zurückkommen, mitarbeiten und vielleicht ein Jahr lang zusätzliche Kräfte einarbeiten. Die Ämter haben auch die Aufgabe, Altenheime und andere Einrichtungen zu beraten und zu überwachen. Und zwar präventiv, nicht erst, wenn ein Ausbruch schon stattgefunden hat. Das schaffen die Ämter aber nicht alles, weil sie mit der Verfolgung des Infektionsgeschehens, von Infektionsketten und Dokumentation schon vollkommen zugedeckt sind. Die Angestellten des Gesundheitsamtes arbeiten sehr gut, aber sie haben schon so viele Überstunden gemacht, dass sie kaum noch verschnaufen können.