Rheinische Post Viersen

Dieser Erreger ist biowaffent­auglich

- VON INGO GREIFFENDO­RF FOTO: DPA

MÖNCHENGLA­DBACH Bei „Dr. House“ist sie eine gern gestellte Verdachtsd­iagnose, wenn dem Fernseh-Heilkundig­en sonst nichts mehr einfällt. Und in der Tat handelt es sich um eine Rarität: Tularämie (Hasenpest) ist eine relativ seltene, aber hochanstec­kende Infektions­krankheit. Heimische Nagetiere oder blutsaugen­de Insekten können sie auf den Menschen übertragen und eine zum Teil schwere Erkrankung hervorzuru­fen. Die WHO sagt deshalb und auch wegen der vielfältig­en Infektions­wege: „Dieser Erreger ist potenziell biowaffent­auglich.“Eine Infektion von Mensch zu Mensch wurde bisher jedoch nicht beobachtet.

Erreger dieser sogenannte­n Zoonose sind zwei verschiede­ne Typen des Bakteriums Francisell­a tularensis. Der Typ A tritt ausschließ­lich in Nordamerik­a auf und ist für den Menschen weitaus gefährlich­er als der Typ B, der in Europa und in den Ländern der russischen Föderation vorkommt. Natürliche Reservoire,

also Träger dieser Erreger, sind neben Hasen, Kaninchen und Mäusen auch andere Wildtiere sowie Vögel und Amphibien. Sie erkranken selbst schwer und letztlich tödlich.

Haustiere wie Katzen und Hunde können sich beim Streunen infizieren und den Keim auf den Menschen übertragen. Der Nachweis von Francisell­a-Bakterien in blutsaugen­den Insekten wie etwa Zecken, Mücken und Bremsen erklärt einen wichtigen Weg der Übertragun­g auf den Menschen. Weitere Infektions­wege sind der Hautkontak­t mit einem infizierte­n Tier oder Tierkadave­r, der Verzehr von ungenügend gegartem Fleisch, das Trinken von kontaminie­rtem Oberfläche­nwasser oder die Inhalation kontaminie­rter Stäube, wie sie beim Rasenmähen oder bei Heuarbeite­n auftreten können.

Die Symptome richten sich nach der Eintrittsp­forte in den Körper. Wer den Erreger einatmet, kann eine Lungenentz­ündung bekommen. Bei Kontakt mit der Haut treten kleine Geschwüre auf, und die Lymphknote­n schwellen an; auch Augenentzü­ndungen oder Halsschmer­zen und Mandelentz­ündungen gibt es. In den allermeist­en Fällen ähneln die Symptome zunächst einem einfachen grippalen Infekt und sind nicht sofort als typisch für eine Tularämie erkennbar. Hinweise auf berufliche Tätigkeite­n, Freizeitak­tivität, Auslandsre­isen in Endemiegeb­iete oder ungewöhnli­che Insektenst­iche präzisiere­n die Diagnose. Verzögert sie sich, kann eine chronische Infektion mit Fieberschü­ben und unerklärli­chen Lymphknote­nschwellun­gen auftreten, die den Verdacht auf andere, häufigere und auch bösartige Erkrankung­en lenken.

Zur Therapie werden Antibiotik­a eingesetzt, die sehr gut ansprechen. Antibiotik­a-Resistenze­n sind bei Tularämie-Erregern bisher nicht nachgewies­en worden. Unbehandel­t sterben je nach Krankheits­bild bis zu 60 Prozent der Infizierte­n.

Die allermeist­en Ärzte in Deutschlan­d werden in ihrem Berufslebe­n keinen Patienten mit Tularämie diagnostiz­ieren oder gar behandeln müssen, und selbst unter Infektiolo­gen gehört diese Infektions­krankheit mit deutschlan­dweit 72 Fällen im Jahr 2019 zu den Exoten. Allerdings nimmt die Anzahl der nachgewies­enen Fälle beim Menschen in Deutschlan­d stetig zu und hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt. Die Dunkelziff­er dürfte deutlich höher liegen. Etwa die Hälfte

der Fälle stammt aus den Bundesländ­ern Bayern und Baden-Württember­g und zeigt einen saisonalen Gipfel in den Sommer- und Herbstmona­ten. Der Grund dafür ist das Freizeit- und Reiseverha­lten der Menschen mit einem erhöhten Risiko für Zeckenbiss­e und Insektenst­iche.

In jedem Fall müssen bei Tularämie die Veterinär- und Gesundheit­sämtern eng zusammenar­beiten und auch Warnungen ausspreche­n – wie dieser Tage für Teile des Stadtgebie­ts von Mönchengla­dbach. Wichtig sind aber auch der Schutz vor Stichen durch Zecken, Stechmücke­n und Bremsen, mit Repellents und entspreche­nde Kleidung.

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 ?? FOTO: ILLGNER ?? Der Autor Ingo Greiffendo­rf ist Oberarzt für Infektiolo­gie an den Kliniken Maria Hilf in Mönchengla­dbach.
FOTO: ILLGNER Der Autor Ingo Greiffendo­rf ist Oberarzt für Infektiolo­gie an den Kliniken Maria Hilf in Mönchengla­dbach.

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