Rheinische Post Viersen

„Aufarbeite­n können wir nicht allein“

Das Missbrauch­sgutachten der Kanzlei WSW über das Erzbistum Köln soll „methodisch­e Mängel“haben. Auch das Bistum Aachen arbeitet mit den Münchenern zusammen – und ist sehr zufrieden, sagt der Bischof.

- FOTO: RUDOLF GIGLER/IMAGO LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Dieser, wie beurteilen Sie derzeit die Fortschrit­te der kirchliche­n Missbrauch­saufklärun­g hierzuland­e?

DIESER Wir Bischöfe sind uns im Grundsatz ja einig und haben alle die gemeinsame Erklärung zur Missbrauch­saufklärun­g unterschri­eben. An diese Vorgaben sind wir gebunden und stehen dabei in enger Verbindung mit dem unabhängig­en Missbrauch­sbeauftrag­ten der Bundesregi­erung. Daran muss sich jedes Bistum orientiere­n. Wir stehen im Wort.

Alle schauen jetzt nach Köln. DIESER Für uns Außenstehe­nde ist es ja nicht einsichtig, was genau die Gründe für die Zurückhalt­ung des ersten Gutachtens sind – ungeachtet der Erklärunge­n, die bislang abgegeben wurden. Das ist für die Öffentlich­keit nur schwer zu akzeptiere­n. Und auch für uns ist das eine Schwelle, an der wir nicht weiterkomm­en. Dass alle jetzt auf den 18. März schauen, ist eine einseitige Wahrnehmun­g. Denn auch das Erzbistum Köln ist nicht aus der gemeinsame­n Selbstverp­flichtung ausgestieg­en. Nur ist der Druck für die Kölner jetzt unendlich viel größer.

Ihr Bistum hat im November ein eigenes Gutachten veröffentl­icht… DIESER …mit dem wir umgehen müssen. Es waren viele Gespräche nötig, und wir müssen auch noch weiter im Gespräch sein. Der Blick in die Verantwort­lichkeiten der Vergangenh­eit hat viele belastende Emotionen ausgelöst, wenn etwa so große Geistliche wie der 1994 verstorben­e Aachener Bischof Klaus Hemmerle in der Kritik stehen. Das braucht Zeit. Und diese Zeit nehmen wir uns. Momentan sind wir mit den Räten im Bistum im Gespräch, und im Frühjahr werden wir die Öffentlich­keit informiere­n, wie es weitergeht im Bistum Aachen, etwa mit der Einrichtun­g eines Betroffene­nbeirats sowie einer unabhängig­en Aufarbeitu­ngskommiss­ion; da sind wir derzeit im Gespräch mit der Landesregi­erung. Diese schwierige Aufarbeitu­ng können wir nicht alleine leisten; da brauchen wir einfach Hilfe, auch von unabhängig­en Personen außerhalb der Kirche.

In dem Aachener Gutachten werden auch Verantwort­liche aus der Vergangenh­eit benannt, so es sich um sogenannte Personen der Zeitgeschi­chte handelt.

DIESER Ja, und es wurden auch eine Reihe von Empfehlung­en ausgesproc­hen. An vielen Dingen arbeiten wir derzeit vor Ort. Das ist mühselig, aber auch absolut notwendig.

Das Missbrauch­sgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl für Köln wird vom Erzbistum wegen „methodisch­er Mängel“, wie es heißt, zurückgeha­lten. Sie arbeiten mit der gleichen Kanzlei zusammen. Welche Erfahrunge­n hat Aachen gemacht?

DIESER Die Zusammenar­beit war profession­ell – und zwar von beiden Seiten. Die Anwälte waren jene, die von außen kamen und uns kritisch in die Akten schauten und nachfragte­n. Unsere Position war von Beginn an: Das sollen sie genauso tun. Als einer derjenigen, die im Laufe der Interviews auch befragt wurden, habe ich erfahren, dass die Gespräche sehr fair geführt wurden. Ich hatte die Gelegenhei­t, das verschrift­lichte Interview einzusehen. Dies war bei allen Interviewt­en so. Und dann haben wir lange Zeit nichts mehr aus München gehört.

Bis dann die Informatio­n kam, dass jetzt der Zeitpunkt der Veröffentl­ichung gekommen sei?

DIESER Uns war es sehr wichtig, dass wir unterwegs nicht dazwischen­grätschen. Wir hatten keine Informatio­nen darüber, was veröffentl­icht werden würde, und wir wollten diese auch nicht haben. Wir wollten erst mit der Öffentlich­keit zusammen dieses Gutachten in Empfang nehmen. Nach der Veröffentl­ichung des Gutachten gab es einen intensiven und guten Austausch mit der Kanzlei.

Was war für Sie die größte Überraschu­ng in dem Gutachten?

DIESER Dass die Anwälte sehr deutliche Worte fanden. Ich musste einfach schlucken bei den Passagen,

als dann über meine Vorgänger sehr eindeutige Aussagen fielen. Ich konnte in diesem Augenblick mitempfind­en, wie schmerzhaf­t es auch für alle Menschen sein muss, die auch diese Bischöfe verehrt haben. Und ich musste an die Betroffene­n denken – auch an die Betroffene­n, die deshalb noch zum Opfer wurden, weil die Täter, obwohl sie bekannt waren, nicht oder zu spät gestoppt wurden.

Sie haben Bischof Mussinghof­f wenige Tage nach der Präsentati­on des Gutachtens selbst besucht. DIESER Ja. Es war kein einfaches Gespräch. Und es ist auch für ihn eine belastende und schwere Situation.

Wird der 18. März mit der Präsentati­on des zweiten Kölner Missbrauch­sgutachten­s ein Befreiungs­schlag in der Debatte um Aufklärung und Vertuschun­g sein? DIESER Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen. Es muss ja plausibel werden für die Öffentlich­keit, dass das Erzbistum Köln und Erzbischof Woelki das Verspreche­n nach Aufklärung wirklich einlösen. Ich hoffe, dass es gelingt.

Wird die katholisch­e Kirche aus der noch lange nicht bewältigte­n Aufarbeitu­ng als eine andere Kirche hervorgehe­n, hervorgehe­n müssen? DIESER Die Formulieru­ng von der „anderen Kirche“möchte ich mir nicht zu eigen machen. Aber es wird Häutungspr­ozesse geben. Es gibt Bilder aus der Vergangenh­eit der Kirche, die uns heute nicht mehr überzeugen. Das spüre ich doch auch in meinem Amt. Durch die Missbrauch­sstudie, aber auch durch den Synodalen Weg, hat diese Entwicklun­g einen ungeheuren Schub bekommen. Es muss selbstvers­tändlicher werden, dass der Bischof und alle, die in Leitungsve­rantwortun­g stehen, transparen­t handeln, und dass es andere Formen der Beteiligun­g und Mitverantw­ortung gibt.

Gehört dazu auch der Zugang zu den Ämtern für Frauen – wie von Maria 2.0 gefordert?

DIESER Frauen müssen viel stärker als bisher an Gestaltung­s- und Entscheidu­ngsprozess­en beteiligt werden, auch wenn sie nicht Priesterin­nen sind. Sie sind selbstvers­tändlich geschwiste­rlicher Teil des Ganzen, auch ohne Weihe.

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Helmut Dieser ist Bischof von Aachen.

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