„Aufarbeiten können wir nicht allein“
Das Missbrauchsgutachten der Kanzlei WSW über das Erzbistum Köln soll „methodische Mängel“haben. Auch das Bistum Aachen arbeitet mit den Münchenern zusammen – und ist sehr zufrieden, sagt der Bischof.
Herr Dieser, wie beurteilen Sie derzeit die Fortschritte der kirchlichen Missbrauchsaufklärung hierzulande?
DIESER Wir Bischöfe sind uns im Grundsatz ja einig und haben alle die gemeinsame Erklärung zur Missbrauchsaufklärung unterschrieben. An diese Vorgaben sind wir gebunden und stehen dabei in enger Verbindung mit dem unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Daran muss sich jedes Bistum orientieren. Wir stehen im Wort.
Alle schauen jetzt nach Köln. DIESER Für uns Außenstehende ist es ja nicht einsichtig, was genau die Gründe für die Zurückhaltung des ersten Gutachtens sind – ungeachtet der Erklärungen, die bislang abgegeben wurden. Das ist für die Öffentlichkeit nur schwer zu akzeptieren. Und auch für uns ist das eine Schwelle, an der wir nicht weiterkommen. Dass alle jetzt auf den 18. März schauen, ist eine einseitige Wahrnehmung. Denn auch das Erzbistum Köln ist nicht aus der gemeinsamen Selbstverpflichtung ausgestiegen. Nur ist der Druck für die Kölner jetzt unendlich viel größer.
Ihr Bistum hat im November ein eigenes Gutachten veröffentlicht… DIESER …mit dem wir umgehen müssen. Es waren viele Gespräche nötig, und wir müssen auch noch weiter im Gespräch sein. Der Blick in die Verantwortlichkeiten der Vergangenheit hat viele belastende Emotionen ausgelöst, wenn etwa so große Geistliche wie der 1994 verstorbene Aachener Bischof Klaus Hemmerle in der Kritik stehen. Das braucht Zeit. Und diese Zeit nehmen wir uns. Momentan sind wir mit den Räten im Bistum im Gespräch, und im Frühjahr werden wir die Öffentlichkeit informieren, wie es weitergeht im Bistum Aachen, etwa mit der Einrichtung eines Betroffenenbeirats sowie einer unabhängigen Aufarbeitungskommission; da sind wir derzeit im Gespräch mit der Landesregierung. Diese schwierige Aufarbeitung können wir nicht alleine leisten; da brauchen wir einfach Hilfe, auch von unabhängigen Personen außerhalb der Kirche.
In dem Aachener Gutachten werden auch Verantwortliche aus der Vergangenheit benannt, so es sich um sogenannte Personen der Zeitgeschichte handelt.
DIESER Ja, und es wurden auch eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen. An vielen Dingen arbeiten wir derzeit vor Ort. Das ist mühselig, aber auch absolut notwendig.
Das Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl für Köln wird vom Erzbistum wegen „methodischer Mängel“, wie es heißt, zurückgehalten. Sie arbeiten mit der gleichen Kanzlei zusammen. Welche Erfahrungen hat Aachen gemacht?
DIESER Die Zusammenarbeit war professionell – und zwar von beiden Seiten. Die Anwälte waren jene, die von außen kamen und uns kritisch in die Akten schauten und nachfragten. Unsere Position war von Beginn an: Das sollen sie genauso tun. Als einer derjenigen, die im Laufe der Interviews auch befragt wurden, habe ich erfahren, dass die Gespräche sehr fair geführt wurden. Ich hatte die Gelegenheit, das verschriftlichte Interview einzusehen. Dies war bei allen Interviewten so. Und dann haben wir lange Zeit nichts mehr aus München gehört.
Bis dann die Information kam, dass jetzt der Zeitpunkt der Veröffentlichung gekommen sei?
DIESER Uns war es sehr wichtig, dass wir unterwegs nicht dazwischengrätschen. Wir hatten keine Informationen darüber, was veröffentlicht werden würde, und wir wollten diese auch nicht haben. Wir wollten erst mit der Öffentlichkeit zusammen dieses Gutachten in Empfang nehmen. Nach der Veröffentlichung des Gutachten gab es einen intensiven und guten Austausch mit der Kanzlei.
Was war für Sie die größte Überraschung in dem Gutachten?
DIESER Dass die Anwälte sehr deutliche Worte fanden. Ich musste einfach schlucken bei den Passagen,
als dann über meine Vorgänger sehr eindeutige Aussagen fielen. Ich konnte in diesem Augenblick mitempfinden, wie schmerzhaft es auch für alle Menschen sein muss, die auch diese Bischöfe verehrt haben. Und ich musste an die Betroffenen denken – auch an die Betroffenen, die deshalb noch zum Opfer wurden, weil die Täter, obwohl sie bekannt waren, nicht oder zu spät gestoppt wurden.
Sie haben Bischof Mussinghoff wenige Tage nach der Präsentation des Gutachtens selbst besucht. DIESER Ja. Es war kein einfaches Gespräch. Und es ist auch für ihn eine belastende und schwere Situation.
Wird der 18. März mit der Präsentation des zweiten Kölner Missbrauchsgutachtens ein Befreiungsschlag in der Debatte um Aufklärung und Vertuschung sein? DIESER Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen. Es muss ja plausibel werden für die Öffentlichkeit, dass das Erzbistum Köln und Erzbischof Woelki das Versprechen nach Aufklärung wirklich einlösen. Ich hoffe, dass es gelingt.
Wird die katholische Kirche aus der noch lange nicht bewältigten Aufarbeitung als eine andere Kirche hervorgehen, hervorgehen müssen? DIESER Die Formulierung von der „anderen Kirche“möchte ich mir nicht zu eigen machen. Aber es wird Häutungsprozesse geben. Es gibt Bilder aus der Vergangenheit der Kirche, die uns heute nicht mehr überzeugen. Das spüre ich doch auch in meinem Amt. Durch die Missbrauchsstudie, aber auch durch den Synodalen Weg, hat diese Entwicklung einen ungeheuren Schub bekommen. Es muss selbstverständlicher werden, dass der Bischof und alle, die in Leitungsverantwortung stehen, transparent handeln, und dass es andere Formen der Beteiligung und Mitverantwortung gibt.
Gehört dazu auch der Zugang zu den Ämtern für Frauen – wie von Maria 2.0 gefordert?
DIESER Frauen müssen viel stärker als bisher an Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt werden, auch wenn sie nicht Priesterinnen sind. Sie sind selbstverständlich geschwisterlicher Teil des Ganzen, auch ohne Weihe.