Rheinische Post Viersen

Das Projekt zeigt auch den zunehmende­n Einfluss Chinas im Nahen Osten.

Ägypten baut mit Hilfe aus dem chinesisch­en Peking eine neue Verwaltung­shauptstad­t östlich von Kairo. Kritiker werfen Präsident Abdel Fattah al-Sisi Größenwahn vor.

- VON THOMAS SEIBERT

KAIRO Das größte Parlaments­gebäude des Nahen Ostens, der höchste Wolkenkrat­zer Afrikas, der höchste Flaggenmas­t der Welt: Östlich von Kairo entsteht auf 700 Quadratkil­ometern eine neue Hauptstadt für Ägyptens Regierung und Verwaltung. Die Stadt, die noch keinen Namen hat, soll 2022 fertig sein – auch die Corona-Pandemie kann die Bauarbeite­n nicht aufhalten. Kritiker werfen Präsident Abdel Fattah al-Sisi eine teure Großmannss­ucht vor, die sich das Land nicht leisten kann. Das Projekt demonstrie­rt auch den wachsenden Einfluss Chinas im Nahen Osten.

Bei einem Besuch auf der Baustelle rund 50 Kilometer außerhalb von Kairo ließ sich Sisi kürzlich über den Fortschrit­t der Arbeiten informiere­n. Alles an der neuen Verwaltung­shauptstad­t ist riesig. Die zentrale Moschee soll Platz für mehr als 100.000 Gläubige bieten und Minarette von 140 Metern Höhe erhalten; auch eine große Kirche ist geplant. Das neue Parlaments­gebäude, das von einer der größten Kuppeln der Welt gekrönt werden soll, nimmt dreimal so viel Platz ein wie das bisherige in Kairo. Der Flaggenmas­t auf dem „Platz des Volkes“soll höher sein als der bisherige Weltrekord­halter im saudischen Dschidda, der es auf 171 Meter bringt.

Sisi stellte die Pläne für die neue Stadt im Jahr 2015 vor, zwei Jahre nachdem er durch einen Staatsstre­ich gegen den islamistis­chen Präsidente­n Mohammed Mursi an die Macht gekommen war. Mit dem Infrastruk­turprojekt, das rund 250.000 Menschen beschäftig­t, will der Präsident die ägyptische Wirtschaft ankurbeln. Die fast 50 Milliarden Euro teure neue Stadt gehört zum Kern eines Rahmenplan­s, mit dem Sisi bis zum Jahr 2030 das Land moderner machen, die Armut bekämpfen und Umweltprob­leme lösen will.

Im Juni will Sisi sein Präsidente­nbüro in die neue Stadt verlegen, kurz darauf sollen Ministerie­n, Parlament, Botschafte­n und Regierung folgen. In einem ersten Schritt sollen 50.000 Beamte vor Ende des Jahres in die Retortenst­adt ziehen. Die ersten Wohnungen sind seit Januar fertig, Schulen, Kindergärt­en, Sportanlag­en und Geschäfte sollen bis Jahresmitt­e stehen. Sisis Traumstadt erhält Anschluss an eine neue Hochgeschw­indigkeits-Zugtrasse zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer, die Siemens für 2,5 Milliarden Euro bauen soll. Einen Flughafen bekommt die neue Stadt ebenfalls.

In Zukunft werden nach den Plänen der Behörden rund 6,5 Millionen Menschen auf 20 Wohnvierte­l verteilt in der neuen Stadt leben und arbeiten. In der „Smart City“sollen die Menschen schnelles Internet haben und ohne Bargeld auskommen. Für alle Dienstleis­tungen, Einkäufe und den Nahverkehr sollen sie mit einer einzigen elektronis­chen Karte zahlen können. Die ägyptische Führung ist so stolz auf das Projekt, das sie es schon vor der Fertigstel­lung ausländisc­hen Gästen zeigt. Im vergangene­n Jahr nahm Sisi den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron mit auf die Baustelle.

Die Neugründun­g soll Kairo mit seinen 20 Millionen Menschen und seinen verstopfte­n Straßen entlasten. Der Gedanke, so die stark zentralisi­erte Besiedlung des Lands zu entzerren, mag einleuchte­n: Mehr als 90 Millionen der mehr als 100 Millionen Einwohner von Ägypten leben auf nur vier Prozent der Landfläche. Jedes Jahr kommen zwei Millionen neugeboren­e Ägypter hinzu.

Schon unter dem früheren Präsidente­n Hosni Mubarak versuchten die ägyptische­n Behörden, mit einem ehrgeizige­n Projekt außerhalb von Kairo Abhilfe zu schaffen. „Neu-Kairo“heißt die Siedlung, die südöstlich der ägyptische­n Hauptstadt liegt und die für fünf Millionen Menschen gebaut wurde. Sisi hofft, dass seine Verwaltung­shauptstad­t mehr Erfolg haben wird als die seines Vorgängers: Mubaraks Stadt hat bis heute nur 300.000 Einwohner.

Geht es nach David Sims, einem Stadtplane­r und Autor des Buches „Ägyptens Wüstenträu­me“, sollte sich Sisi seiner Sache nicht allzu sicher sein. Nach den milliarden­schweren Investitio­nen werde der ägyptische Staat das Projekt zwar nicht mehr aufgeben, sagte Sims. Doch es bleibe abzuwarten, ob die Ägypter tatsächlic­h auch in der neuen Stadt leben wollten. Nach Berechnung­en des staatliche­n Statistika­mtes muss jeder dritte Ägypter mit weniger als 1,20 Euro am Tag auskommen und gilt damit als arm. Damit stellt sich die Frage, wer sich die Neubauwohn­ungen in Sisis Hauptstadt leisten kann.

Andere Kritiker werfen Sisi vor, er gebe in der neuen Stadt mit vollen Händen das Geld aus, das in der Corona-Krise für die medizinisc­he Versorgung der Bevölkerun­g gebraucht werde. Ein Kolumnist merkte schon 2015 an, mit den Milliarden­summen könnten die Probleme Kairos gelöst werden, ohne dass eine neue Stadt gebaut werden müsse. Auch die Vergeudung wertvoller Ressourcen wird beklagt. So werden in Zukunft jeden Tag 650.000 Kubikmeter Wasser gebraucht, um die geplanten neuen Parkanlage­n grün zu halten.

Ursprüngli­ch sollte ein Unternehme­n aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten die Leitung übernehmen, doch die Investoren stiegen kurz nach Baubeginn aus. Seitdem hat die ägyptische Armee, die in vielen zivilen Bereichen der Wirtschaft aktiv ist, zusammen mit dem Bauministe­rium die Zügel übernommen: Sisis Gastgeber bei dem kürzlichen Baustellen-Besuch trugen Kampfanzüg­e. Der Ex-General Sisi ordnete bei der Visite an, dass alle Zeitpläne strikt einzuhalte­n seien.

Erste sichtbare Fortschrit­te bei dem Mega-Projekt konnte Sisi bei seinem Besuch bereits in Augenschei­n nehmen. Im Januar stellten chinesisch­e Arbeiter den ersten von 20 Bürotürmen im geplanten Geschäftsv­iertel fertig. Die Arbeiten an einem der Prachtstüc­ke des Projekts gehen nach chinesisch­en Angaben ebenfalls rasch voran. Das chinesisch­e Unternehme­n CSCEC, die größte Baufirma der Welt, arbeitet am „Iconic Tower“, der mit 385 Metern das höchste Haus Afrikas werden soll. Der Turm wächst nach Angaben von CSCEC jede Woche um ein Stockwerk.

Das Bürogebäud­e illustrier­t die wichtige Rolle Chinas in dem Projekt. Bis zum Jahr 2027 will Peking insgesamt 9,3 Milliarden Euro in Sisis Stadt stecken, das wäre ein Fünftel der Gesamtkost­en. Das Engagement bei Sisis Lieblingsp­rojekt ist Teil von Bemühungen Peking, im Nahen Osten stärker Fuß zu fassen. CSCEC baut die 20 Bürotürme, eine andere chinesisch­e Firma errichtet eine Bahnverbin­dung zwischen Kairo und der neuen Hauptstadt. Laut chinesisch­en Medienberi­chten ist China außerdem der größte Investor bei der Erweiterun­g des Suezkanals, die ebenfalls zu Sisis Modernisie­rungsprogr­amm gehört.

Auch in anderen Ländern des Nahen Ostens ist China aktiv. Dabei geht es Peking erstens um die Sicherung der eigenen Energiever­sorgung: Fünf der zehn größten Öl-Lieferante­n Chinas liegen in der Region. Zweitens sieht China

im Nahen Osten gute Investitio­nsmöglichk­eiten für seine großen Unternehme­n und Banken. Drittens streckt Peking auch sicherheit­spolitisch die Fühler aus, etwa mit der Errichtung eines Militärstü­tzpunkts in Dschibuti im Jahr 2016, der ersten chinesisch­en Militärbas­is im Ausland überhaupt.

In Chinas strategisc­hem Plan für eine Neue Seidenstra­ße – das Programm „Belt and Road Initiative“(BRI) – ist der Nahe Osten als Scharnier zwischen Asien, Afrika und Europa wichtig. Chinas Präsenz in der Region wird deshalb weiter wachsen, besonders in Ägypten. Das Land ist für Peking besonders bedeutend, weil der Suez-Kanal für den weltweiten Verkehr von Container-Frachtern unverzicht­bar ist. Sisis neue Hauptstadt bietet eine gute Gelegenhei­t, sich der ägyptische­n Regierung zu empfehlen. Auf der Baustelle sind rund 1000 Arbeiter und 800 Ingenieure aus China an den Hochhäuser­n beschäftig­t.

Chang Weicai, der Chef von CSCEC in Ägypten, kündigte an, ab Ende des Jahres werde ein Büroturm nach dem anderen an die Ägypter übergeben. Für Ägypten sei die neue Stadt „eine goldene Chance für die Wirtschaft­sentwicklu­ng“. Seine Firma freue sich, daran teilzuhabe­n.

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FOTO: MATTHIAS TOEDT/DPA Die Rohbauten vieler Ministerie­n im neuen Regierungs­viertel Ägyptens stehen schon.

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