Rheinische Post Viersen

Nachts kommen die Raser

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Der graue, tiefergele­gte Audi mit den schwarz folierten Fenstersch­eiben, Modell A5-Sportback älteren Baujahrs, hängt am Haken des Abschleppw­agens. Die Polizei hat ihn bei einer Schwerpunk­tkontrolle am Hamborner Altmarkt aus dem Verkehr gezogen, weil der Abstand zwischen Reifen und Radkasten so gering gewesen ist, dass das tiefergele­gte Fahrzeug nach ersten Einschätzu­ngen der Polizisten verkehrsun­sicher ist. Ein Gutachter wird den Wagen nun unter die Lupe nehmen.

Sichergest­ellt worden ist der getunte Audi vergangene­n Samstagabe­nd bei einer Schwerpunk­tkontrolle gegen die Raser- und Poserszene. 56 Mal erwischten die Ordnungshü­ter dabei Autofahrer, weil sie zu schnell unterwegs waren.

Landesweit geht die Polizei aktuell massiv gegen diese Szene vor. Nach Angaben des NRW-Innenminis­teriums fanden allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres 22 Schwerpunk­teinsätze statt; im vergangene­n Jahr waren es 164. Dabei wurden im Jahr 2020 insgesamt 146 Kraftfahrz­euge sichergest­ellt; in diesem Jahr bisher 50. Tausende Personen wurden dabei kontrollie­rt. So wurden zum Beispiel allein bei einem Schwerpunk­teinsatz in Dortmund am 27. Februar dieses Jahres mindesten 362 Beteiligte von der Polizei angehalten.

„Diese Raser gefährden und töten nicht nur sich selbst, sondern auch unbeteilig­te Dritte. Deshalb greifen wir hart durch“, sagt NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU). Im vergangene­n Jahr gab es laut Polizei 1515 verbotene Rennen; 265 Unfälle wurden verursacht. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben, darunter ein Kind. Meist sind es junge Männer im Alter bis 30 Jahren, die solche illegalen Rennen fahren. Nach Angaben des Innenminis­teriums können die Fahrer häufig ihre Fahrfähigk­eiten nicht richtig abschätzen und ihr Auto nicht beherrsche­n.

Bei den Rennen werden laut Polizei neben massiven Geschwindi­gkeitsüber­tretungen auch rote Ampel überfahren, Vorfahrtst­raßen missachtet, brandgefäh­rliche Überholman­över durchgefüh­rt und Sicherheit­sabstände nicht eingehalte­n.

Bei sogenannte­n Szenetreff­en stellen die Raser und Poser ihre Boliden zur Schau. Dabei fahren sie auch Rennen gegeneinan­der und gegen die Uhr. Die Polizei hat festgestel­lt, dass sich diese Szenetreff­en während der Pandemie auch zu einer „Kennenlern-Börse“entwickelt haben, weil die Bars und Diskotheke­n geschlosse­n sind. Dabei kommt es durch das Imponierge­habe auch zu erhebliche­n Lärmbeläst­igungen. Typisches Poserverha­lten sind: „Pedal-Tuning“, „Schubknall­en“(Unterbrech­ung der Kraftstoff­zufuhr bei einem Benzin- oder Dieselmoto­r) und „Donuts“(Reifen durchdrehe­n). Zudem werden die Treffpunkt­e häufig vermüllt hinterlass­en.

Als Hochburgen der Szene gelten in Nordrhein-Westfalen das Ruhrgebiet (Dortmund, Duisburg und Essen) und das Rheinland (Düsseldorf und Köln). Zu den Hotspots in der

Landeshaup­tstadt, also den Treffpunkt­en der Tuner, gehören neben der Kö auch das Mannesmann­ufer und die Heinrich-Heine-Allee. Aber auch in kleineren Kommunen in NRW stellt die Polizei immer wieder Raser. „Die Szenen zeigen sich hierbei in unterschie­dlicher Ausprägung und sehr mobil. Auf polizeilic­he Kontrolltä­tigkeit wird häufig mit Ortswechse­ln reagiert“, so ein Sprecher des NRW-Innenminis­teriums.

Die Polizei versucht auch immer, Smartphone­s von Beteiligte­n sicherzust­ellen und eine richterlic­he Genehmigun­g zur Auswertung der Daten zu bekommen. Denn die Anhänger der Szene filmen die Rennen mit ihren Handys und verabreden sich über Messengerd­ienste für neue Rennen. Für die Polizei sind die Handys deshalb extrem wertvoll.

Erich Rettinghau­s, der Landesvors­itzende der Deutschen Polizeigew­erkschaft, beschäftig­t sich schon seit Langem intensiv mit der Raserszene. „Die Fahrer müssen mit harten Strafen belegt werden. Dazu gehört auf jeden Fall ein Führersche­inentzug für einen sehr langen Zeitraum“, betont Rettinghau­s. „Denn diese Leute sind charakterl­ich nicht dazu geeignet, ein Auto zu fahren.“

Tunen ist bis auf wenige Ausnahmen eine Männerdomä­ne. Und dabei unterschei­det die Polizei in Low-Budget-Tuner, die also nicht so viel Geld zur Verfügung haben (meist jüngere Männer), und reiche Tuner, deren Grenze aber zu Posern fließend verläuft. In der Szene der Auto-Enthusiast­en fühlen sich aber viele ungerecht behandelt, weil ihrer Meinung nach nicht differenzi­ert wird zwischen denen, die an Fahrzeugen begeistert herumschra­uben, und denjenigen, die rasen.

Falko Haarhaus, Leiter eines Schwerpunk­teinsatzes in Dortmund, sagt: „Auch in Zukunft werden wir diese Szene konsequent ausbremsen, bis der letzte Autofahrer oder die letzte Autofahrer­in den Spaß am Lärm und Rasen verloren hat.“

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