Rheinische Post Viersen

Die Sorge vor der dritten Welle

Die Infektions­zahlen steigen, die Inzidenzwe­rte deuten auf eine weitere Corona-Welle hin. In den Krankenhäu­sern sind noch ausreichen­d Kapazitäte­n vorhanden, dennoch sind die Mediziner alarmiert.

- VON JAN DREBES

BERLIN Vor diesem Phänomen hatten Epidemiolo­gen bereits vor Monaten gewarnt: Deutschlan­d befindet sich in diesem Frühjahr am Anfang einer weiteren Infektions­welle, während das Land auf weitere Lockerunge­n der Corona-Einschränk­ungen zusteuert. „Wir haben ganz klare Anzeichen dafür: In Deutschlan­d hat die dritte Welle schon begonnen“, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, im Gespräch mit der UN-Journalist­envereinig­ung (ACANU) in Genf. „Ich bin sehr besorgt.“Zugleich sehen Intensivme­diziner derzeit noch Spielraum für eine solche Entwicklun­g, bevor die Krankenhäu­ser an Kapazitäts­grenzen stoßen. Vorausgese­tzt, diese dritte Welle türmt sich nicht so auf wie die zweite.

„Die deutschen Intensivst­ationen können eine moderate dritte Welle auffangen“, sagte der wissenscha­ftliche Leiter des Intensivre­gisters der Fachgesell­schaft Divi, Christian Karagianni­dis, unserer Redaktion. Eine starke dritte Welle wäre hingegen eine Katastroph­e, weil die Zahl der freien Betten derzeit nicht rasch genug steige und das Personal erschöpft sei. „Entscheide­nd ist, dass die Ansteckung­srate nicht über den sogenannte­n R-Wert von etwa 1,2 steigt“, sagte Karagianni­dis. „Das ist etwa die Grenze, danach wird es kritisch, sofern es mit dem Impfen jetzt zügig vorangeht.“Der bundesweit­e Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lageberich­t vom Mittwochab­end bei 0,96, am Vortag waren es 0,97.

Doch genau das Problem des Impftempos steht derzeit zur politische­n Debatte. Aus Regierungs­kreisen hieß es am Donnerstag, dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten der Länder am kommenden Wochenende darüber entscheide­n wollen, ab wann und in welchem Umfang die Hausarztpr­axen in die Impfstrate­gie eingebunde­n werden sollen – ab wann sich die Menschen also auch bei niedergela­ssenen Ärzten impfen lassen können, neben den Impfzentre­n.

Eigentlich sollen die Praxen Mitte April starten, das hatten die Gesundheit­sminister

von Bund und Ländern als Entscheidu­ngsgrundla­ge für die Regierungs­spitzen empfohlen. Doch dass dieser Termin gehalten werden kann, daran gibt es bereits jetzt Zweifel. Andreas Gassen, Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV ), sagte im ZDF-„Morgenmaga­zin“, er erwarte den Impfstart in den

Praxen frühestens im Mai. Die Ärze würden vorher „schlicht und ergreifend nicht genug Impfstoff bekommen“, sagte Gassen. Die Politik wolle zuerst die Impfzentre­n mit Impfstoffe­n ausstatten und deren Finanzieru­ng absichern, danach folgten die Praxen mit den übriggebli­ebenen Impfdosen. Das sei ein Unding. Der

KBV-Chef geht davon aus, dass „wir auf diese Ressourcen wohl dann erst im Mai zurückgrei­fen können und es bei dem bisherigen Impftempo bleiben dürfte“.

Auch Intensivme­diziner Karagianni­dis macht Druck für ein höheres Impftempo und kritisiert die Hürden, die sich durch die Prioritäts­gruppen im Alltag ergeben könnten. „Um die Welle abzuschwäc­hen, helfen am besten viele Impfungen“, sagte er. Die Hausärzte müssten jetzt schnell eingebunde­n werden. „Ich plädiere dafür, dass den niedergela­ssenen Ärzten bei der Auswahl der Patienten mehr Spielraum jenseits der Prioritäts­gruppen gelassen wird“, sagte Karagianni­dis. „Nichts ist schlimmer, als dass Impfdosen am Ende eines Arbeitstag­es übrig bleiben oder im Müll landen. Dann wäre es besser, wenn der Arzt ihm bekannte Patienten anruft, ob sie spontan zur Impfung kommen wollen“, forderte Karagianni­dis. Das ist bislang jedoch eine rote Linie. Bundesregi­erung, Länder und der Ethikrat pochen auf die strikte Einhaltung der Impfreihen­folge. Zugleich gibt es aus allen Teilen der Bundesrepu­blik Berichte, wonach Impfstoffe liegenblei­ben und nicht so schnell verimpft werden, wie es eigentlich möglich wäre.

Angesichts dessen steigt der Druck aus der Wirtschaft, insbesonde­re mit Blick auf die bevorstehe­nden Osterferie­n. Hotels und Gaststätte­n fordern die Politik auf, sie in dieser Krise nicht hinten herunterfa­llen zu lassen. Ingrid Hartges, Hauptgesch­äftsführer­in des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes, sagte: „Ende März befindet sich das Gastgewerb­e seit Beginn der Pandemie sieben Monate im Lockdown. Wir verlangen deutlich mehr Tempo beim Impfen und Testen. Der Endlos-Lockdown ist keine Lösung – nicht für die Unternehme­r, nicht für die Beschäftig­ten.“Von der nächsten Bund-Länder-Runde erwarte der Dehoga einen konkreten Fahrplan, wann unter welchen Voraussetz­ungen die Restaurant­s und Hotels wieder Gäste empfangen dürfen. „61,0 Prozent unserer Betriebe plädieren für eine Öffnung noch vor Ostern“, sagte Hartges.

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