Als Bremen Bayern vom Thron stieß
2004 gewann Werder das Double. Das scheint vor dem Duell am Samstag ewig her.
MÜNCHEN Es ist ein eher kühler Frühlingstag im Mai 2004, als Werder Bremen den Meister vom Thron stößt. Im Münchner Olympiastadion feiern die Hanseaten am 32. Bundesligaspieltag einen nie gefährdeten 3:1-Erfolg bei den Bayern, und sie holen ihren vierten Meistertitel. Dass es vorläufig der letzte sein würde, ahnt niemand. Und dass sich die Kräfteverhältnisse in den nächsten Jahren dramatisch verändern werden, ebenfalls nicht. Die Realität: Am Samstag empfängt das graue Mittelklasseteam Werder die Münchner, die inzwischen ein Abonnement auf den Titel haben.
Davon will am 8. Mai vor 17 Jahren keiner etwas wissen. Der Bremer Anhang (und nicht nur der) berauscht sich an der Vorstellung einer Mannschaft, die vom Zauber ihres Regisseurs Johan Micoud, von einer bestens entwickelten Binnenstruktur im Team, von der stoischen Ruhe ihres Trainers Thomas Schaaf und vom Glanz ihres Torjägers Ailton lebt.
Micoud und Ailton zünden die Lichter an diesem drittletzten Spieltag der Saison. Aber die erste Nebenrolle der tragischen Figur übernimmt an diesem Nachmittag Oliver Kahn. Bayerns Torhüter, zwei Jahre zuvor bei der WM in Japan und Südkorea auf dem Boulevard der großen Buchstaben zum „Titan“aufgestiegen, lässt einen Ball fallen, der Bremer Stürmer Ivan Klasnic hat keine Mühe, das frühe 1:0 zu erzielen.
Nun rollt Werders Express. Mit allem Gefühl des außerordentlich Begabten hebt Micoud den Ball zum 2:0 ins Netz. Und natürlich hat auch
Ailton seinen Auftritt. Sein Schlenzer sitzt im linken Giebel zum zwischenzeitlichen 3:0. Dass Roy Makaay irgendwann in der zweiten Hälfte noch das 1:3 aus Sicht der Bayern erzielt, ist den Bremern ziemlich gleichgültig. Sie haben ihre Meisterparty längst begonnen.
Vorneweg Ailton, der nicht nur beim Toreschießen ein Großer ist. Der knubblige Brasilianer wird mit 28 Treffern Torschützenkönig der Saison, die Sportjournalisten wählen ihn zum Fußballer des Jahres. Und die Fans lieben seine Sprüche. Er vollendet, was Micoud inszeniert hat. Der Franzose ist ein grandioser Feingeist am Ball, den Gedanken der Gegenspieler immer einen Schritt voraus und im Auftritt mit einer Eleganz, die in der Bundesliga seit Franz Beckenbauers Tagen nicht mehr zu sehen gewesen ist. Dass Micoud nicht auch in der französischen Nationalmannschaft eine Epoche prägt, liegt an einem gewissen Zinedine Zidane, an dem weder Micoud noch irgendein anderer Spieler des Planeten in dieser Zeit vorbeikommt.
Micoud muss sich mit Werders Erfolgen begnügen. Die fallen in diesem Jahr besonders üppig aus, denn Ende Mai sammelt Bremen auch noch den DFB-Pokal ein, im Endspiel besiegen die Männer aus der Hansestadt Alemannia Aachen mit 3:2.
Werder ist ganz oben angekommen. Es zeigt den Bayern die Zähne. Das kennen sie in Bremen schon. Fast ein Vierteljahrhundert sind die Bremer ein ernsthafter Konkurrent des Rekordmeisters. 1983 werden sie nach langer Durststrecke wieder Vizemeister (noch vor den Bayern, die in dem Jahr Vierter werden), 1985 und 1986 müssen sie den Münchnern zum Titel gratulieren. Zwei Jahre später ist Werder vorn, Trainer Otto Rehhagel feiert seine erste Meisterschaft, in Bremen krönen sie ihn endgültig zum König, als er das Kunststück 1993 wiederholt.
Noch zwei Jahre bleibt Werder oben dabei, dann kommt ein Tal, aus dem erst Schaaf und Manager Klaus Allofs den Verein als Team führen. Allofs beweist ein gutes Gespür für den Markt, die Verpflichtungen sitzen – zunächst. Bis 2008 hält Bremen sich in der Verfolgerrolle, da wird das Team noch einmal Zweiter. Meister werden wieder die Bayern.
Doch der Erfolg hat buchstäblich seinen Preis. Die Spieler werden teurer, aber die Einnahmen steigen nicht im Gleichschritt. Vor allen die begrenzte Kapazität des Weserstadions ist ein wirtschaftliches Problem. Hinzukommen sportliche Fehlentscheidungen.
Langsam beginnt der Abstieg bis tatsächlich an den Rand der zweiten Liga. Die Bayern sind wieder einen ihrer Konkurrenten losgeworden.