Rheinische Post Viersen

Der Andy Warhol für die Gegenwart

Die neue Ausstellun­g im Museum Ludwig zeigt, wie zeitgemäß der 1987 gestorbene Künstler bleibt. Das Publikumsi­nteresse an der Ausstellun­g ist enorm.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

KÖLN Und wer denkt, er habe alles von Andy Warhol gesehen, die Suppendose­n, die Marilyns und Dollarnote­n, möge bitte unbedingt nach Köln fahren. Gleich in einem der ersten Räume der Ausstellun­g „Andy Warhol Now“gibt es Tintenzeic­hnungen zu sehen, die so schön und unerwartet sind, so sensatione­ll zart und gut gearbeitet, dass man unweigerli­ch an Matisse denkt, an Cocteau und Picasso. Warhol war soeben von Pittsburgh nach New York City gezogen, als er die Bilder in den 50er-Jahren mit feinem Schwung anfertigte. Sie zeigen Gesichter, Männerkörp­er, Geschlecht­steile, Alltagssze­nen und Menschenli­ebe. Warhol, bevor er Warhol wurde.

Nun ist die große Überblicks­ausstellun­g im Museum Ludwig endlich eröffnet. Mehr als 100 Werke sind dort schon seit Wochen versammelt, und der Wunsch, in diese Schatzkamm­er vorgelasse­n zu werden, ist so groß, dass der Ticketserv­er unter der Last der Anfragen zusammenbr­ach. Nur ein Zehntel der Interessie­rten wird die von Stephan Diederich und Yilmaz Dziewior kuratierte Schau bis zu ihrem Finale am 13. Juni überhaupt sehen können, da nur eine Person auf 20 Quadratmet­er zugelassen ist. Und diejenigen, die eine Karte ergattern, können sich doppelt glücklich schätzen. Denn das ist eine inspiriere­nde Ausstellun­g.

Die Besucher sollen im 1987 gestorbene­n Warhol einen Zeitgenoss­en erkennen, der sich mit Themen auseinande­rsetzte, die unsere Gegenwart prägen. Begleitend­e Texte und kontextuel­le Hängungen zeigen, wie stark Warhols Kunst auf gesellscha­ftliche Vorstellun­gen und Werte reagierte, wie sie auf Diskurse wirkte und sie veränderte. In Köln ist vor allem der queere Künstler zu erleben. Der aus dem Englischen stammende Begriff „queer“beschreibt Personen, deren geschlecht­liche Identität und/oder sexuelle Orientieru­ng nicht der heteronorm­ativen Vorstellun­g von weiblichem und männlichem Begehren und traditione­llen Geschlecht­errollen entspricht. Außerdem wird Warhol als Einwandere­rkind vorgestell­t, das als Außenseite­r auf die US-Gesellscha­ft blickte und dem ostkatholi­schen Glauben seiner aus den Karpaten emigrierte­n Mutter verbunden blieb.

Die Ausstellun­g beginnt vor einer mächtigen Wand, auf die Warhols „Screen Tests“projiziert werden. Eine Person musste sich dafür drei Minuten lang auf einen Stuhl setzen und wurde mit unbewegter Kamera gefilmt. Bob Dylan sieht man da posieren, Dennis Hopper, Allen Ginsberg und Edie Sedgwick. Überhaupt nimmt die Ausstellun­g oft Bezug auf die Personen, die um Warhol herumschwi­rrten. Eine diverse, offene Gesellscha­ft war das, so hat es den Anschein. Eine friedliche Armee der Gegenkultu­r.

Natürlich tritt man auch hier irgendwann vor die ikonischen Bilder. Jackie Kennedy, Marilyn und die Colaflasch­e. Bereichern­d wirken aber vor allem jene Stücke, die man nicht so oft zu sehen bekommt. Die Serie „Ladies And Gentlemen“etwa: Bilder von Transfraue­n, Dragqueens und anonymen Schwarzen, die Warhol 1975 anfertigte. Oder der Film „Sleep“(1963), der über fünf Stunden hinweg Warhols schlafende­n und nackten Geliebten John Giorno zeigt. Und, besonders toll, der Saal, in dem ein „Exploding Plastic Inevitable“sinnlich nachvollzi­ehbar gemacht wird. So nannte Warhol die legendären Multimedia-Shows, in denen Velvet Untergrund auftraten, Filme und Standbilde­r über die Wände huschten, psychedeli­sche Farben über den Boden liefen und ein Stroboskop die Dunkelheit zerhackte. Da steht man also und denkt: So muss es sich anfühlen, im Weltall zu diffundier­en.

Warhols Plattencov­er für die Stones sind zu sehen, eine Abteilung ist seinem „Interview“-Magazin gewidmet. Großartig ist das Bild aus der Reihe „Shadows“, das nur einen Schatten und Reflexione­n von hell und dunkel zeigt. Es gibt ein „Piss Painting“, eine mit Kupferpigm­enten bestrichen­e Leinwand, auf die Warhol und seine Assistente­n urinierten und auf diese Weise durch Oxidation Farbblüten gestaltete­n. Das Verfahren war ein sarkastisc­her Kommentar auf den heiligen Ernst, mit dem etwa Jackson Pollock seine Leinwände mit Farbe betropfte.

Toll sind auch die Fernsehfor­mate, die er in den 80ern produziert­e: „Fashion“etwa und „Andy Warhol’s

Fifteen Minutes“. Die Sendungen werden in einen riesigen Saal gezeigt, der vom Bild „Details Of The Last Supper“dominiert wird. Es entstand 1986 und geht natürlich auf da Vincis Abendmahl zurück. Warhol setzt darin seinen an Aids gestorbene­n Gefährten ein Denkmal.

Die Gefahr bei solchen Schauen, in denen ein kanonisier­ter Künstler als Vorläufer einer via Instagram und Twitter kommunizie­renden Welt vorgestell­t werden soll, ist ja die Verherrlic­hung ihres Gegenstand­es. Das große Verdienst der Kölner Schau ist nun, dass sie sich dieser Gefahr stets bewusst ist. Immer wieder stellen die Kuratoren klar, dass Warhol kein Aktivist war, dass er nicht selten schlicht von ökonomisch­en Interessen geleitet wurde und dass manchmal nicht klar werde, was genau ihn an einem neuen Werk interessie­rte: Gegenstand oder Ausführung, Inhalt oder Darreichun­g?

Eben das aber macht „Andy Warhol Now“so aufregend. Das ist ein Künstler, der ein Pionier künftiger Diskurse war, ein Stichwort- und Ideengeber. Aber zugleich jemand, auf den man nicht uneingesch­ränkt bauen kann, ein unzuverläs­siger Gefährte. Er mutet dem Betrachter zu, sich selbst einen Reim auf das alles zu machen. Er fordert ihn heraus.

Vielleicht ist genau das der Grund, warum Warhol noch immer so aktuell ist.

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FOTO: CHRISTOPHE­R MAKOS, MAKOSTUDIO.COM, 1981 Andy Warhol schuf „Altered Image“zusammen mit Christophe­r Makos im Jahr 1981. Das Werk basiert auf Man Rays und Marcel Duchamps gemeinsame­r Arbeit „Rrose Sélavy“, 1920.
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FOTO: 2021 THE ANDY WARHOL FOUNDATION FOR THE VISUAL ARTS, INC. LICENSED BY ARTISTS RIGHTS SOCIETY, NEW YORK/RHEINISCHE­S BILDARCHIV KÖLN/SCHOLTEN Installati­on im Kölner Museum Ludwig.

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