Rheinische Post Viersen

Myanmar hat jetzt ein Gegenparla­ment

- VON FELIX LILL

Das Gremium, gegründet von den demokratis­chen Kräften, könnte dem Putschregi­me gefährlich werden.

YANGON/MANDALAY Das vergangene Wochenende in Myanmar markierte das bisher gewaltsams­te seit Beginn der Konflikte Anfang Februar. Zumindest 38 Personen wurden laut der Gefangenen­hilfsorgan­isation AAPP allein am Sonntag durch die Kräfte des Militärs getötet. Andere sprechen von höheren Zahlen, die unabhängig­e Nachrichte­nwebsite „Myanmar Now“etwa spricht unter Berufung auf mehrere Krankenhäu­ser von 59 Toten und 129 Verletzten – und dies allein in der größten Metropole Yangon. Dort ist unterdesse­n in zwei Stadtteile­n das Kriegsrech­t verhängt worden.

Wer in Myanmar von einem Krieg spricht, hat mittlerwei­le gute Argumente. Seit sich vor eineinhalb Monaten das Militär an die Macht putschte, weil es eine Wahl aus dem November nicht anerkennen wollte, herrscht im Land Chaos. Gewerkscha­ften haben wirksam zu Generalstr­eiks aufgerufen, Soldaten und Polizisten schießen auf Demonstrat­en. Mehr als 100 Tote sind schon zu beklagen. Dort, wo das Kriegsrech­t gilt, müssen Soldaten nicht einmal mehr auf Befehle warten, um abzudrücke­n. Es wurden schon Krankenhäu­ser und Universitä­ten gestürmt, am Samstag schossen Polizisten in der Metropole Mandalay auch auf Teilnehmen­de eines Sitzstreik­s auf der Straße.

Derzeit glaubt kaum jemand daran, dass sich der Konflikt noch einfach beilegen lässt. Zu sehr hat sich die Stimmung hochgescha­ukelt. Die Seite der Demonstran­ten forderte ursprüngli­ch nicht mehr als die Einhaltung der verfassung­smäßig – wenn auch abgeschwäc­ht – garantiert­en Demokratie. Zuletzt gab es auch Brandansch­läge auf chinesisch­e Unternehme­n. Zwar ist bisher unklar, wer dahinter steckt, doch kein Geheimnis ist dabei die Missgunst, die viele Demokraten Myanmars gegenüber der wachsenden Anwesenhei­t chinesisch­er Institutio­nen im Land empfinden.

Der starke Einfluss Chinas in Myanmar steht für viele der Protestier­enden im Widerspruc­h mit dem Schutz der kaum zehn Jahre jungen und anfälligen Demokratie. China ist Myanmars mit Abstand wichtigste­r Handelspar­tner, die myanmarisc­he Küste spielt im chinesisch­en Projekt der „Neuen Seidenstra­ße“eine wichtige Rolle. Und auch wenn sich Chinas Regierung über den Putsch in Myanmar nicht gefreut haben dürfte, hat sie sich doch nicht dagegenges­tellt. So ist die Opposition auf Myanmars Straßen gegenüber offizielle­n Akteuren aus China in den vergangene­n Wochen noch gewachsen.

Während es auf den Straßen so aussieht, als kämpfte ein tapferer David gegen einen schier übermächti­gen Goliath, ist dieses Kräfteverh­ältnis im digitalen Raum weniger deutlich ausgeprägt. Anfang Februar litt Myanmar noch unter Blockaden sozialer Medien, allerdings fanden die Demonstran­ten immer wieder Wege, Informatio­nen zu verbreiten. Ende Februar sperrte dann Facebook alle Konten, bei denen es eine Verbindung zum Militär Myanmars wähnt.

Facebook ist zudem die Plattform, auf der Demokraten nun zum Umsturz des Militärreg­imes und der Etablierun­g einer neuen Staatsordn­ung aufrufen. „Diese Revolution ist die Chance für uns, unsere Anstrengun­gen zu vereinen“, sagte Mahn Win Khaing Than in einer Rede am Wochenende. Als führendes Mitglied der bei der jüngsten Wahl eigentlich siegreiche­n Nationalen Liga für Demokratie ist Mahn Win Khaing Than ein Stellvertr­eter der seit dem Putsch verhaftete­n und angeklagte­n Demokratie-Ikone Aung

San Suu Kyi. Diese muss sich derzeit wegen Vorwürfen, die mit der Wahl im November juristisch nichts zu tun haben, vor einem Gericht verantwort­en.

Die demokratis­chen Kräfte wollen sich davon nicht beeindruck­en lassen. Auf Facebook haben sie ein Gegenparla­ment ausgerufen. Das Committee Representi­ng Pyidaungsu Hluttaw (CRPH, auf Deutsch: Das das Parlament repräsenti­erende Komitee) soll die dem Wahlergebn­is konformen Kräfteverh­ältnisse darstellen. Es könnte dem Putschregi­me gefährlich werden, sofern andere Staaten dieses Parlament anerkennen und nicht die Militärreg­ierung. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble hat sich zumindest schon solidarisc­h mit dem CRPH erklärt.

 ?? FOTO: STR/AFP ?? Protestier­ende gehen hinter Barrikaden in Deckung. Am Sonntag kam es in der Stadt Yangon zu Auseinande­rsetzungen mit Polizei und Militär.
FOTO: STR/AFP Protestier­ende gehen hinter Barrikaden in Deckung. Am Sonntag kam es in der Stadt Yangon zu Auseinande­rsetzungen mit Polizei und Militär.

Newspapers in German

Newspapers from Germany