Rheinische Post Viersen

Arbeitskrä­fte ohne Lobby

Viele Studierend­e haben in der Pandemie ihre Nebenjobs verloren. Ihre finanziell­e Situation belasten zudem steigende Mieten.

- VON MARIO BÜSCHER

DÜSSELDORF Eigentlich war sein Finanzplan für das Studium gut durchdacht. Tim Fußangel hat schon während der Schulzeit Geld zurückgele­gt, arbeitet nebenbei als Nachhilfel­ehrer und wird von seinen Eltern unterstütz­t. Er kam gut zurecht. Dann kam Corona. Seitdem kann der Biologiest­udent der Heinrich-Heine-Universitä­t (HHU) in Düsseldorf deutlich weniger arbeiten, weil das Onlineange­bot seines Arbeitgebe­rs nicht so gut angenommen wird. „Im Januar und Februar habe ich insgesamt 500 Euro weniger verdient“, sagt der 20-Jährige.

Laut dem studentisc­hen Jobportal Studitemps ist die Zahl der Studierend­en mit Nebenjob im Sommer 2020 um 16 Prozent im Vergleich zum Sommer 2019 gesunken. Während 2019 noch rund 63 Prozent aller Studierend­en einen Job hatten, waren es 2020 nur noch etwa 53 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit 2015 – dem Jahr, in dem Studitemps mit der Erhebung angefangen hat. „Dieser Trend hat sich seitdem vermutlich nochmals zugespitzt“, teilt das Unternehme­n mit. Der Vergleich zeigt auch: Studierend­e aus Akademiker­haushalten hatten noch häufiger einen Job und verdienten auch mehr als Nicht-Akademiker-Kinder.

Tim Fußangel erhält Unterstütz­ung von den Eltern. Das allein reicht aber nur für einen Bruchteil seiner Ausgaben. Deshalb muss er bereits jetzt auf die Reserven zurückgrei­fen, die eigentlich für fünf bis sechs Jahre Studium reichen sollten. „Aktuell mache ich mir noch keine Sorgen, wenn das Ganze noch deutlich länger geht, könnte es aber schwierige­r werden“, sagt er. Insgesamt, das zeigt der Vergleich von Studitemps, haben 2020 weniger Studierend­e Hilfe von den Eltern bekommen. 2019 waren es rund 66 Prozent, 2020 nur noch 60,2 Prozent. Diejenigen, die Geld von zu Hause bekamen, erhielten dafür durchschni­ttlich aber etwas mehr (460 statt 433 Euro).

Auch das Budget aus Darlehen und Krediten stieg an. „Es ist ein klarer Trend erkennbar: Die Geldquelle­n, die Studierend­en noch bleiben, werden stärker ausgereizt. Das dient der Kompensati­on von Einbußen an jeweils anderer Stelle“, erklärt Studitemps. Insgesamt haben die Studierend­en 2020 sogar mehr Geld aus verschiede­nen Quellen zur Verfügung gehabt (859 Euro) als 2019 (847 Euro). Gleichzeit­ig sind jedoch die Kosten für das Studium angestiege­n von monatlich 106 auf rund 134 Euro. Gründe dafür könnten besseres Internet oder Mehrausgab­en für die Ausstattun­g des Homeoffice sein, so Studitemps. Außerdem leben die Studierend­en mehr von Rücklagen oder müssen mehr arbeiten, was wiederum negative Auswirkung­en auf das Studium haben kann.

Ein weiteres Problem sind steigende Mieten, selbst in der Pandemie. Student Fußangel zahlt für sein Düsseldorf­er WG-Zimmer bereits jetzt 500 Euro. Er ist froh, in der Wohngemein­schaft leben zu können. „Das ist auch für die persönlich­e Entwicklun­g wichtig. Außerdem ist das WG-Leben aktuell fast der einzige soziale Anschluss in der neuen Stadt“, sagt der gebürtige Trierer. Im Sommer 2020 wohnte jeder vierte Student wieder bei den Eltern. 2019 waren es rund 21 Prozent. „Das ist ein Anstieg von mehr als 100.000 Personen“, teilt Studitemps mit. „Insgesamt ist der Anstieg der Miete schlichtwe­g eine zusätzlich­e Belastung für die Studierend­en, die eh schon zu kämpfen haben“, sagt Studitemps-Chef Eckhard Köhn. Ähnlich sieht das der Allgemeine Studierend­enausschus­s (Asta) der HHU. „Die Studierend­en fühlen sich von der Politik vernachläs­sigt“, sagt Sprecherin Julia Kremer. Der Asta fordert statt neuer Kredite und Darlehen deswegen eine breite Soforthilf­e. Es könne nicht sein, dass man nach dem Studium direkt mit einem finanziell­en Druck ins Berufslebe­n startete.

Das Bildungsmi­nisterium teilt mit, dass „die Maßnahmen der Bundesregi­erung zur Abfederung der coronabedi­ngten Notlagen von Studierend­en angemessen und wirksam“seien. Teil davon sei auch die Überbrücku­ngshilfe, die eingeführt wurde um Studierend­e zu unterstütz­en, „die sich nachweisli­ch in einer akuten, pandemiebe­dingten Notlage befinden und die unmittelba­r Hilfe benötigen“.

Tim Fußangel schaut derweil etwas optimistis­cher in die Zukunft. Durch die Lockerunge­n kann die Nachhilfe bald wieder vor Ort stattfinde­n. Seine Rücklagen muss er in der nächsten Zeit dann vielleicht seltener bemühen. Trotzdem hofft er, dass die Uni für ihn bald so richtig losgeht. „Ich kann mich zu Hause kaum noch aufraffen“, sagt er.

„Studierend­e fühlen sich von der Politik vernachläs­sigt“Julia Kremer Sprecherin des Asta

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