Bildung als Schlüssel für das Kindeswohl
Nach den Fällen von Kindesmissbrauch hatte die CDU zur einer Info-Veranstaltung geladen, um die Arbeit zukünftig besser abzustimmen.
MÖNCHENGLADBACH Baby Ben, Baby Leo, der fünfjährige Fabio: In den letzten Jahren gab es in Mönchengladbach mehrere dramatische Fälle von Kindstötungen, die von engsten Bezugspersonen und im direkten familiären Umfeld begangen wurden. Aktuell wird ein schwer misshandelter Säugling in einer Klinik behandelt, der Junge wird lebenslang mit den Folgen der ihm zugefügten Taten leben müssen. Um noch mehr für dieses Thema zu sensibilisieren, lud die CDU Mönchengladbach zu einer Online-Veranstaltung zum Thema „Kindeswohl in MG“ein.
„Es geht weder um Einzelfälle, die medial bekannt wurden, noch um Schuldzuweisungen, sondern darum, die Arbeit der anderen kennen zu lernen“, so Ratsherr Martin Heinen in seiner Begrüßung. Als Expertin wurde zunächst die Kinderärztin Renate Harnacke, gehört. Sie spricht von „maximal überforderten“Eltern, die Probleme haben, ihren Alltag und die gesamte Lebensplanung zu gestalten. Sie fordert einen Masterplan für Kinder, in dem frühkindliche Bildung gefördert wird. Dieser Aussage schließt sich auch die Rechtsanwältin Marie Lingnau an, die im Fabio-Prozess den leiblichen Vater vertreten hat: „Bildung ist ausschlaggebend dafür, was einem Kind im Leben passiert. Daher muss es mehr sowie einen leichteren Zugang zu Betreuungsangeboten geben.“Carolin Mühlen, Schulleiterin der Gesamtschule Volksgarten, sieht die Kinder naturgemäß erst zu einem späten Zeitpunkt der Entwicklung nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule: „Dann leben Kinder eventuell schon lange mit Misshandlung oder Gewalt.“Es gelte, dies herauszufinden, obwohl die Lehrer dafür nicht geschult und oft überfordert seien. Ausdrücklich lobt Carolin Mühlen den schulpsychologischen Dienst der Stadt: „Die sind nach zehn Minuten da, wenn etwas auffällt.“Grundsätzlich habe sich das soziale Gefüge in der Stadt in den letzten 20 Jahren verschlechtert, die soziale Schere würde sich weiter öffnen. Dies habe sich gerade in Corona-Zeiten gezeigt, beispielsweise im Bereich der Digitalisierung, wenn sich „eine Familie ein Handy oder einen Laptop teilt“. Klaus Röttgen, Fachbereichsleiter Kinder, Jugend und Familie der Stadt, erklärt, dass jedes 3. Kind unter 15 Jahren inzwischen SGB-II-Leistungen bezieht. Die Stadt setze bei benachteiligten Familien auf Prävention: Es gebe frühe Hilfen, etwa durch Besuche
von Sozialarbeitern oder Hebammen. Zudem gebe es ein Team von 70 Leuten innerhalb des Allgemeinen Sozialen Dienstes, das extra geschult werde, um etwaige Gefährdungssituationen zu erkennen. Nach dem Sammeln von Informationen etwa aus der Kita oder vom Kinderarzt, erfolge eine Beratung in einer Sechserrunde: „Keiner entscheidet allein“, so Röttgen über das weitere Vorgehen. Trotz einer erneuten Beratung nach drei Monaten gebe es ein gewisses Restrisiko: „Die schlimmsten Fälle sind die, bei denen die Eltern uns hintergehen.“Rund 40 Interessierte folgten am Dienstag der über zweistündigen Diskussion und brachten sich mit Vorschlägen und Anmerkungen ein. Eine davon kam von Birgit Richters vom Sozialdienst katholischer Frauen. Sie merkte kritisch den Abstand einiger Vorsorgeuntersuchungen an: „Die Zeit zwischen der U6 und der U7 beträgt ein Jahr, in der die Kinder nicht gesehen werden.“Dadurch seien beispielsweise die Verhaltensauffälligkeiten der Schwester des aktuell misshandelten Säuglings nicht aufgefallen. Marie Lingnau wünscht sich mehr Kommunikation zwischen den verantwortlichen Stellen sowie einen nachvollziehbaren Standard, nach dem alle Mitarbeiter des Jugendamtes verfahren – und eine bessere Erreichbarkeit. Das Jugendamt würde häufig wie im Fall von Fabios Mutter als „Feind gesehen“, und daher die Zusammenarbeit verweigert. „Standards und Transparenz schaffen Sicherheit, Eltern müssen wissen, welche Möglichkeiten sie haben, etwa bei einer Inobhutnahme.“