Ein normales Kind mit Besonderheiten
Am Sonntag ist WeltDown-Syndrom-Tag. Rolf Tietenbergs jüngster Sohn Jonathan hat Trisomie 21. Der Vater und der 13-Jährige berichten, was Jonathan mit anderen Kindern gemein hat – und was ihn unterscheidet.
MÖNCHENGLADBACH Wenn Jonathan jetzt eine Vier würfelt, ist die blaue Figur seines Vaters wieder raus. Die Revanche für den Rauswurf gerade, mit dem Rolf Tietenberg seinen Sohn auf dem Weg zum Sieg gestoppt hat. Der Würfel fällt mit Schwung aus Jonathans Hand, dreht sich auf der Tischfläche zwei Mal um die eigene Achse und bleibt liegen. Die Vier! „Ha!“, freut sich der 13-Jährige und kickt den Spielstein seines Vaters vom Feld. Jonathan spielt gerne „Mensch ärgere Dich nicht“. Besonders, wenn er gerade auf der Gewinnerseite ist. Da unterscheidet er sich nicht von anderen Kindern. Wie überhaupt vieles bei Jonathan so läuft wie bei Gleichaltrigen – aber manches ist eben auch anders.
Jonathan hat Trisomie 21, das Down-Syndrom. „Als ich Joni das erste Mal im Arm hatte, habe ich gedacht, dass da etwas anders sein könnte“, erinnert sich Rolf Tietenberg an seine erste Begegnung mit seinem Jüngsten. „Im Ultraschall war nichts zu sehen und eine Fruchtwasseruntersuchung wollten meine Frau und ich nicht. Die birgt ja auch Risiken. Das hatten wir bei den beiden Älteren auch nicht gemacht.“
Rolf Tietenberg kann die Sorgen von jungen Eltern eines Trisomie-21-Kindes verstehen. „Mir ging auch zuerst durch den Kopf, ob wir das Haus umbauen müssen oder noch in den Urlaub fahren können“, sagt er offen. „Ich habe mich dann erkundigt und war schnell beruhigt. Uns war ja immer klar, wenn ein Kind eine Behinderung hat ist das eben so.“Also beschlossen er und seine Frau, die Situation mit größtmöglicher Gelassenheit anzunehmen – genauso wie bei Jonathans Brüdern.
Vieles läuft auch so ab, wie die Tietenbergs
es von ihren großen Söhnen, die heute 23 und 19 Jahre alt sind, kennen: Jonathan streitet sich mit seinen Brüdern und verträgt sich danach auch wieder, er spielt gerne Fußball, mag in der Schule am liebsten die Naturwissenschaften, liest in der Kirche vor der Gemeinde Texte vor. Im vergangenen Jahr hat er das Rasenmähen als Hobby für sich entdeckt. „Und ich backe gerne Kuchen“, sagt Jonathan, dabei wird seine Stimme etwas leiser, als ob er sich dafür geniert. Wenn sein Vater sagt, dass sein Jüngster mit seinen Sachen „schlonzig“umgehe oder zu viel am Handy daddele, wenn man ihn nicht stoppe, sieht Jonathan das ganz anders.
Aber ein paar Dinge laufen bei Jonathan auch anders als bei seinen beiden älteren Brüdern: Zum Beispiel die Entwicklungsverzögerungen. „Joni hat später laufen und sprechen gelernt“, sagt Rolf Tietenberg. Emotionen halten bei ihm länger an – das gilt für Freude wie
für Frust und Kummer gleichermaßen. Er braucht mehr Anleitung und Betreuung. Trotzdem kann er eine Regelschule besuchen. Jonathan geht in die sechste Klasse auf die Theo-Hespers-Gesamtschule. Die Suche nach der Schule für ihn war schwieriger als bei seinen großen Brüdern. Das fing schon bei der Grundschule an.
Während der Schüler noch in den gleichen Kindergarten wie seine
Brüder ging, nahm die örtliche Grundschule ihn nicht auf. „Im Nachhinein war das ein Glücksfall, weil Joni dann zur Montessori-Schule gegangen ist“, sagt Tietenberg. „Das Konzept war für ihn gut.“Für die Eltern war klar, dass es für ihren Sohn kein Limit geben sollte. Alles sollte so normal wie möglich laufen: Talente fördern und Grenzen akzeptieren. So, wie sie es auch bei ihren Großen gemacht haben.
Aber anders als bei den älteren Söhnen war die Suche nach einer weiterführenden Schule für Jonathan schwierig. „Die meisten Schulen haben keine Inklusionskonzepte“, ist Tietenbergs Erfahrung. Dabei hat inklusives Lernen einige positive Aspekte für alle Kinder. „Joni bringt Ruhe in die Klasse“, ist der Vater überzeugt. „Selbst die wildesten Kinder bekommen eine Helfer-Mentalität. Die Kinder haben später auch keine Berührungsängste mit Menschen mit Trisomie 21.“Die dafür erforderliche Aufbereitung des Unterrichts kommt nicht nur Jonathan zugute.
„Ich bin nicht anders als andere Kinder“, sagt Jonathan über sich selbst. Der 13-Jährige nutzt die Vorteile pfiffig aus. „Manchmal spielt er die Hilflos-Karte und lässt sich die Schuhe binden oder die Tasche tragen. Das merkt man zuerst gar nicht“, sagt sein Vater. Er ist eben doch ein „normales“Kind.