Das Land sehnt sich nach einer Strategie
Erweiterte Ruhetage statt Verwandtenbesuch, Streaming statt Gottesdienst, Urlaub im Wohnzimmer statt auf Inseln. Ausgerechnet zu Ostern wird Deutschland erneut in einen Lockdown gehen – in den härtesten, den es bisher gab: Keine Ausnahmen für Kontaktbeschränkungen über die Feiertage, die Geschäfte bleiben vom 1. bis zum 5. April geschlossen, mit nur kleinen Ausnahmen. Kanzlerin Angela Merkel hat sich durchgesetzt – mit sehr, sehr viel Aufwand. Doch die Mammut-Politshow bis zum frühen Morgen, sie ist in Wahrheit ein Stochern im Nebel.
Ist es wirklich ein Erfolg, wenn jetzt vor Ostern alle die Supermärkte stürmen? Hamsterkäufe reloaded sozusagen. Und nach wie vor ist nicht klar, warum man nach Mallorca fliegen kann, die Ferienwohnung an der Ostsee aber nicht besuchen darf. Müssen oder können Betriebe testen und Homeoffice ermöglichen? Was ist mit den versprochenen Hilfen? Was nützen eigentlich mühsam erarbeitete Hygienekonzepte, wenn niemand sie nutzt? Viele Gastronomen, Kultureinrichtungen, Geschäfte haben ihre Hausaufgaben gemacht. Die Länder haben, etwa mit Blick auf die Schulen, geschwänzt. estzuhalten bleibt: Die Politik hat beim Impfen und Testen bislang versagt, die Öffnungen am 3. März kamen zu früh und überstürzt, waren dem Motto geschuldet: „Ein Lockdown, bei dem niemand mitmacht, hat wenig Sinn.“Dennoch: Den Preis zahlen jetzt alle. Was die stundenlangen Beratungen bei allen Ministerpräsidentenkonferenzen seit Herbst nicht gebracht haben, ist ein abgestuftes, kluges Lockdown-Konzept. Dafür scheint die Kraft nicht mehr zu reichen, schon seit sechs Monaten nicht. Bei niemandem im Übrigen: Die, die im Bund auf die Regierung zeigen, regieren in den Ländern mit. Und machen nichts besser. Die, die nicht mitregieren, leugnen das Virus, bekämpfen das Impfen und schaden dem Land damit am allermeisten.
Nun hat die Kanzlerin noch mal einen Kompromiss zustande gebracht. Die schwierigen Beratungen haben gezeigt, dass es vermutlich der letzte war, den sie noch durchsetzen konnte. Politik mit der Brechstange zum Wohle aller. Kommunikativ ist es ein Desaster. Zwar war die Verlängerung des Lockdowns angesichts der Infiziertenzahlen auch bei den Ländern unstrittig. Aber es wurden doch Hoffnungen geweckt, auf einen kontaktarmen Urlaub, einen Osterbesuch von Verwandten. Doch am nächsten Tag hat man sich auf Ruhetage geeinigt, deren Ausgestaltung niemandem richtig klar ist. Die Kirchen wurden von der Absage ihrer Gottesdienste kalt erwischt. Kann man alles machen – aber die Pandemie hält das Land seit einem Jahr in Atem. Kann man das nicht vorbereiten? Statt zu nachtschlafender Zeit hektisch zu wirken? an wünscht sich, dass dieser politische Aktionismus auch beim Thema Impfen wirken möge. Elf Stunden Ringen um eine bessere Impfstrategie: Das Land dürstet danach. Das Impfen, es ist das einzige Licht am Ende des Tunnels. Wie kann es sein, dass in diesem Land auch nur ein einziger Impftermin ungenutzt bleibt? Warum öffnet man nicht sofort, um die Menschen ab 18 Jahren zu impfen, die den Impfstoff haben wollen? Warum nicht?
Kanzleramtsminister Helge Braun spricht nach dem Mammut-Gipfel von einer Naturkatastrophe, die nicht nach Plan verlaufe. Der Mediziner hat recht. Aber dann muss die Politik sich auch endlich auf den Katastrophenmodus einstellen. Rettet man im Katastrophenfall erst nach Rücksprache? Mit QR-Code und Telefon-Hotlines? Warum öffnet man die Impfzentren nicht für alle, die kommen wollen? Jeder Geimpfte, man kann es nicht oft genug sagen, ist ein Gewinn für die Gemeinschaft. Wie kann ein Land Grundrechte einschränken, aber sich beim Datenschutz im Labyrinth der Befürchtungen verlieren? Warum gibt es nicht die glasklare Ansage der Politik: ohne Impfung kein Zurück mehr in das Gestern? Der bloße Appell wird es nicht richten. Krise bedingt auch Ehrlichkeit.
Die Politik vertröstet die Menschen auf den Sommer. Dieses Versprechen muss sie halten. Unbedingt.
FM