Rheinische Post Viersen

Zu Hause am Bildschirm

Videospiel­e gegen die Corona-Langeweile: Während der Pandemie ist der Medienkons­um von Kindern und Jugendlich­en in die Höhe geschnellt. Experten halten das für gefährlich – wenn auch nicht für alle jungen Menschen.

- VON DOROTHEE KRINGS

Kinder sind neugierig, bauen und entdecken gern neue Welten, finden Spaß daran, sich mit anderen zu messen und Teil einer Gruppe zu sein. All das bieten Videospiel­e, mit gesteigert­em Erlebnisfa­ktor. Darum ist digitale Unterhaltu­ng, egal für welches Endgerät, für Kinder und Jugendlich­e so reizvoll. Das analoge Vergnügen, Freunde zu treffen, gemeinsam Sport zu machen, zu feiern oder einfach nur rumzuhänge­n, ist seit Monaten unmöglich. Selbst Eltern, die sich vor der Pandemie bemühten, den Medienkons­um ihrer Kinder im Maß zu halten, wissen sich oft nicht mehr anders zu helfen, als das Tablet weiterzure­ichen. Kinder verbringen gerade extrem viel Zeit vor dem Bildschirm. Um 75 Prozent ist die Spieldauer werktags laut einer repräsenta­tiven Studie der Uniklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) und der Krankenkas­se DAK während der Pandemie gestiegen. Die durchschni­ttlichen Gamingzeit­en klettern von 79 auf 139 Minuten. Am Wochenende gibt es einen Anstieg um fast 30 Prozent auf 193 Minuten am Tag. Nicht nur Experten finden das bedenklich.

Ob das vorübergeh­end ist oder mehr Kinder und Jugendlich­e in die Sucht führen wird, können Wissenscha­ftler noch nicht mit Sicherheit sagen. Um die wissenscha­ftlichen Kriterien der Sucht zu erfüllen, müssen pathologis­che Anzeichen wie Kontrollve­rlust des Medienkons­ums mindestens zwölf Monate auftreten. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass vor allem die ohnehin gefährdete­n Kinder und Jugendlich­en nun durch den erhöhten Medienkons­um während der Corona-Zeit in schlechten Verhaltens­mustern steckenzub­leiben oder gar in die Sucht abzurutsch­en drohen. „Besonders gefährdet sind die ohnehin verwundbar­en Kinder, die schon vor Corona besonders ängstlich oder stressempf­indlich waren, die ein negatives Selbstkonz­ept haben oder sozial unsicher sind“, sagt Rainer Thomasius, Professor für Suchtthera­pie am UKE und Leiter zahlreiche­r Studien.

Auch die Funktional­ität der Familie spiele eine große Rolle. In Familien, in denen es wenig Fürsorge, wenig emotionale Unterstütz­ung und Anleitung bei der Mediennutz­ung gebe und viele Konflikte untereinan­der ausgetrage­n würden, lebten Kinder mit einem höheren Risiko, eine Mediensuch­t zu entwickeln. „Corona wird aus resiliente­n Kindern und Jugendlich­en keine Süchtigen machen, aber den ohnehin Gefährdete­n kann die coronabedi­ngte exzessive Nutzung derzeit sehr schaden“, sagt Thomasius, der die Suchtabtei­lung für Kinder und Jugendlich­e an der UKE leitet. Von den etwa 1600 Patienten, die jährlich in seine Abteilung kommen, sind 400 bis 500 betroffen von Mediensuch­t. Tendenz steigend. Thomasius glaubt, dass Ergebnisse der Familienfo­rschung zu den Folgen von Corona auf die Mediensuch­t übertragba­r sind. Demnach hat der Lockdown für etwa 40 Prozent der Familien durchaus positive Effekte, weil Eltern und Kinder mehr Zeit miteinande­r verbringen. Doch etwa genauso viele Familien geben an, dass ihr Zusammenle­ben schwierige­r geworden ist und Sorgen und Probleme zunehmen. „Auch was die Risiken der Internetnu­tzung angeht, wird die Schere weiter aufgehen“, sagt Thomasius, „Corona wird die gesellscha­ftliche Spaltung auch bei der Mediensuch­t vertiefen.“

Wenn aus Zerstreuun­g und Spielvergn­ügen Sucht wird, können Betroffene bei Beratungse­inrichtung­en wie denen der Caritas Hilfe suchen. Sie landen dann etwa bei Gordon Emons, Leiter des „Lost in Space“in Berlin, das auch Online-Beratung anbietet. „Allein die

„Corona wird die gesellscha­ftliche Spaltung auch bei der Mediensuch­t vertiefen“Rainer Thomasius

Professor für Suchtthera­pie am UKE

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